Tunnel unterm Dschungel

Im brasilianischen ­Bundesstaat São Paulo schlängelt sich die Serpentinenstraße Rodovia dos Tamoios durch den Gebirgszug Serra do Mar. Mittendrin der ­längste Tunnel Brasiliens. Und ­Technologie aus dem fernen Blomberg.

Neubau der Rodovia dos Tamoios

Brasilien ist ein Flächenstaat. Und viel mehr als nur der Regenwald vom Amazonas oder der Zuckerhut von Rio. Entlang der Ostküste schmiegt sich ein Gebirgszug an die schmale Küste des Atlantiks. Er bildet nicht nur ein klimatisches Bollwerk, sondern stellt sich auch eventuellen Verkehrsflüssen trutzig entgegen.

Mit gleich vier neuen Tunneln soll die 82 Kilo­meter lange und kurvige Rodovia dos Tamoios schneller und sicherer für den Verkehr zwischen dem Küstenort Caraguatatuba und São José dos Campos gemacht werden. Die vor allem an den Wochenenden stark ausgelastete Verkehrsverbindung gilt als eine der schönsten Strecken durch den bergigen Küstenregenwald, allerdings auch als eine der gefährlichsten. Denn sie führt von den Höhen der Serra do Mar in gewagten Serpentinen bis in die Küstenniederung.

Vorarbeit am Schreibtisch

Für Michael Rolf quasi ein berufliches Eldorado. Denn wenn der 28-jährige Applikations- und Projektingenieur von seiner Aufgabe erzählt, schwingt Begeisterung mit: „Genau für solche Aufgaben habe ich bei Phoenix Contact angefangen. In einem Unternehmen, welches auf der ganzen Welt tätig ist und in dem ich meine Fähigkeiten im internationalen Umfeld sinnvoll einbringen kann.“ Doch bevor es über den ­Atlantik ging, standen umfangreiche Vorarbeiten am heimischen Schreibtisch in Bad Pyrmont auf dem Programm: „Schon im Vorfeld habe ich engen Kontakt zu den brasilianischen Kollegen gehabt und mich auch mit dem belgischen Kompetenzzentrum, in dem Phoenix Contact seine Tunnelprojekte weltweit bündelt, abgestimmt. Wir aus Bad Pyrmont kommen ja erst dann ins Spiel, wenn es um die Automatisierung der neuen Systeme geht.“

Michael Rolf

Rolf erklärt: „Wir liefern fertig entwickelte Schaltschränke. Die Steuerung ist schon so programmiert, dass sie vor Ort nur noch auf dem Bedien-Panel des Schranks parametriert werden muss.“ Damit die Installation vor Ort so schnell wie möglich geht, hat das Team eine komplette Lösungspalette an Verbindungs- und Versorgungsschränken für die Leuchten entwickelt. Dazu zählen auch fertig konfektionierte und beschriftete Kabel mit Steckern. „In den brasilianischen Tunneln wurde 24 Stunden an sieben Tagen die Woche gearbeitet. Auf der Baustelle waren mehr als 1.000 Menschen. Das ist ein Riesen­projekt und der Zeitdruck ist groß.“

Vorsicht bei Ein- und Ausfahrten

Die Rodovia dos Tamoios erfordert besonders konzentriertes Fahren. Nicht nur, weil sie kurvig ist, sondern auch, weil sich die Augen der Autofahrerinnen und Autofahrer in den ­Tunneln immer wieder an hell und dunkel gewöhnen müssen. Hell außer­halb, dunkler im Inneren. „Wenn es um die Beleuchtung in einem Tunnel geht, müssen wir zuerst den Black-Hole-­Effekt vermeiden. Das heißt, dass wir die Beleuchtung entsprechend den aktuellen Lichtverhältnissen dimmen, damit sich die Augen an die dunklere Umgebung im Tunnel gewöhnen. Wäre der Kontrast zu groß, sieht man nur noch schwarz und dann kann es schnell zu Unfällen kommen“, erklärt Michael Rolf. „Im besten Fall merken die Autofahrerinnen und Autofahrer gar nicht bewusst, wie wir die Helligkeit in den einzelnen Bereichen des Tunnels anpassen.“

Hauptziel war es, die LED-Leuchten des belgischen Herstellers und Spezialisten für LED-Leuchten Schréder effizient betreiben zu können, Energie einzusparen und trotzdem noch eine hohe Verfügbarkeit sowie Überwachung der einzelnen LED-Leuchten zu haben. Wenn die Beleuchtung stark gedimmt werden soll – etwa nachts –, schaltet das Steuerungssystem bestimmte Leuchten aus und dimmt die verbleibenden entsprechend höher. Dadurch wird die Lebensdauer der LED-Leuchten erhöht, der Leistungsfaktor optimiert und die Blindleistung reduziert. Außerdem werden sogar noch Faktoren wie Reinigung, Intervalle oder altersbedingte Verluste mitberücksichtigt.

Hierzu hat Schréder die Anschaltelektronik Lumgate von Phoenix Contact direkt in die Leuchten oder die dazugehörigen Treiberkästen integriert. So kann der Strom in jeder einzelnen Leuchte gemessen und überwacht werden. Die Ansteuerung der einzelnen LED-Leuchten kann für jeden Lichtpunkt einzeln festgelegt werden. 50 vordefinierte ­Szenarien bieten eine optimale Ansteuerung, und können sogar durch höher priorisierte Ereignisse, wie etwa einen Unfall im Tunnel, auf spontane Ereignisse reagieren.

Das System ist so aufgebaut, dass auch ohne Verbindung zum Tunnelleitsystem die Beleuchtung fehlerfrei funktioniert. Auch bei einem Ausfall des gesamten Netzwerks arbeiten die verschiedenen Systeme eigenständig weiter. Sollen zusätzlich Belüftung oder Entwässerung ebenfalls in die Automatisierung eingebunden werden, ist dies ohne großen Aufwand oder aufwändige Anpassungen möglich.

Vollendung vor Ort

Nach etlichen Vorarbeiten und diversen elektronischen ­Meetings standen letztlich abschließende Aufgaben vor Ort auf dem Programm. „Ich kannte zwar die Technologie vor Ort schon genau, aber die tatsächlichen Eindrücke sind noch einmal ganz anders. Als wir aus dem ersten Tunnel rausgefahren sind und sich da diese wunderschöne Landschaft erstreckte, war das schon atemberaubend. Es war warm und an den Bergen und über den Bäumen hing der Dunst.“

Das Team von Phoenix Contact und Schréder war sechs Mann stark und international aufgestellt: ein Chilene, zwei Brasilianer, zwei Belgier und Michael Rolf als Deutscher. „Der Kontakt vor Ort ist einfach nicht zu vergleichen mit Mails und Teams-Meetings. Es ist ganz entscheidend, sich direkt mit den Kollegen ein Bild zu machen, sich auszutauschen und dann auch genau zu wissen, welche Rahmenbedingungen noch Einfluss haben können auf Installation, Inbetriebnahme und später den regulären Betrieb. Ich brauche auch diesen Moment, in dem ich rausfahre und sehe, dass mein Code ganze Tunnel­anlagen steuert. Das ist immer wieder faszinierend“, sagt ­Michael Rolf. „Man muss bedenken, dass die Menschen, die die Tunnel später nutzen, unserer Technik vertrauen. Daher muss sie reibungslos funktionieren.”

Rodovia dos Tamoios (portugiesisch)
Phoenix Contact Tunnelbeleuchtungssysteme

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