Tiny houses unter Strom

Sie sind grau, sie sind unscheinbar, sie sind überall – und ohne sie geht in Sachen Strom nichts. Es gibt rund 600.000 Transformatoren- oder Ortsnetzstationen in Deutschland. Im Inneren der meist fensterlosen Betonkästen verbirgt sich die Technologie, ohne die die Energiewende nicht klappen kann.

Wenn es eine Firma gibt, die sich mit Ortsnetzstationen auskennt, dann ist das das Familienunternehmen Scheidt in Rinteln an der Weser. Die Niedersachsen haben nicht nur ein geübtes und gekonntes Händchen, wenn es um den Bau des Betongebäudes geht, der Grundlage einer sicheren Architektur rund um die Energienetze. Sie sind auch Experten, wenn es gilt, die tonnenschweren Strombungalows mit ihrem elektrischen und elektronischen Innenleben auszustatten.

Ortstermin in Rinteln

Wer das Firmengelände im Galgenfeld am Ortsrand der niedersächsischen Kleinstadt besucht, der zieht ob der schweren Lasten, die hier durch die Gegend schweben, unwillkürlich den Kopf ein. Helm ist Pflicht, wenn man sich auf dem weitläufigen Außenbereich tummelt. Bei Scheidt wird Beton nicht nur geformt, sondern lernt auch fliegen. Zumindest für kurze Strecken. Entsprechend dezent behelmt treffen wir Carsten Hohmann vor dem viereinhalb Meter langen Anderthalbgeschosser, der das jüngste Aushängeschild von Scheidt ist. Die Rintelner haben ein ausgeklügeltes Rastersystem entwickelt, mit dem sie ihre Tiny Houses schon im Rohbau genau an die Standortanforderungen anpassen können.

Schlüsselfertige Trafostationen sind die Domäne des schon im Jahre 1889 gegründeten Unternehmens. Während zu Beginn der Firmengeschichte ganz normale Bauvorhaben im Fokus standen, gewann die Fertigung von Betonteilen vor allem ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts immer stärker an Bedeutung. Selbst Fertiggaragen waren eine Zeit lang im Portfolio. Die ersten Trafostationen von Scheidt fanden ihren Platz in diesen ursprünglich reinen Kfz-Behausungen. Mit dem Baustoff Beton ist man bei Scheidt auf innovative Art und Weise per du: Mit Schleuderbeton wurden in Rinteln jahrelang Strommasten hergestellt.

Spannungsgeladen

Mittlerweile hat man sich allerdings an den drei Standorten des mittelständischen Unternehmens (Rinteln in Niedersachsen, Hoyerswerda in Sachsen, Arnstadt in Thüringen) auf Trafostationen insgesamt und besonders die Ortsnetzverteilstationen konzentriert. Carsten Hohmann zeigt auf eine ganze Reihe großenteils noch kahler, da unbestückter Betonhüllen: „Heute zählen wir zu den bedeutendsten Herstellern von Trafostationen in Deutschland.“

Carsten Hohmann

Die Hülle ist also geklärt, aber was steckt eigentlich in den meist unscheinbaren Gebäuden? Der Anlagenplanungstechniker erklärt: „Solch eine Trafostation beherbergt zunächst einmal einen oder mehrere Transformatoren. Diese Trafos regeln den Strom von seiner Transportspannung des Mittelspannungsnetzes herunter auf verbraucherfreundliche 380 Volt im Niederspannungsnetz. Denn damit Strom überhaupt über größere Distanzen fließt, muss die Spannung mindestens 10.000 Volt betragen.“

Und vor dem Hintergrund der Energiewende mit ihren dezentralen Erzeugern Solar und Wind muss erzeugter Strom auch wieder „reisefertig“ hochtransformiert werden. Das verlangt nach einer neuen Netzarchitektur mit zahlreichen Punkten, in denen Strom an die Netze angepasst werden muss. Kein Wunder, dass sich Scheidt zukunftssicher aufgestellt sieht. Mittlerweile auch weit über die Landesgrenzen hinaus, sowohl in England als auch im EU-Umfeld.

Anschlussfertig

Wir werfen einen Blick in eine fertige Trafostation. Hohmann erklärt: „In dieser Station gibt es einen Bereich, an dem der Strom ankommt. Der Techniker zeigt auf den Boden und dann auf die Rückwand: „Hier befindet sich der Transformator. Und dann gibt es eine Mittelspannungs-Schaltanlage und eine Niederspannungsverteilung.“

Bernd Schairer

Bernd Schairer betreut die Firma Scheidt als Außendienst auf dem Spezialgebiet Industriemanagement Energie von Phoenix Contact. Er ergänzt: „Scheidt bietet seinen Kunden schlüsselfertige Transformatorstationen an. Also nicht nur das Betonbauwerk, sondern auch die elektrotechnische Ausstattung auf allen Netzebenen. Da kommen wir dann ins Spiel, denn wir sind mit etlichen Produkten prädestiniert für die Netztechnologie der Energieversorger.“

Schutz- und Feldsteuergerät

Der Energie-Experte zeigt auf einen imposanten Schaltschrank im Inneren der Station: „Phoenix Contact sorgt hier sowohl mit seinem neuen Erzeugungsanlagenregler (EZA) als auch mit einem innovativen Schutz- und Steuerungsgerät für eine zuverlässige Steuerung der Transformation. Der Regler wurde zunächst für Solarparks entwickelt und setzt sich aufgrund seiner Features allmählich auch auf deutlich mehr Feldern durch. Neben diesem Regler stellt unsere Fernwirk- und Automatisierungsplattform smartRTU sicher, dass die Stationen fernwartbar sind. Gerade vor dem Hintergrund der Energiewende mit immer dezentraleren Standorten wird es existenziell wichtig, dass die Einspeisepunkte in den Energienetzen auch aus der Ferne, also von den Netzbetreibern in ihren Leitwarten, steuerbar sind.“

Mit doppeltem Boden

Während draußen schon stählerne Haken an das fertige Bauwerk angeschlagen werden, demonstriert Carsten Hohmann noch die inneren Werte der Station. Er klettert ins Tiefparterre, in dem die Erdkabel mit Mittel-Spannung ankommen und letztlich als Niederspannung wieder verlassen, nachdem der Strom seinen Weg durch den Transformator nimmt. „Wir haben ein modulares System entwickelt, mit dem wir zwar etliche Gleichteile verwenden können, aber trotzdem extrem flexibel auf die Anforderungen des Kunden eingehen können und das nicht nur bei der äußeren Hülle, sondern auch den inneren Werten. Das zeichnet Scheidt aus.“

Nachdem wir die begehbare Trafostation verlassen haben, rucken die Ketten des Hebekrans an. Und schon schwebt einer der Schrittmacher der Energiewende sanft auf die Pritsche eines Tiefladers, um sich auf den Weg an seinen neuen Einsatzort zu machen. Unscheinbar, kantig, doch voll mit inneren Werten, die seinen Einsatz für die nächsten Jahrzehnte zukunftssicher und unverzichtbar machen.

Betonbau Scheidt
Phoenix Contact Netzwerktechnologie

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