Balanceakt auf der Schiene

Zunächst war es nur eine Vision. Hübsch animierte 3-D-Renderings. Wie so häufig, wenn es um Zukunft und Verkehr geht. Doch das MonoCab hat den Sprung vom PC in die Wirklichkeit und auf die Schiene geschafft. Ein Besuch bei einer faszinierenden Möglichkeit, den Nahverkehr der Zukunft neu zu sortieren.

Fast andächtig streichen wir über den geschweißten Rahmen, bewundern Bauteile, begutachten die Gleisanlage samt improvisierter Bahnsteigkante: Tusnelda und Hermann sind tatsächlich zum Leben erwacht und warten auf ihre Hochzeit mit der futuristischen Hülle – doch der Reihe nach …
Ortstermin Dörentrup. Gewerbegebiet. „BegaPark“ hört sich ein wenig so an, wie man sich in der Provinz wohl ein großes Innovationszentrum vorstellt. Rundum findet der Besucher aber eher Gartenbau und Landwirtschaft. Viel Platz, beschauliches Landleben, wenig Betrieb.

Einer der Prototypen auf dem Testgleis

Doch tatsächlich: Hinter der dunklen Industriefassade tüftelt, konstruiert und forscht ein interdisziplinäres Team von verschiedenen Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen der Region an einer innovativen Einschienenbahn. Und kann mittlerweile nicht nur einzelne Bauteile zeigen, sondern schon rollende Ergebnisse. Kein Wunder, dass Michael Heinemann, Chef der Phoenix Contact E-Mobility, sofort dabei war, als wir von unserem geplanten Besuch berichteten: „Wir haben immer Augen und Ohren offen für innovative Mobilitätskonzepte.“

Thorsten Försterling

Neugierig stecken wir den Kopf durch die Tür und werden gleich von Thorsten Försterling empfangen. Der 56jährige Diplomingenieur ist Ideengeber, Herz und Seele des Projekts MonoCab. Und gleichzeitig auch das Sprachrohr in die Öffentlichkeit. Ein Mann mit Visionen und einer gehörigen Portion Durchhaltevermögen, denn die Idee zur MonoCab wurde bereits 2018 mit dem Deutschen Mobilitätspreis ausgezeichnet. Seitdem treibt er Sponsoren auf, bringt Forschende aus den Hochschulen OWL’s zusammen und verhandelt mit den öffentlichen Institutionen über Gleise und Genehmigungen.

30 Meter Testgleis mit Bahnsteigkante

„Eigentlich bin ich studierter Innenarchitekt, werde aber mittlerweile oft auch als Innovationsmanager bezeichnet. Das trifft es ganz gut,“ schmunzelt er und führt uns an das Gleis. Richtig, in dieser 680 Quadratmeter großen Halle sind tatsächlich 30 Meter echte Gleisanlage verlegt. Selbst an eine hölzerne Konstruktion mit den Dimensionen einer echten Bahnsteigkante wurde gedacht, um später auch die richtige Höhe für die Passagiere festzulegen. Auf „der Strecke“ wartet „Hermann“ auf seinen rollenden Einsatz, während „Tusnelda“ gerade komplett verkabelt quasi auf dem Abstellgleis steht, um dem Besuch aus Blomberg ihre eisenbahnerischen Manieren zu präsentieren. Die beiden Demonstratoren sind das metallgewordene Produkt einer kühnen Idee. Ihre Spitznamen weisen auf ihren lippischen Ursprung hin.

Thorsten Försterling erklärt zunächst die Idee, die zum MonoCab führte: „Zum einen gibt es gerade im ländlichen Raum ein Problem mit dem öffentlichen Nahverkehr. Fast immer ist die Taktung alles andere als optimal, so dass am Auto kaum ein Weg vorbei führt. Zum anderen gibt es in Deutschland enorm viele stillgelegte Bahnstrecken, deren Betrieb nicht mehr rentabel war. Und genau diese beiden Punkte geben unseren Rahmen vor. Wir entwickeln eine Bahn, die mit nur einem Gleiskörper für Verkehr in beide Richtungen auskommt und setzen zugleich auf ein autonomes Paternostersystem, das die Taktung zwischen zwei Einheiten so verkürzt, dass es für die Benutzer lukrativ wird.“

Eine Schiene ist genug

Ein Gleis mit zwei Schienen – das bedeutet normalerweise eine Lokomotive oder Triebwagen und angehängte Waggons, die sich naturgemäß nur in eine Richtung bewegen können. „Das MonoCab ist ganz anders gedacht. Wir setzen auf kleine, schmale Einheiten, die mit speziellen Rädern auf nur einer Schiene rollen. Das Umkippen verhindern wir mit speziellen Kreiselstabilisatoren, ähnlich den Segways, nur in Längsrichtung.“ Angetrieben werden die vier bis fünf Personen fassenden Miniwaggons elektrisch, die Batterie ist schnellladbar. Die Anschluss- und Ladetechnologie stammt, wie viele andere Bauteile, von Phoenix Contact.

30 Meter Testgleis in einer Halle im ostwestfälischen Dörentrup

Das Institut für Energieforschung (iFE) ist Teil der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe und maßgeblich in das Projekt involviert: In den Themenfeldern Konstruktion, Aerodynamik, Regelungstechnik, Simulation, Antriebstechnik, Leistungselektronik und Steuerungssoftware wird mit bis zu sechs Mitarbeitern interdisziplinär im Projekt geforscht. Dabei werden in vielen Teilbereichen Studierende aktiv eingebunden und in die wissenschaftliche Arbeit eingeführt. An der TH OWL sind darüber hinaus noch das Institut für industrielle Informationstechnik (IniT) und ein Lehrgebiet des Studiengangs Innenarchitektur beteiligt.

Nicht aus der Balance zu bringen

Michael Heinemann (li.) mit Projektkoordinator Fabian Kottmeier

Michael Heinemann ist fasziniert von den beiden Demonstratoren. Sofort beginnt der technikbegeisterte Topmanager den fachlichen Austausch mit den Wissenschaftlern, die den Vehikeln ihr elektronisch gestütztes Leben einhauchen. „Unsere Batterien haben bisher eine Kapazität von 27 kWh. Das sollte für rund vier Stunden Fahrtzeit reichen und das Nachladen innerhalb eines Tages kaum nötig machen“, erklärt Fabian Kottmeier, der an der Technischen Hochschule Ostwestfalen in Lemgo arbeitet und das Projekt MonoCab als technischer Projektkoordinator betreut. Ihm zur Seite steht Martin Griese, ebenfalls schon seit zwei Jahren im Projekt und für den Bereich Stabilisierungssysteme und deren Regelung zuständig. Er haucht „Tusnelda“ mit einigen Mausklicks Leben ein: „Noch ein paar Minuten, dann sind die beiden Kreiselstabilisatoren hochgefahren.“ Die Technik stammt von Hochseeyachten, die mit den Gyroskopen die Wellenbewegung und damit das Mageninnere ihrer Passagiere im Zaume halten wollen.

Die Kreiseltechnologie wird auch in Hochseeyachten eingesetzt

Das Doppelkreiselsystem ist 650 Kilogramm schwer. In den Gyroskopen sitzt je ein Schwungrad, welches in einem Vakuum rotiert. Mit rund 4.800 Umdrehungen pro Minute stabilisieren die Gyroskope eventuelle Einflüsse wie Windböen oder den Sog vorbeizischender MonoCab-Kapseln. Die Geschwindigkeit, mit der das MonoCab unterwegs sein wird, soll immerhin rund 60 km/h betragen. Zusätzlich sorgt ein per E-Motoren auf Führungsstangen blitzschnell bewegtes 650 Kilogramm schweres Bleigewicht für Ausgleich, etwa wenn ein Passagier zusteigt, sich also die Balance ändert. Noch sind die beiden wuchtigen, später gesamt rund 3.500 kg schweren Prototypen in der Testphase, so dass bei den Fahrversuchen ein zusätzliches Stützrad für Halt auf der Schiene sorgt.

Im Clinch mit Tusnelda

Kurze Zeit später richtet sich die Einschienenbahn wie von Geisterhand geführt auf. Und balanciert dann bombensicher auf ihren Rädern. Auch die haben es in sich, wenn auch ganz ohne Elektronik: „Wir benötigen auf beiden Seiten des Rades eine Führung auf dem Gleis“, erklärt Thorsten Försterling die Besonderheit der durch die FH Bielefeld entwickelten Sonderanfertigungen, „während bei herkömmlichen Eisenbahnrädern nur jeweils die Führung auf der Innenseite ausreicht.“

Währenddessen versucht Michael Heinemann mit Kraft und sportlichem Schwung, „Tusnelda“ aus der Balance zu bringen. „Keine Chance“, staunt der Mobilitätsexperte nach einigen Turnübungen auf dem Chassis. „Das System ist echt überzeugend. Und das in unmittelbarer Nachbarschaft zu unserem Standort. Das unterstreicht das Potential unserer Region.“

Bitte noch nicht Platz nehmen, die Hülle ist nur aus dünnem Sperrholz und dient der Anschauung

Noch sind Tusnelda und Hermann nackte Ungetüme. Doch im hinteren Teil der Halle steht schon ein sperrhölzernes Modell für die Hülle. Wissenschaftler und Studierende des Fachbereichs für Architektur und Innenarchitektur arbeiten an Material, Form und Funktion. Auch hier gibt es schon futuristisch aussehende Prototypen, die Platz für vier bis fünf Passagiere bieten sollen und behindertengerecht ausgestattet sind.

Einen Fahrer braucht das System nicht, das MonoCab ist ein autonomes Fortbewegungsmittel. „Die Idee ist, dass wir mit der Größe eines Autos auch dessen variable Möglichkeiten bieten,“ erklärt Thorsten Försterling das Konzept. „Die MonoCabs sind ähnlich einem Paternoster auf der Schiene. Über eine App kann der Benutzer eine Einheit anfordern, die dann nach wenigen Minuten vorrollt. Daher wird ständig eine gewisse Anzahl an MonoCabs auf der Strecke sein.“

Innovation aus OWL

Tatsächlich auf die Schiene bringt das Projekt ein Verbund aus der Technischen Hochschule OWL mit ihren Fakultäten in Lemgo und Detmold, der Fachhochschule Bielefeld, dem Fraunhofer Institut für industrielle Automation sowie dem Landeseisenbahn Lippe e.V. als Initiator und Ideengeber. Und natürlich Thorsten Försterling, der nahezu unablässig für die Idee wirbt. Gefördert wird MonoCab durch das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen und den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Und natürlich von Unternehmen wie Phoenix Contact, die auch beratend bei technologischen Fragen zur Seite stehen.

Der nächste Schritt ist die Hochzeit von Fahr- und Antriebseinheit mit der Kabine, bevor dann erste Testfahrten auf einem Teilstück der alten Extertalbahn durchgeführt werden. Bis das MonoCab tatsächlich den Regelbetrieb aufnimmt, ist aber noch etwas Geduld nötig. „Wenn alles wie am Schnürchen klappt, könnten wir 2027 die erste Strecke von Rinteln bis Bösingfeld im Testregelbetrieb unter unsere Räder nehmen“, zeigt sich Thorsten Försterling vorsichtig optimistisch.

MonoCab Ostwestfalen
Mittlerweile fährt der Prototyp!

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