Der Plattformer

Wenn es um den Aufbau komplexer Strukturen geht, die hauchdünn aufeinander getragen werden, dann ist die additive Fertigung im Spiel. Bei Phoenix Contact fällt dann der Name Protiq. Und wenn es um die Geschäftsmodelle geht, die hinter Technologie und Vertriebs-Know-how stehen, dann ist ­Stefan de Groot der richtige Mann.

Produktionsraum Protiq

„Platt bin ich zwar selten“, lacht der 36-jährige Wirtschaftsingenieur. „Allerdings gibt es durchaus auch Situationen, wo Freitags nachmittags das Telefon klingelt und ein großer Auftrag das Wochenende sprengt.“ Doch das, so versichert Stefan de Groot beim Gespräch bei der Phoenix Contact-Tochter, sei trotz virulenter und stetig wachsender Auftragslage eher die Ausnahme.

Stefan de Groot ist, wie er es selber schildert, ein ganz typischer Mitarbeiter beim 3D-Druck-Spezialisten Protiq. Ein studierter Ingenieur, der für die additive Fertigung brennt. Der sich im Maschinenbau auskennt und die 3D-Drucker samt ihrer Technologie mit aufgebaut hat. Der aber mittlerweile auch den hauseigenen digitalen Marketplace mit aufgebaut hat und ganz tief in Themen des Vertriebs steckt, die er heute verantwortet.

Kaum gestartet, schon gekündigt

De Groot hat 2016 in der Abteilung Rapid Solutions im eigenen Werkzeugbau von Phoenix Contact angefangen. „Doch nach drei Monaten war schon wieder Schluss. Denn da wurde die Protiq GmbH ausgegründet und unternehmerisch auf eigene Beine gestellt.“ Seit dieser Zeit ist der sympathische 3D-Drucker ein Ex-Kollege, allerdings auf dem gleichen Firmengelände.

Stefan de Groot

„Natürlich war der Start nicht so holprig wie bei vielen anderen Start-ups, beschreibt de Groot die Anfangszeit. „Wir hatten ja einen Auftraggeber, der uns sehr gut ausgelastet hat.“ Doch von Beginn an war vorgesehen, dass sich „die Protiq“, wie sie genannt wird, nicht nur im Bereich der Technologie weiterentwickelt. „Schon ein knappes Jahr später, im November 2017, ist unser Marketplace an den Start gegangen, unser digitales Distributionsmedium. Und mittlerweile übersteigen die externen Aufträge von Kunden die Aufträge, die wir vom Mutterunternehmen bekommen.“ Seit dieser Zeit entwickelt sich Protiq gleich in zweierlei Hinsicht rasant.

Technologische Vorreiter

Seit Jahren macht Protiq immer wieder Schlagzeilen, wenn es um neue Materialien geht, die dann auch per 3D-Druck bearbeitbar werden. Man merkt Stefan de Groot die Begeisterung an, wenn er über diesen Werdegang berichtet. „Ich selber war anfangs an und in der Maschine zu Hause. Als ich 2016 angefangen habe, war mein Feld wirklich in der Produktion, speziell im Bereich Metalle. Und zwar das komplette Programm: Anlagenvorbereitung, Bauteilnachbereitung, Pulverhandling, Pulverbeschickung.“

Zunächst war der Phoenix Contact-eigene Werkzeugbau die treibende Kraft bei der Weiterentwicklung der ­additiven Fertigung. Es ging um Themen wie die konturnahe Kühlung, wodurch Prozesszeiten in der Produktion etwa im Kunststoffspritzgussverfahren reduziert werden können, oder die Herstellung von Umformwerkzeugen, mit denen Testmuster gedruckt werden können. „Dabei blieb es aber nicht, denn es ist typisch für die DNA bei ­Phoenix Contact, nach neuen Verfahren, neuen Lösungen zu suchen. Was können wir entwickeln, was es bisher noch nicht gab?“

Zu der Zeit gab es schon viele Standardmaterialien, etwa im Metalllaser-Schmelzbereich den Werkzeugstahl MS1 1.2709, der sich in der additiven Fertigung etabliert hatte. Das Gleiche im Kunststoffbereich, wo bestimmte Polyamide, etwa Nylon, durch Lasersinterverfahren verarbeitet werden. „Irgendwann wollten wir konventionelle Serienstoffe, die wir seit Jahren im Stammhaus einsetzen, auch in der additiven Fertigung verarbeiten können. Diese Materialien besitzen bessere, haltbarere Eigenschaften. Und natürlich wollten wir als Elektrotechnikunternehmen auch unser wichtigstes Metall, das Kupfer, druckbar machen.“

Geht nicht gibt’s nicht

„2010, als wir angefangen haben, galt Kupfer im 3D-Druck als nicht verarbeitbar. Also haben wir einen Prozess entwickelt, mit dem wir Kupfer mit unseren Maschinen verarbeiten konnten. Das haben wir 2013 vorstellen können. Marktbegleiter, die mittlerweile ebenfalls Kupferdrucke anbieten, haben damit 2018/19 angefangen.“ Etwas Stolz mischt sich in die Schilderung von de Groot: „Das unterscheidet uns grundlegend von Marktbegleitern. Sowohl für Metall als auch Kunststoff haben wir eigens entwickelte Anlagen aufgebaut, sind gestartet auf einer grünen Wiese. Und wir haben uns gefragt, was eine Entwicklungs- und Qualifizierungsanlage mitbringen muss, um eigentlich nicht verarbeitbare Materialien eben doch verarbeiten zu können.“

Um Materialien zu drucken, die bisher dafür nicht geeignet schienen, begannen die Fachleute von Protiq, sich intensiv mit ihren Eigenschaften und vor allem den verfügbaren Aggregatzuständen zu beschäftigen. Um tatsächlich hauchdünne Schichten drucken und mit dem Laser verschmelzen zu können, muss die aufzutragende Schicht ­jeweils hauchdünn sein. Dazu muss speziell im Pulverbettverfahren, das die Spezialität von Protiq ist, das Material eine spezielle Feuchtigkeit aufweisen und homogen sein. Speziell im Kunststoffbereich ist die Riesel­fähigkeit, die so erreicht werden soll, eine echte Heraus­forderung. „Wir haben zusammen mit großen Materialherstellern richtige Grundlagenforschung betrieben“, schildert ­Stefan de Groot die Anstrengungen.

Mit Erfolg, denn Protiq war das erste Unternehmen, das Kupfer drucken konnte. Und mit Zink und hochfestem Werkzeugstahl legten die Blomberger nach und untermauerten ihren Anspruch als eines der Vorzeigeunternehmen in der additiven Fertigung.

Internet of Druck

Mit der technologischen Weiterentwicklung veränderte sich auch das Aufgabengebiet von Stefan de Groot. „Ich wurde Technologiemanager, habe also die Prozess- und Materialentwicklung betreut und war intensiv in die Projektbetreuung bei Kunden eingebunden.“ Ende 2017 wurde der digitale Kanal zum echten Vertriebskanal ausgebaut, dem Protiq Marketplace. Für alle Kunden, die auf Produkte aus der additiven Fertigung zugreifen wollten, ein großer Schritt. Denn von Beginn an war der Marketplace gedacht als Sammelbecken verschiedenster 3D-Druckexperten und nicht nur zur Distribution der eigenen Dienstleistungen.

„Seitdem vereinen wir zwei Prozesse bei uns. Wir sind nach wie vor Anbieter von 3D-Druckprodukten. Dabei sprechen wir von unserem analogen Bereich. Aber wir sind gleichzeitig auch Betreiber des Marketplaces und bauen diese Plattform immer weiter aus, entwickeln also unser digitales Geschäft.“ Selbst der eigene Maschinen- und Werkzeugbau bei Phoenix Contact geht bei Bedarf den Weg über den Marketplace, um Ersatzteile oder Prototypen drucken zu lassen.

Qualität gewinnt

Mittlerweile sind 40 Anbieter auf dem Marketplace zu finden, Tendenz wachsend. Die Palette ist weit gefächert. ­Neben den Spezialitäten aus eigenem Haus findet man etwa auch Keramik oder Glas von anderen Unternehmen. „Wir sprechen hier von Partnern. Um neue Partner zu gewinnen, haben wir einen Onboarding-Prozess entwickelt, den wir gemeinsam mit interessierten Unternehmen durchgehen. Dabei richten wir uns nach strengen Standards. Unsere Basisanforderung ist eine ISO 9001-Zerti­fizierung. Und wir machen selber Audits mit den Anbietern. So stellen wir die Qualität des Portfolios sicher.“

Benötigt ein Unternehmen Produkte aus der additiven Fertigung und schaut auf dem Marketplace vorbei, wird es oft mehrere Angebote bekommen. Wie arrangiert man sich unter den Anbietern, um ruinöse Preiskämpfe zu vermeiden? „Natürlich geht es auch um den Preis,“ schildert de Groot das tägliche Geschäft. „Doch unsere Endkundenstruktur ist so, dass es eher um Faktoren wie Lieferzeiten und -mengen oder Qualität geht. Da unterscheiden sich die Anbieter. Natürlich verlieren auch wir selber mal einen Auftrag. Jedes teilnehmende Unternehmen hat sein eigenes Pricing, seine eigenen Abläufe. Da ist jeder seines Glückes Schmied.“

Transparenz zählt

Mittlerweile gibt es mehr als eine digitale Plattform, auf der 3D-Drucker ihre Künste anbieten. Doch Stefan de Groot gibt sich selbstbewusst: „Wir arbeiten mit einer größtmöglichen Transparenz für Partner und Endkunden. Die ist gerade im industriellen Umfeld wichtig. Das ist bei anderen Plattformen oft ziemlich undurchsichtig. Und wir entwickeln den Marketplace stetig weiter, etwa mit speziellen Konfiguratoren, für Induktoren, für Zahnräder, orthopädische Schuhleisten oder Gehäuse-Cover. Dort muss ein Endkunde nur Details seines benötigten Bauteils abgeben, und der Konfigurator macht daraus einen 3D-Druck-fähigen Datensatz. So kann er auch ohne große Konstruktionskenntnisse bestellen. Das Live Pricing läuft die ganze Zeit mit. Wenn der Kunde Änderungen in seinem Bauteil eingibt, hat er sofort eine Kostenübersicht zu dieser Änderung. Zusätzlich ist ein Skaleneffekt eingebettet, sodass auch die Stückzahl in den Preis mit einfließt.“

Eine weitere Besonderheit des Marketplace ist der ­Protiq Purchase, der auf die Bedürfnisse etablierter Großkunden eingeht. De Groot erklärt: „Wenn die etwa sehen, dass es Partner gibt, die mit Materialien arbeiten, die wir als Protiq nicht anbieten, etwa Keramik oder Glas, dann übernehmen wir für diese Kunden in einer neuen Funktion des Marketplaces den aufwändigen Lieferantenanlageprozess, der bei diesen Großkonzernen durchaus schon mehrere Tausend Euro pro Lieferant kosten kann. Der Kunde hat die Möglichkeit, im Materialauswahlprozess den Anbieter x, y oder z das Bauteil fertigen zu lassen. Aber die Rechnung kommt von Protiq, damit in deren Buchhaltung kein neuer Lieferant angelegt werden muss. Wir bekommen dann die Bauteile, prüfen sie hier auch und versenden sie weiter.“

Entsprechend zuversichtlich ist de Groot, wenn es um die Positionierung des Marketplaces geht: „Natürlich ist der Preis eine wichtige Stellgröße. Aber gerade bei unseren Kunden, die den First Level Support nutzen, kommt es auf unser Know-how an, auf unsere Expertise bei der Beratung. Das ist ebenfalls ein USP unseres Marketplaces. Unsere Experten kennen die Maschinen, die Prozesse und die Materialien. Die sind alle Teil der additiven Fertigung. Hier arbeiten nur Kollegen, die tief in der Materie stecken.“

Stefan de Groot ist nach wie vor ganz dicht an den Produktionsprozessen

Aus dem Spinoff des Werkzeugbaus im Blomberger Mutterunternehmen wurde eine Tochter mit einer spannenden Strategie aus analoger Fertigung und digitalen Geschäftsmodellen. Und wer das Vergnügen hat, mit ­Stefan de Groot über die Perspektiven des 3D-Drucks in der industriellen Fertigung zu sprechen, der ahnt, dass diese Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen ist.  

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