Lubmin – die Energie-Gemeinde

Gut 2.000 Einwohner, Prädikat Seebad, kilometerlange Sandstrände an der deutschen Ostseeküste und eine wildbewegte Energiegeschichte mit reichlich Höhen und Tiefen hinter und vor sich – Lubmin ist nicht nur für Freunde der Ostsee ein interessantes Revier.

Ehrenfried Wagner in der Schaltstation Lubmin
Rückbau seit mehr als 20 Jahren – Kernkraftwerk Lubmin

Hier gibt es zunächst einmal ein stillgelegtes Kernkraftwerk, welches noch immer noch eine gigantische Kulisse abgibt. Weit weniger sichtbar ist der Endpunkt der stillgelegten Pipelines aus russischen Erdgasfeldern, deren Wiederinbetriebnahme sehr unwahrscheinlich scheinen. Das neue LNG-Terminal wird vor dem Hintergrund des Klimawandels und der Umstellung auf erneuerbare Energien sicher keine allzu lange Lebensdauer besitzen.

Windige Perspektiven

Nord Stream 2

Ganz anders dagegen die Anbindung an die Windparks der Ostsee. Deren Energie wird hier ins deutsche Netz eingespeist. Die Zukunft von Lubmin ist wohl weder strahlend noch gasförmig. Das einst größte Kernkraftwerk der Deutschen Demokratischen Republik befindet sich nach wie vor in der Jahrzente dauernden Demontage. Sein noch jahrtausendelang gefährlicher Atommüll findet zunächst im Zwischenlager Nord in direkter Nachbarschaft seine Aufbewahrung. Die stählernen Röhren von Nord Stream 1 und 2 transportieren seit dem Überfall auf die Ukraine dank Sanktionierung und Sabotage kein russisches Gas mehr. Und auch das neue Flüssiggasterminal dürfte, gelingt die Energiewende und der Ausstieg aus fossilen Energieträgern, keine langfristigen Perspektiven haben.

Anbindung der Windparks Baltic Eagle und Arcadis Ost 1

Thomas Ehrhardt und Ehrenfried Wagner dagegen sind in dem ehemaligen Fischerdorf und heutigen Seebad, um an der energetischen Zukunft Lubmins und den sich anschließenden Stromverteilernetzen Deutschlands zu arbeiten. Die beiden Experten sind Teil des Energy Auto­mation Teams von ­Phoenix ­Contact aus Gera. Und fühlen sich im großen Umspannwerk fachlich wie zuhause. „Hier tauchen die Unterseekabel der beiden Windparks Baltic ­Eagle und Arcadis Ost 1 wieder auf und speisen die Energie ins deutsche Stromnetz“, beschreibt Thomas Ehrhardt die Situation vor Ort. „Das Umspannwerk hier diente in der Vergangenheit dazu, den Strom des Kernkraftwerks ins Netz zu transformieren. Die 380-kV-Leitung des AKW Lubmin führte bis zum Umspannwerk Wolmir­stedt in Sachsen-Anhalt und war mit 287,8 Kilometern Länge die längste Stromleitung Deutschlands.“ Ehrhardt weist auf die imposante Anlage direkt im Hintergrund. ­„Heute ist diese Art der Energiegewinnung Geschichte. Aber man nutzt die Anlagen, die dafür hier errichtet wurden. Der Hafen gehört übrigens auch dazu, über den ein guter Teil der Windenergieanlagen transportiert wurde.“

Hafen Lubmin

Ehrenfried Wagner ergänzt: „Offshore-Windparks haben schon auf dem Meer eigene Umspannwerke, die den Strom der einzelnen Windräder sammeln und auf transportfreundliche 220 kV transformieren. Per Unterseekabel kommen in Lubmin dann diese 220 Kilovolt an. Hier wird die Spannung auf 380 kV transformiert. Diese Spannungsebene wird für den Transport über lange Distanzen benötigt.“ Der gelernte Energieelektriker für Anlagentechnik erklärt beim Gang durch die weitflächige Anlage die einzelnen Komponenten.

Ruhe im Netz

Bei einem der sechs gewaltigen Transformatoren legen wir einen kurzen Stopp ein. „Das ehemalige Stromnetz der DDR basierte auf der 220-kV-Spannungsebene, denn der Umgang mit 380 kV ist ungleich komplexer. Der Netzbetreiber 50Hertz baut die alten 220-kV-Anlagen allmählich alle zurück und stellt das Gesamtnetz auf 380 kV um. Die Vorteile überwiegen einfach, vor allem der Leistungsverlust in den Leitungen ist deutlich geringer.“ Das Umspannwerk kennt er wie seine Westentasche: „Ich war 2008 das erste Mal hier im Einsatz.“

Das Team der Energy Automation aus Gera betreut den Netzbetreiber 50Hertz, der das ostdeutsche Stromnetz unterhält. „Neben der standardmäßigen Wartung und Erneuerung von Stromnetzen, unserem normalen Alltagsgeschäft, sind hier die umfangreichen Einspeisungen der Offshore-Windparks das Besondere“, erklärt Thomas Ehrhardt. „Die regenerativen Erzeuger wie Windenergieanlagen oder Solarkraftwerke laufen nicht so konstant wie herkömmliche Großkraftwerke auf Basis von Atom, Gas oder Kohle. Die so erzeugten Schwankungen müssen so weit wie möglich aus den Netzen gefiltert werden. Und unsere Automatisierungslösungen schalten, steuern, überwachen und messen genau diese Vorgänge. Dazu bringen sie die notwendigen Safety-Einrichtungen mit, damit wir hier inmitten dieser Höchstspannung in der Freiluftanlage gefahrlos unterwegs sein und arbeiten können.“

Aufbau des Umspannwerks

Im Regelfall wird das Umspannwerk direkt aus der 50Hertz-Zentrale in Berlin mittels Fernwirktechnik von Phoenix Contact ferngesteuert. Doch aufgrund der umfangreichen Neu- und Umbaumaßnahmen im Umspannwerk ist in diesen Tagen reichlich Betrieb auf dem großen Gelände hinter Kernkraftwerk und Zwischenlager. Ehrenfried Wagner weist auf zwei voluminöse Apparaturen: „Das sind die Drosseln, die die Schwankungen in den Netzen herausfiltern und Blindleistung reduzieren sollen. Kondensatoren nehmen kurzzeitig den Strom auf oder geben ihn wieder ab. Transformatoren, wir sagen auch Verbundkoppler dazu, übernehmen den aktiven Part in Sachen Stromnetzstabilität durch eine einzigartige Spannungsregelung. Auf die Stromnetze kommen auch in Zukunft immer größere Herausforderungen zu, da die Leistung der Regenerativen immer größer wird. Da wird auch der Aufwand immer größer, die Netze stabil zu halten. Und es bedarf immer mehr Automation, die sich permanent ändernden Schwankungen auszugleichen. Das kann keiner mehr händisch erledigen. Und dafür sind wir hier im Einsatz.“

Ehrenfried Wagner und Thomas Ehrhardt

Beim Gang zurück zur Leitstelle des Umspannwerks erklärt Wagner die verschiedenen Leitungen, die über unseren Köpfen summen. „Die hier ebenfalls noch vorhandenen 220-kV-Leitungen stellen die Verbindung zu den noch nicht auf 380 kV ertüchtigten Umspannwerken der Umgebung her.“ Im Inneren des nüchternen Nutzbaus herrscht emsige Betriebsamkeit. „Wir planen und konfektionieren unsere hier installierten Schaltschränke aufgrund der Anforderungen des Netzbetreibers. Und hier vor Ort nehmen wir die Anlagen dann in Betrieb, sprich wir passen die Programmierung an und stimmen die mit dem Betreiber und der Installationsfirma hier in Lubmin ab. Und natürlich sorgen wir auch für den Service im laufenden Betrieb.“ Pro Anlage werden rund 30 Steuerschränke benötigt.

Ausdauertechniker

Während die Energy Automation Phoenix Contact ihren Sitz in Gera hat und sich um die ostdeutschen Stromnetze kümmert, ist die Energy Automation mit Sitz in Velbert für große Bereiche der alten Bundesländer mit ihren Netzbetreibern zuständig. „Unsere Aufgabe ähnelt ein wenig einem Kreislauf“, schmunzelt Thomas Ehrhardt, „wir arbeiten uns von einem Ende des Netzes zum anderen und fangen dann wieder von vorn an. Stromnetze müssen rund um die Uhr an jedem Tag funktionieren und damit auch unsere Anlagen und Systeme. Wir arbeiten ja hier im Bereich der Kritischen Infrastruktur, da sind Stetigkeit und Zuverlässigkeit die Devise. Und da haben wir uns einen sehr guten Namen gemacht.“ Kein Geschäftsmodell für den schnellen Euro oder exponentielles Wachstum, wie die beiden Starkstromexperten schildern. Aber unverzichtbar für die dramatischen Veränderungen, die die Energiewende bereithält.

Lubmin: An kaum einem anderen Ort Deutschlands – mit dem AKW im Rücken, den Pipelines unter den Füßen und Windkraft vor der Küste – wird klar, wie zentral stabile Stromnetze für den Erfolg regenerativer Energiequellen und die Vision einer All Electric Society sind. 

50hertz
Energy Automation Phoenix Contact

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