Ikarus´Streitwagen

Zu dicht an die Sonne kann es gar nicht gehen, wenn der Sonnenwagen der RWTH und FH Aachen sich in Fahrt setzt. Denn allein die Kraft des solaren Dauerbrenners treibt das Vehikel voran.
Doch ganz ohne Risiko ist der Flirt mit dem Himmelsfeuer auch für die Insassen des regenerativen Renners nicht.

Simon Quinker, Team Sonnenwagen (li.), im Interview

In 2015 begann für eine Gruppe Studierender in der alten Kaiserstadt Aachen eine wilde Zeit. Hintergrund waren weder illegale Substanzen noch ausschweifende nächt­liche Freizeitgestaltungen, sondern die Idee, an einem der wohl ungewöhnlichsten Rennen des Globus teilnehmen zu wollen – der World Solar Challenge in Australien. Alle zwei Jahre treffen sich dort Teams aus aller Welt, um eine Strecke von 3.022 Kilometern quer durch das Outback allein mit der Kraft der Sonne zu bewältigen.

Zur damaligen Zeit gab es kein deutsches Team in der wildesten, der Challenger ­Klasse. Das änderte die Truppe auf sehr nachdrückliche Weise, wie Simon Quinker mit einem Schmunzeln erzählt. Schnell wurde der Verein Sonnenwagen e.V. gegründet. Mit Tatkraft und einer Menge Improvisation schaffte es die zunächst aus 20, später aus bis zu 45 Studierenden bestehende Gemeinschaft, nicht nur Sponsoren aufzutreiben und ein Fahrzeug aus dem Nichts heraus aufzubauen, sondern auch die Reise ins ferne Australien zu realisieren.

Der erste Sonnenwagen im Katamaran-Style

„Wir sind damals nicht nur ins Ziel gekommen, was auch nur etwa die Hälfte aller startenden Teams schaffen. Wir sind sogar zum besten Newcomer­ Team gewählt worden“, berichtet Quinker. Der 24jährige angehende Wirtschaftsingenieur Fachrichtung Maschinenbau ist aktuell im vierten Jahr seiner Mitgliedschaft im Team und nicht nur 2. Vorsitzender, sondern auch für das Marketing verantwortlich. „Wir sind ein rein studentisches Team. Und da sind die sechs Jahre, die es das Sonnenwagen-Projekt jetzt schon gibt, natürlich eine lange Zeit, da hier ständig auch ein Wechsel der Akteure stattfindet.
Wer zu Ende studiert hat, startet ins Berufsleben und verlässt uns. Wir denken daher in Saisons, die jeweils zwei Jahre dauern – von einem Rennen zum nächsten. Wir beginnen direkt nach dem Rennen in Australien, dann starten wir in eine Recruiting-Phase, um neue Teammitglieder zu finden.“

Marokko statt Down Under

Für Simon Quinker ist es wichtig, dass die Mitgliedschaft beim Sonnenwagen eine Aktivität neben dem Studium ist. Zwar werden die wissbegierigen Nachwuchsingenieure von einigen Fakultäten unterstützt, doch alles, was die Studierenden an Zeit und Engagement einbringen, ist nicht verknüpft mit dem Studienbetrieb. Studienrichtungen spielen eine untergeordnete Rolle: Ein Großteil des Teams stammt aus Maschinenbau und E-Technik, aber auch Informatiker sind dabei und tüfteln an der Fahrstrategie, oder Wirtschaftsingenieure organisieren Sponsoren und Marketing. „Ziel ist es, das studentische theoretische Wissen in praktische Erfahrungen umzusetzen. Und natürlich, das Rennen als Team zu bestreiten.“

Die anderen Teams realisieren ihre Projekte meist in Vollzeit, nehmen sich ein oder anderthalb Jahre Auszeit vom Studium. Es gibt in der Challenger ­Class 25 Teams, die 2019 bei der World Solar Challenge teilgenommen haben. Über alle Klassen gibt es weltweit zwischen 60 bis 70 Teams, schätzt Quinker. Da das australische Event 2021 aufgrund von Corona nicht stattfindet, wurde mit der Solar Challenge Morocco 2021 ein Event in ähnlicher Dimension aus der Taufe gehoben.

Der Marketingleiter von Sonnenwagen erklärt die Dimension des Rennens: „In Europa sind wir aktuell neun Teams, die auf den 2.500 Kilometern in Marokko mit teilnehmen. Aber das sind DIE neun. Alle Top-Teams. Unsere Challenger-Konkurrenten kommen vor allem aus Belgien und den Niederlanden, alle rund 250 km rund um Aachen. Wir teilen natürlich die Begeisterung für das ganze Thema, gerade in den jetzigen Coronazeiten, und tauschen uns auch aus. Aber alles, was das Fahrzeug oder die Technik angeht, da halten wir eisern dicht, da regiert die Konkurrenz.“

Klemme statt Kohle

Das finanzielle Volumen der Sonnenrenner beläuft sich auf einen hohen sechsstelligen Betrag. Covestro ist momentan Hauptsponsor der solaren Studentenbewegung. Phoenix Contact sponsert das Team mit Verbindungstechnologie. Simon Quinker betont: „Uns ist eine Materialleistung unter Umständen mehr wert als eine geldliche Leistung, das wird meist aber kombiniert. Uns ist wichtig, dass unsere Sponsoren sich auch technisch im Rennwagen wiederfinden und einbringen können. Wir arbeiten daher eng mit den Unternehmen, die uns im Bereich ihrer Produktpalette unterstützen, zusammen.“

„Beim zweiten Start haben wir einen Wagen gebaut, der auf technischer Ebene absolut konkurrenzfähig war. Es gab aber gegen Ende sehr starke Winde. Wir lagen weit vorne, aber dann sind wir von der Straße abgekommen und haben uns überschlagen. Alle Sicherheitssysteme haben funktioniert, niemandem ist etwas passiert. Das Fahrzeug war beschädigt, aber wir konnten den Wagen vor Ort reparieren und dann wieder weiterfahren. Am Ende sind wir tatsächlich Sechster geworden, weil wir so einen großen Vorsprung hatten. Dazu haben wir zwei weitere Awards einheimsen können, nämlich den Event Safety Award aufgrund unseres Verhaltens während des Unfalls und den Spirit of the Event Award, da wir trotz Unfall und mit unserem jungen Team im erst zweiten Rennen überhaupt nicht aufgegeben haben und in Adelaide angekommen sind.“

Er zeigt auf den Wagen: „Unsere Fahrer sind Studierende, aber aufgrund der Enge des Cockpits suchen wir schon „passende“ Staturen aus.“ 180 Zentimeter Körperlänge und 80 Kilo Gewicht sind Obergrenze. Das Fahren ist ein harter Job, in Australien fährt man 300 bis 400 Kilometer am Stück, ohne Fenster und ohne Klimaanlage. Nur ein winziger Lufteinlass im Radhaus sorgt für ein Minimum an Frischluft.

Technologische Grenzgänger

Der 2019er Sonnenwagen setzt auf die Pfeilform ­ langgezogen und schmal. Für den ersten Sonnenwagen konstruierten die Aachener noch ein Katamaran-Design. „Die Aerodynamik“, erläutert Quinker, „sorgt für rund 70 bis 80 Prozent der Verluste, die wir bei Geschwindigkeiten von rund 100 km/h haben. Im Sonnenwagen 2019 gab es je eine Lenkung für vorne und hinten, mit der der Pilot das Fahrzeug perfekt in den Wind trimmen konnte. Superwichtig ist auch die Ausrichtungder Solarzellen zur Sonne. Ideal wäre es eigentlich, wenn sie senkrecht sind. Da müssen wir immer wieder korrigieren und mit den Simulationen abgleichen, die für eine Renndistanz nötig sind. Jede Änderung, die wir machen, wird auf Rennminuten umgerechnet.“

Der Antrieb erfolgt ausschließlich über Solarzellen, die speziell für Solarautos gefertigt werden. Diese Gallium-Arsenid-Zellen speisen ihre Energie über verschaltete Module und Maximum Power Point Tracker (MPPT) in die Batterie ein. Die sorgen dafür, dass unterschiedliche Energieleistungen der Module nicht zu Einbußen in der verfügbaren Gesamtleistung führen. „In Australien starten wir mit voller 5-KW/h-Batterie, damit würden wir ohne Sonne rund 500 Kilometer weit kommen.

Wir sind absolut an der Grenze dessen, was technologisch möglich ist. Zum Beispiel liegen die Batteriezellen ganz speziell für unseren Anwendungsfall extrem dicht beieinander. Sie kommen ohne Kühlung aus, da das nur Zusatzgewicht wäre. Wir bekommen nur sehr geringe Ströme hinein in die Zellen und geben auch nur sehr geringe Ströme wieder ab. Wir fahren mit ungefähr 1 Kilowatt Leistung 100 km/h.“

Heißer Hintern 

Ein Rennfahrzeug birgt immer Risiken. Die Sicherheitsregularien schreiben vor, dass der Fahrer das Auto sehr schnell verlassen können muss. Bei der letzten World Solar Challenge ist tatsächlich auch ein Rennwagen abgebrannt. Wenn man am Maximum arbeitet, dann kann im Extremfall ein kleiner Fehler dazu führen, dass der „thermal runaway“ ausgelöst wird und die Batterie sich selbst entzündet. Das merkt man nicht vorher, sondern erst, wenn es zu spät ist.

„Bei dem Thema der Batterien arbeiten wir mit Instituten zusammen, etwa hier an der RWTH mit dem ISEA (Institut für Stromrichtertechnik und Elektrische Antriebe), die sich sehr intensiv mit der Elektrochemie und dem Vermessen von Batterien beschäftigt. Mit diesen Kollegen besprechen wir dann die Auslegung der Batterien, so dass wir sicherstellen, dass wir auch industrielle Sicherheitsstandards einhalten. Alle Zellen werden vor Einbau noch einmal getestet, um Fehler auszuschließen. Und wir identifizieren die Zellen mit der höchsten Energiedichte.“

Räder und Felgen sind speziell für Solarfahrzeuge entwickelt, Bridgestone und Michelin stellen die Einheitsreifen her. Ansonsten sind nahezu alle Teile aus der eigenen Fertigung, auch im 3-D-Druck. So stammen etwa die Kühlkörper der Rücklichter aus dem Aconity-3D-Drucker. Überhaupt zeigt sich, dass die Studierenden auf modernstes Equipment zurückgreifen können: „Unsere neueste Errungenschaft ist ein
Prüfstand für E-Motoren, auf denen wir die Motoren und das gesamte elektrische System ohne die Solarzellen exakt vermessen und testen können.“

Zurück in die Versandbox und Garage

Einsatz rund um die Uhr 

„Am Weltumwelttag kommen jeweils die neuen Regeln heraus. Dann haben wir gut ein Jahr Zeit, um einen konkurrenzfähigen Solarrenner auf die Räder zu stellen. Es geht ja um die Entwicklung, die Innovation, nicht um das Wiederholen und Perfektionieren schon erprobter Techniken. Momentan dreht sich alles um den neuen Flitzer. Vor dem Rennen werden Schlaf und Vorlesungen auf ein Minimum reduziert: „Wir sind gerade in der heißen Phase für Marokko, da arbeiten wir in 24-Stunden-Schichten fast rund um die Uhr.“
Mittlerweile ist der dritte Sonnenwagen, der den Namen „Photon Covestro“ erhielt, in Aachen und wird hier endmontiert. Und da die Crew vom Sonnenwagen nicht nur beim Fahrzeug technologisch auf der Höhe der Zeit ist, sondern auch im Bereich Marketing und Öffentlichkeitsarbeit fit, können alle Interessierten auch auf den sozialen Netzen von Instagram und YouTube Daumen drücken.

sonnenwagen.org

Das härteste Solarrennen der Welt

Die World Solar Challenge wird bereits seit 1987 in Australien ausgetragen. 3.022 Kilometer geht es auf öffentlichen Straßen quer durch das Outback von Darwin nach Adelaide. Das Autorennen für Solarfahrzeuge gilt als weltweit härteste Prüfung. Die Teilnehmenden starten in verschiedenen Kategorien und kommen meist aus Hochschulen.
Während des Rennens werden die bis zu 140 km/h schnellen Ultraleichtbauten von Team-Fahrzeugen be-
gleitet, die ihre wechselnden Piloten nicht nur vor den überlangen Road Trains, sondern auch vor Gefahren wie Kängurus oder anderen Wildtieren bewahren sollen. Reparaturen sind während des Rennens erlaubt.
Die World Solar Challenge findet alle zwei Jahre immer in den ungeraden Jahren statt. In der Zwischenzeit gibt es weitere Rennen, etwa in den USA die American Solar Challenge, die South African Solar Challenge oder die European Solar Challenge in Belgien (Circuit Zolder, 24-Stunden-Rennen). In diesem Jahr startete der Sonnenwagen bei der Solar Challenge Morocco vom 23. bis 30. Oktober.

Nachtrag

Nach einem wilden Rennen durch den Wüstenstaat mit etlichen kleinen und großen Abenteuern konnte das Team Sonnenwagen mit seinem Covestro Photon einen stolzen 5. Platz einfahren.

Day 5 – Crossing the finish line — Team Sonnenwagen Aachen

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