Die Mobilitäts-­Manufaktur

Wer die Fertigung der Phoenix ­Contact ­E-­Mobility betritt, gelangt in eine Atmosphäre konzentrierter Betriebsamkeit. Jeder Handgriff muss sitzen, ­jedes kleine Bauteil genau an seinen Platz gelangen. Kein Platz für wummernde Vollautomation, ­sondern für erfahrene Könner mit Liebe zur Präzision. Ein Besuch in den Hallen der Elektromobilität …

Bodo Finken nimmt seine Besucher gern direkt an der Tür zu „seiner“ Fertigung in Empfang. Denn einfach Reinmarschieren geht hier nicht. Wer für die Automobilindustrie arbeitet oder zuliefert, lässt sich nicht gern in die Karten schauen – Verschwiegenheit ist in dieser Branche Trumpf. Doch mit dem Leiter der Fertigung an der Seite ist diese Hürde schnell genommen.

Bodo Finken

Und dann ist es doch ganz anders als in einer „normalen“ Fertigung. Während sonst Maschinenparks rattern und rumpeln, klicken und klackern, mal laut, selten leise, herrscht in Schieder eine konzentrierte Ruhe, fast Stille. Überall widmen sich in weiße Kittel gewandete Mitarbeiter fast andächtig der Montage von diversen Ladesteckern, Kabeln und Fahrzeug-Ladedosen, den Inlets. Umgeben von Arbeitsmaterial, meist an Werkerinseln. Jeder Griff sitzt, jedes Werkzeug ist passgenau dort, wo es die suchende Hand auch findet.

Zwergenanfang

„Wir sind 2013 als eine Ausgründung von 23 Mitarbeitern aus der Business Area DC, also dem Bereich der Steckverbinder, gestartet. Ein Großkunde aus der Automobilindustrie hatte die Geschäftsführung gefragt, ob Phoenix Contact nicht auch in die E-Mobilität einsteigen könne. Es gab zu der Zeit bei uns nur einen großen Omnibus-Ladestecker für den chinesischen Markt. Da sich die Anfragen zu dem Thema aber häuften, kam es zur Ausgründung am 1. Januar 2013.“

Die Mitarbeiterzahl war noch sehr überschaubar, mit 14 Personen in Verwaltung, Logistik und Vertrieb sowie neun Fertigungsexperten. Die Räumlichkeiten in der früheren Möbelfabrik in Schieder waren ebenso bescheiden. „Hier, dieser Raum, in dem wir gerade sind, das war alles“, Bodo Finken dreht sich einmal in der Runde. „Die allerersten Stecker wurden schon als Vorserie in Blomberg gefertigt. Die Kollegen, die dort gearbeitet haben, waren auch unsere ersten Mitarbeiter hier in Schieder.“

Die heutige Vorserie sieht so aus wie die Fertigung, mit der damals begonnen wurde. „Zwölf einfache, komplett leere Montagetische – einen Meter breit, achtzig Zentimeter tief, dazu ein paar Handwerkzeuge und Rollcontainer mit Teilen – da haben wir mit unseren neun Leuten zunächst Stückzahl 1 drauf gefertigt, je nach Artikelvariante oder Komponente. Ein paar Standregale, reichlich Kunststoffboxen mit Material kamen noch dazu – das war es.

Wir haben uns wie die Schneekönige gefreut, wenn ein Kunde einen Stecker bestellt hat. Dann haben wir den Stecker gebaut. Und für den nächsten Kunden noch einen. Bis die dann anfingen, auch mal fünf zu bestellen. Ich weiß noch, wie hektisch wir wurden, als das erste Mal ein Kunde zehn Stecker bestellt hat. Da konnte noch jeder Mitarbeiter jeden Stecker aus dem Effeff bauen.“

Tücke des Exponenten

Doch diese Idylle währte nicht lange. Bereits im ersten Jahr begann ein wahrer Run auf die Stecker aus Schieder. Denn Phoenix Contact setzte von Beginn an auf ein breites Produktportfolio. „Wir waren die ersten, die für den amerikanischen als auch den europäischen und asiatischen Markt Lösungen sowohl für das AC- als auch das DC-Laden hatten. Nicht umsonst wird der CCS-2-Stecker noch heute überall auf der Welt der Phoenix Contact-Stecker genannt.“

Die Nachfrage stieg exponentiell. Und stellte die eigentlich extrem versierte junge Truppe vor ganz ungewohnte Herausforderungen: „Eine Produktionslinie aufzubauen, das ist für uns bei Phoenix Contact Alltag. Die große Her­ausforderung war hier aber, dass es keine Vorlagen, keine Blaupausen gab. Nicht bei den Produkten, nicht bei den Werkzeugen, nicht in der Fertigung. Wer hat sich damals schon auf den Markt der E-Mobilität eingelassen? Dafür mussten wir erstmal Lieferanten für Werkzeuge, Maschinen oder Kabel finden. Hätten wir auf unserer Visitenkarte nicht Phoenix Contact stehen gehabt, hätten uns von 100 Lieferanten bestimmt 99 gleich die Tür vor der Nase wieder zugemacht.“

Finken erinnert sich: „Einer der größten Anbieter auf dem Feld der Kabelbearbeitung saß hier und verwies nur auf seinen Standardkatalog. Der wollte sich damals nicht auf die geringen Stückzahlen einlassen.“ Mittlerweile hat die Phoenix Contact E-Mobility Partner gefunden, die ähnlich aufgestellt sind und sich gemeinsam bei der Weiterentwicklung der Elektromobilität engagieren.

Der nächste Schritt

Nach anderthalb Jahren steigerten sich die Bestellungen in den Bereich von hunderten Steckern pro Bestellung. „Jetzt waren wir in einer Kleinserienwelt angekommen, mit neuen Anforderungen an die Arbeitsorganisation. Unsere Ladestecker und Inlets waren hochwertige, sichere und geprüfte Produkte, aber noch nicht geeignet für eine echte Serienfertigung.“

Eine steile Lernkurve für die kleine Mannschaft. In gemeinsamen Runden sitzen auch heute noch Entwickler, Ingenieure und Produktionsmitarbeiter zusammen, um an den Stellschrauben zu drehen, die einen höheren Output ermöglichen. „Da gibt es keinen Standesdünkel, da wird Klartext gesprochen, um gemeinsam Verbesserungen zu erreichen.“ Der Austausch auf Augenhöhe – nach Ansicht von Bodo Finken ein entscheidender Schlüssel zum heutigen Erfolg. „Nach wie vor sind wir hier in einer Situation, wo wir klassische Grundlagenforschung und Prototypenbau gleich in einer Werkstatt direkt nebenan machen. Wenn man sich mit den dortigen Kollegen unterhält, ist das wie eine Elektrotechnikvorlesung. Es ist faszinierend, wenn man sieht, dass die Kollegen heute schon an Produkten arbeiten, die uns erst in einigen Jahren erreichen werden.“

Entwicklungen, die auch in der Produktion zu Grundlagenforschung führte. Was damals mit wenigen Skizzen auf Papier begann, sind mittlerweile intelligente Werker­assistenz­systeme. Was heute so selbstverständlich aussieht, ist das Ergebnis jahrelanger Tüftelei. „Die Arbeitsplätze sind ganz maßgeblich von den Kollegen mitgestaltet“, erzählt Bodo Finken auf einem kleinen Rundgang durch die immens gewachsene Produktion.

„Aber Kabelbearbeitung ist und bleibt Handarbeit. Durch die enge Rückkopplung von der Entwicklung bis in die Fertigung an den einzelnen Arbeitsplatz und Mitarbeiter haben wir etliche Prozesse und Produkte deutlich optimieren können.“

Teamspirit

Dafür braucht man ganz spezielle Mitarbeiter. „Bis ein Kollege hier seine ersten Stecker montieren kann, braucht er Monate des Lernens. Wir haben extrem versierte Fachleute aus allen möglichen handwerklichen Berufen, die in der Fertigung arbeiten, vom Kfz-Mechatroniker bis hin zum Tischler. Deren technisches Verständnis fließt in die Fertigung mit ein. Da sitzen Kollegen auch mal aus eigenem Antrieb bis in den späten Abend und tüfteln an Verbesserungsvorschlägen, die uns dann weiterbringen können.“

Nicht ohne Stolz schildert Finken: „Was alle hier auszeichnet ist der Wille, sich auch selber zu verbessern, stetig dazu lernen zu wollen. So ein HPC-Stecker besteht aus mehr als 150 Einzelteilen. Die müssen sie erstmal aus dem Effeff kennen. Und in der Produktion kommt dazu eine gewisse körperliche Belastbarkeit, die nötig ist, um mit den schweren Kabeln umgehen zu können.

Zu Zeiten der Ausgründung trieb die Entscheider, die ­Geschäftsführung, noch die Frage um, was für ein Potenzial diese neue Artikelfamilie und das ganze Thema der E-Mobilität eigentlich hatte. Unsere Geschäftsführung hat mit der Unterstützung für ihre Firmentochter unternehmerische Weitsicht und Mut bewiesen. Heute profitieren wir von der Mischung aus starker Mutter im Rücken und organisatorischer Eigenständigkeit und damit technologischer Schnelligkeit. Das zeichnet uns gegenüber Mitbewerbern am Markt aus, die um ein Vielfaches größer sind als wir. Kurze Wege, ein innovatives Firmengerüst, bekannte Zulieferer im eigenen Unternehmen – wer druckt Ihnen schon über Nacht das Muster eines HPC-Ladesteckerinnenleben aus?
Wir gelten längst nicht mehr als die Newcomer aus der Provinz, sondern sind heute Lieferant und Ansprechpartner für alle Großen der Branche auf Augenhöhe, sowohl auf der Automobilseite als auch im Bereich der Ladeinfrastruktur. Doch die Kabelbearbeitung ist und bleibt trotz aller Hilfsmittel eine Manufakturfertigung mit viel präziser Handarbeit.“

www.phoenixcontact.com/emobility

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