Wasser(stoff) marsch!

Die Politik träumt davon, die Wissenschaft forscht daran, die Industrie arbeitet dafür – grüner Wasserstoff ist ein mittlerweile auch emotional besetztes Thema geworden. Jetzt lässt eine Erfolgsmeldung aus dem westfälischen Saerbeck aufhorchen.

Elektrolyse-Stacks in Reih und Glied

Zugegeben: Ganz neu ist das Verfahren der Elektrolyse nicht mehr. Schon anno 1800 stellte ­Alessandro Volta seine „Volta’sche Säule“ vor. Doch das Unternehmen Enapter kann sich trotzdem zu den ­Pionieren in Sachen Wasserstoffelektrolyse zählen. Denn mit ihren patentierten Anionenaustauschmembran-Elektrolyseuren (AEM) hat die Firma mit Firmensitz in Berlin und dem italienischen Pisa ein modulares System im Portfolio, das kostengünstig und skalierbar grünen Wasserstoff produzieren soll. Jetzt ist der erste AEM-Megawatt-Elektrolyseur in Betrieb gegangen. Gesteuert wird die Anlage mit Technologie von ­… Phoenix ­Contact.

Basis der innovativen Wasserstoffgewinnung ist die Wasserelektrolyse. Dabei wird Wasser mithilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten. Was sich so schnell schreibt, ist in der Realität alles andere als ­trivial: Das Wassermolekül, also die Verbindung von zwei Wasser­stoffatomen und einem Sauerstoffatom, ist geprägt von einer innigen Beziehung zueinander. Um diese beiden Elemente voneinander zu trennen, ist reichlich Energie nötig. Die wird allerdings auch wieder gewonnen, wenn die beiden entzweiten Bestandteile wieder zueinander dürfen.

Wasserstoff stapelweise

Der Prozess, um elektrische Energie in chemische umzuformen und diese dann zu konzentrieren und weiter verarbeitbar zu machen, bedarf ausgeklügelter Steuerungsmechanismen. Und dies umso mehr, als Enapter seine Elektrolyseure so konstruiert hat, dass sie sprichwörtlich stapelbar werden. Die einzelnen Produktionszellen werden zu sogenannten Stacks verbunden. Diese Stacks sind so kompakt, dass sie sich wie Schuhkartons in einem Rack ähnlich denen in Serverräumen stapeln lassen. Diese Modularität ist eines der Erfolgsrezepte des innovativen Ansatzes, denn damit wird die Anpassung an Situationen vor Ort flexibler als bei vergleichbaren Anlagen. Zumal die Stacks mittlerweile in industrieller Fertigung und ­Serie hergestellt werden und längst den technologischen Kinder­schuhen entwachsen sind.

Auch der Megawatt-Elektrolyseur selber setzt auf das Prinzip Kiste. Er ist in Containern untergebracht. Im jetzt vorgestellten „AEM Multicore 450“ sind 420 AEM-Stacks installiert, die jeweils eine Leistung von 2,4 kW erreichen. In dem so konfektionierten Container können bis zu 450 Kilogramm Wasserstoff am Tag erzeugt werden. Allein mit den gestapelten Stacks ist es aber nicht getan. In dem Container ist außerdem eine Stromversorgung untergebracht, die sowohl während des Betriebs als auch während eines Stillstands aktiv ist. Denn Strom aus regenerativen Quellen soll ja nur zugeführt werden, wenn er nicht anderweitig gebraucht, also ins Netz eingespeist wird. Ansonsten verharrt der Elektrolyseur stand-by. ­Diese Schwankungen der Produktionszeiten muss der AEM-Elektrolyseur aushalten.

Außerdem gilt es, die anfallende Prozesswärme sowie die Temperatur von Wasser und Elektrolyt steuern zu können. Und natürlich muss das Produkt der Anstrengung, der Wasserstoff, stets in seiner Reinheit überwacht werden.

Der frühe Planer fängt … das Molekül

Der erste Kontakt zu Enapter erfolgte 2022, als eine ­erste Versuchsanlage mit zehn Stacks konstruiert wurde. ­Echte Pionierarbeit, die zusammen mit der Fachhochschule Münster realisiert wurde und in der alle Parteien eine steile Lernkurve durchliefen. Diese kleine Pilotanlage dient der Fachhochschule auch heute noch zu Ausbildungszwecken.

Carsten Friedrich (2.v.re.) und das Prozess-Team von Phoenix Contact bei Enapter

Aufgrund dieser Erfahrungen war Phoenix Contact beim Megawatt-Elektrolyseur von Beginn an dabei. Denn neben der Stromversorgung, den Verbindungen und Steuerungen musste die funktionale Sicherheit mit eingebunden werden. Andreas Lautmann, bei Phoenix Contact ein Experte in Sachen Power-to-X, betont die Bedeutung dieser frühen Zusammenarbeit: „Unsere Spezialisten stellten zu einem frühen Zeitpunkt die Weichen für ein sicheres Design. Werden Sicherheitslücken erst später im Engineering-Prozess entdeckt, verlängert sich die Projektlaufzeit in der Regel deutlich. Beim AEM-Elektrolyseur waren wir also nicht nur Komponentenzulieferer, sondern haben auch Beratung, Planung und Dokumentation des Sicherheitskonzepts mit einfließen lassen.“

Andreas Lautmann

Für den Business Development Manager ist dieser Gesamtansatz wichtig und beispielgebend: „In der Zusammenarbeit mit ­Enapter und der Fachhochschule Münster, die ebenfalls Partner in diesem Projekt ist, zeigt sich, dass für die Sicherheit der kompletten Anlage abgesehen vom Einsatz von zertifizierten Komponenten auch eine strukturierte und gut dokumentierte Vorgehensweise für das Design und Engineering maßgeblich ist. Das gilt für alle in diesen An­lagen relevanten Aspekte der funktionalen Sicherheit, des Explosionsschutzes, der Cyber Security und letztlich der notwendigen CE-Kennzeichnung.“

Steuern unter Überdruck

Ayhan Birinci

Die Schaltzentrale der Anlage ist gasdicht vom Prozessraum getrennt. Außerdem herrscht hier ein leichter Überdruck, sodass selbst im Fall eines Lecks kein Wasser­stoff eindringen kann. Ayhan Birinci war Projektleiter auf Seiten von Phoenix Contact und kennt die Anlage bis in den letzten Steckverbinder: „Mit Ausnahme weniger Sicherungen und Schutzschalter bestehen die Schaltschränke durchgehend aus Komponenten und Systemen von ­Phoenix Contact. Das beinhaltet sowohl Echtzeit- als auch sicherheitsgerichtete Steuerungstechnik bis SIL 3 sowie Netzwerkkomponenten inklusive einer Firewall für den Remote-Zugriff. Das Bedien-Panel sowie die zugehörige Software stammen ebenfalls von ­Phoenix ­Contact.“

Mit den Geräten der Produktfamilie PLCnext wird die gesamte Steuerung der Anlage realisiert. Zum Beispiel werden die Lüftung und Wasservorbehandlung gesteuert, eine Notabschaltung durchgeführt, Füllstände überwacht und die Elektrolytlösung zugeleitet. Komplettiert wird die Ausrüstung der Schaltschränke durch selbst hergestellte 24-V-DC-Spannungsversorgungen sowie Signalumsetzer und Anschlusstechnik für die Feldverkabelung. Dazu wurden die Schaltschränke von Phoenix Contact konstruiert, dokumentiert und anschlussfertig produziert.

Erster Einsatz mit Netzunterstützung

Für die Pilotanlage kommt die Energie zur Elektrolyse noch aus dem „normalen“ Stromnetz. Daher ist eine Umwandlung der ankommenden 400-V-Wechselspannung nötig. Und auch dafür fand sich im Portfolio von ­Phoenix ­Contact eine Lösung, wie Andreas Lautmann erklärt: „Wir hatten schon während des Engineerings festgestellt, dass der ursprünglich geplante ­AC/­DC-Wandler nicht optimal war. Den haben wir durch einen Konverter aus unserer Charx-Serie ersetzt. Mit seinem 19-Zoll-Rack-Format eignet er sich sehr gut für die einfache Installation.“ Der komplette Satz von AC/DC-Konvertern, der im AEM-Elektrolyseur zum Einsatz kommt, erzeugt eine Leistung von 1 MW.

Ayhan Birinci ergänzt: „Sollte etwa eine Anbindung an ein Solarfeld erfolgen und damit an eine Energiegewinnung, die sowieso schon mit Gleichstrom arbeitet, dann werden wir mit einem passenden DC/DC-Konverter arbeiten, der den Solarstrom passend und kontrolliert aufbereitet.“
Wasserstoff aus einer skalierbaren und prozesssicheren Anlage, die mobil aufstellbar ist und fertig vorinstalliert nur noch an den Ort des Einsatzes angepasst werden muss? Kein Wunder, dass schon zum Zeitpunkt der Einweihung der Pilotanlage weitere AEM-Multicore-Anlagen in Auftrag gegeben wurden. Der Chef von ­Enapter, CEO Sebastian-Justus Schmidt, ist sich sicher: „Mit unserer AEM-Technologie werden wir Wasserstoff in den nächsten Jahren günstiger machen als fossile Brennstoffe.“  

Power-to-X bei Phoenix Contact
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