Zwei Grad sind für den Grobsensoriker kaum zu spüren. Doch während die menschlichen Sinnesorgane sich um diese Temperaturerhöhung wenig kümmern, wird’s Mutter Erde samt ihrer Gashülle mächtig heiß. Eine Entwicklung, die die Stiftung 2° möglichst verhindern will. Phoenix Contact ist ihr jüngst beigetreten. Warum, will ein Besuch in der Stiftung klären.
Ortsbesuch in Berlin. Passend zum Thema kleben Hemd und Hose in der schwülen Hauptstadtluft. Der Wetterbericht kündet von atmosphärischem Ungemach in den südlichen Landesteilen. Doch im Büro der Stiftung 2° lässt es sich aushalten. Was nicht etwa an der fehlenden Klimaanlage, sondern viel mehr am erfrischenden Spirit liegt, den die Aktiven hier versprühen.
Wir sind verabredet mit Sabine Nallinger und Mikiya Heise. Die beiden sind Geschäftsführerin und Pressesprecher der Stiftung und wollen nicht nur erklären, was die Zielsetzung der Berliner Unternehmung ist. Sondern sie sollen uns auch ihre Erwartungen an das Förderunternehmen Phoenix Contact mit auf den Weg geben.
UPDATE: Die Ziele der Stiftung 2° sind ehrenwert und in aller Munde. Aber was für eine Art von Stiftung oder Organisation sind Sie?
Nallinger: Wir sind eine Lobbyorganisation. Eine Lobbyorganisation für den Klimaschutz. Unser Ziel ist es, die Erderwärmung deutlich unter zwei Grad zu halten. Wie der jüngste Bericht des IPCC nochmal eindrücklich darlegt, haben wir dafür nicht mehr viel Zeit. Und wir sind eine Organisation, die sehr konkret wird.
In der Gründungsphase der Stiftung mussten wir mitunter noch erklären, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, das war nicht selbstverständlich. Auch die Diskussion der letzten Jahre über Klimaziele war gut und wichtig, doch auch die ist jetzt vorbei. Wir müssen in Deutschland, in Europa und global ins Tun kommen.
UPDATE: Jüngst sind die Klimaziele nachgeschärft worden. Deutschland will bis 2045 klimaneutral sein. Das sind ganze 24 Jahre. Klima schützen wollen alle, aber jeder, der etwa an der Benzinpreisschraube drehen will, bekommt den Volkszorn oder den seiner Aktionäre zu spüren. Sind wir nicht immer noch in einer Phase, wo konkrete Veränderungen auch in Unternehmen gern ins Übermorgen verschoben werden?
Nallinger: Ja, natürlich. Aber der Druck wächst. Zu uns kommen Unternehmen, die nicht länger die getriebenen Buhmänner sein, sondern sich an die Spitze setzen wollen. Wir haben den expliziten Auftrag, diese Unternehmen anzutreiben, ihnen Impulse zu geben, dass sie vorangehen mit ihren Zielen.
Wir sind eng verzahnt sowohl mit den Umweltverbänden als auch mit der Politik und den Entscheidern in Wirtschaft und Verwaltung. Wir halten den Dialog offen und können vermitteln, auch zwischen sehr gegensätzlichen Interessen, etwa zwischen Greenpeace oder dem BUND und der energieintensiven Wirtschaft. Das geschieht nicht immer im Licht der Öffentlichkeit, ist aber extrem wichtig, um wirklich etwas zu bewegen.
UPDATE: Wenn einer von allen gern gehabt wird, tut er niemandem weh. Ist die Stiftung 2° beliebig?
Nallinger: Nein. Aber wir sind Moderatoren. Und die müssen dialogfähig bleiben. Das umschließt Umweltschutzverbände und Wissenschaftler, Gewerkschaften und Industrie, Verbände und die demokratischen Parteien. Wir müssen dafür sorgen, dass die Türen nicht zugehen. Das Schlimmste wäre, wenn die Gesprächsbereitschaft zwischen den Akteuren abreißt.
Aber wir sind nicht beliebig, wir geben unsere Standpunkte nicht auf. Wir treiben die Unternehmen an. Wir definieren Standpunkte und stoßen Prozesse an, die in den jeweiligen Unternehmen teils schmerzhafte Veränderungen bedeuten. Wären wir zu radikal, würden wir unsere Rolle der Moderation verlieren.
UPDATE: Wie erfährt die Stiftung denn, was die Unternehmen tatsächlich machen?
Nallinger: Das ist in der Tat nicht so einfach. Wir haben mittlerweile 31 Unternehmen an Bord. Unser Job ist es in den nächsten Jahren, mit den einzelnen Unternehmen ihren Pfad in die Klimaneutralität zu entwickeln und sie dabei zu begleiten. Und zwar immer angepasst an die jeweilige Situation vor Ort oder an die Belange der unterschiedlichen Branchen. Dazu benötigen wir Offenheit und Transparenz uns gegenüber.
Aber wir sind keine Kontrolleure. Wir wollen in gemeinsamer Arbeit den Instrumentenkasten entwickeln, den die Unternehmen für den Weg in die Klimaneutralität benötigen.
UPDATE: Nochmal nachgefragt – wie verhindern Sie, dass die Stiftung 2° nicht zu einem Deckmäntelchen des Greenwashing wird, also des klimaneutralen Deckmäntelchens?
Nallinger: Tatsächlich sind wir fürs Greenwashing denkbar ungeeignet, denn es ist ja an sich keine Errungenschaft, in der Stiftung als Förderunternehmen aufgenommen zu werden.
UPDATE: Klappt doch. Wir sind hier und berichten über unser eigenes Engagement. Und bisher war niemand in Blomberg vor Ort und hat nachgeschaut, was wir denn wirklich machen. Aber in den Medien stand: Phoenix Contact engagiert sich bei der Stiftung 2°.
Heise: Das wird uns natürlich immer begleiten. Es wird für Unternehmen ja attraktiver werden, in die Stiftung 2° zu kommen. Anfangs haben Unternehmen, die sich bei uns engagiert haben, noch den Druck der Branche oder der Verbände zu spüren bekommen. Das dreht sich komplett, jetzt wollen sich alle im Grünen noch übertreffen. In unserem letzten Bericht haben wir eine Bestandsaufnahme gemacht: Wo stehen unsere Unternehmen in Sachen Klimaschutz? Aber auch: Wo sind Hemmnisse, woran hapert es noch und welche Unterstützung brauchen sie auf dem Weg?
Nallinger: Jede Transformation braucht Partner. Und für den Klimaschutz sind Branchenverbände eben nicht die erste Adresse, sondern eher eine Organisation wie die unsere, die ihre Ziele glaubwürdig vertritt. Wir stehen exklusiv und nur für den Klimaschutz, für nichts anderes. Öffentlich bei uns eintreten und dann nichts weiter tun macht keinen Sinn – das würde vor allem auf die Unternehmen selber zurückfallen.
UPDATE: Sie sprechen von einer Gemeinschaft der Förderunternehmen. Wie funktioniert diese Gemeinschaft?
Nallinger: Zum einen tatsächlich durch Treffen hier vor Ort, die regelmäßig auf Geschäftsführer- und Inhaberebene stattfinden. Dann in Projekten wie „Weg in die <2°-Wirtschaft“, welches wir vor vier Jahren zusammen mit Zukunftsforschern gestartet haben. Fragestellung war, wie und wie schnell sich Wirtschaft in einer 2°-Welt verändern muss und wie Unternehmen sich darauf vorbereiten können. Wir haben für die Themen Gebäude, Mobilität und Industrie den Rahmen vorgegeben: ein Jahr Zeit, branchenübergreifende Ideen. Resultat waren acht konkrete Projekte. So haben etwa Aldi, die Telekom und EnBW sich gefunden und Parkräume, die nachts vor den Supermärkten leerstehen, zu Elektroladestätten gemacht, versorgt mit Grünstrom und organisiert mit einer von der Telekom entwickelten App. Ein neues Geschäftsmodell.
So etwas hat Signalcharakter. Die Aufgabe ist so groß, dass wir sie zusammen angehen müssen.
Ein anderes Projekt ist gerade im Frühjahr veröffentlich worden, zusammen mit der AGORA Energiewende und der Unternehmensberatung Roland Berger und 17 Unternehmen aus der energieintensiven Industrie. Da waren so unterschiedliche Branchen wie Kupfer, Stahl, Chemie und Energieversorger dabei. Wir haben zwölf politische Instrumente identifiziert, die die Unternehmen für die Transformation zur Klimaneutralität benötigen. Das Dokument hat viel Beachtung gefunden, sowohl im Bundestag als auch in Brüssel.
UPDATE: Schafft die Teilhabe an dieser hochrangigen Industriegemeinschaft auch Wettbewerbsvorteile? Hier kommen Schwergewichte auf ungewöhnlichem Terrain zusammen, da wird der Austausch ja befördert.
Nallinger: Das kann natürlich passieren. Das ist aber auch völlig okay und steht dem Ansinnen, welches wir haben, nämlich gemeinsam im Sinne des Klimaschutzes zu agieren, nicht im Weg. Wir müssen ganz neu denken. Ich höre es aus der Industrie: Das ist die nächste industrielle Revolution. Die braucht neue Allianzen.
Heise: Wettbewerbsvorteile für den Klimaschutz, das ist ja unser Ansinnen. Und alles, was hier in Gemeinsamkeit entsteht, wird ja veröffentlicht. Wir sind kein elitärer Wirtschaftsclub, aber natürlich begrüßen wir neue Wertschöpfungsketten, neue Allianzen, neue Kooperationen. Klimaschutz als Geschäftsmodell – das ist eines unserer Ziele. Wenn mit Klimaschutz Geld verdient wird, dann bitte sehr!
UPDATE: Welche Rolle spielt Phoenix Contact dabei, welchen Input kann unser Unternehmen geben?
Nallinger: Was wir brauchen, ist der möglichst konkrete Einblick in den Klimaschutz vor Ort. Wo drückt der Schuh, welche Prozesse benötigen besondere Aufmerksamkeit, was wird schon gemacht? Wie will Phoenix Contact klimaneutral werden und was braucht es auf diesem Weg? Können wir mit wissenschaftlicher Unterstützung weiterhelfen oder damit Hemmnisse sichtbar machen, damit politische Weichen richtig gestellt werden?
Wir können einen substanziellen Beitrag zur Erreichung der Pariser Klimaziele leisten.
CEO Frank Stührenberg zum Engagement bei der Stiftung 2°
UPDATE: Bei welchem Thema ist die Stiftung 2° momentan besonders engagiert?
Nallinger: Durch die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist es für Unternehmen teurer, eigenen produzierten Strom zu verbrauchen, als ihn von außen dazu zu kaufen. Wenn also ein großes Unternehmen sich heute dazu entschließt, selber grünen Strom zu produzieren, dann wird es de facto für diese Anstrengung bestraft. So werden fossile Energieformen massiv gefördert. Das muss aufhören. Sofort.
UPDATE: Wer ist schneller – Politik oder Industrie?
Nallinger: Ganz klar die Industrie. Diese Unternehmen sind international unterwegs, beobachten sehr genau die sich verändernden Märkte. Das gilt nicht nur die deutsche Sicht. Alle Märkte bewegen sich, da ist mal die USA vorn in Sachen Klimaschutz, mal China und mal Europa. Die nationalen Sichtweisen spielen da immer weniger eine Rolle.
UPDATE: Wer bremst diese Entwicklung?
Nallinger: Viele Wirtschafts- und Branchenverbände. Der ZVEI ist da im positiven Sinne ein Ausnahmeverband. Und auch immer noch einige Vertreter der großen Regierungsparteien.
Heise: Das ist auch eine unserer Aufgaben. Als die neuen Klimaschutzziele verkündet wurden, kamen sofort scharfe Gegenstimmen von Seiten der Wirtschaftsverbände. Da haben wir unsere Unternehmen zur Stellungnahme gebeten. Und die haben widersprochen, haben sich klar für die verabredeten Klimaziele ausgesprochen. Sie haben aber auch benannt, was es braucht, damit wir diese Ziele erreichen können. Es gibt nicht nur die eine Stimme in der Wirtschaft.
UPDATE: Wie kommt diese falsche Wahrnehmung von Politik und Branchenverbänden zustande, die glauben, dass die Wirtschaft keinen Klimaschutz will? Ist das der Berliner Elfenbeinturm?
Nallinger: Man sieht ganz aktuell, dass Klimaschutz sich einfach nicht für den Wahlkampf eignet. Eigentlich müssten die Verantwortlichen sagen: Leute, der Wandel der Wirtschaft ist notwendig und er hat seinen Preis. Stattdessen werden immer neue Ziele verkündet, ohne dass gesagt wird, wie der Weg dahin aussehen soll.
Wir müssen das langfristiger sehen, hier geht es um Milliardeninvestitionen, die noch in diesem Jahrzehnt getätigt werden müssen. Dafür brauchen die Unternehmen heute Planungssicherheit, für die die nächste Bundesregierung einen verlässlichen und sicheren Rahmen schaffen muss. Und das verfolgen wir hartnäckig, zusammen mit unseren Förderunternehmen. Also auch mit Phoenix Contact. (aj/lo)
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