Zeitenwende

Mit dem Leitbild der All Electric Society beschreibt Phoenix Contact seine strategische Ausrichtung der nächsten Dekade. Wie viel mehr in diesen drei Worten mitschwingt als nur ein Slogan, erklärt Roland Bent, als CTO Mitglied der Geschäftsführung von Phoenix Contact.

Roland Bent, Chief Technical Officer Phoenix Contact

Roland Bent ist eine der prägenden Persönlichkeiten der letzten Jahrzehnte bei Phoenix Contact. Der studierte Elektrotechniker ist seit 1984 im Blomberger Unternehmen tätig, seit 2001 als Mitglied der Geschäftsführung. Neben Marketing und Produktentwicklung verantwortet er das Innovations- und Technologie-Management, ihm unterstehen die Bereiche Corporate Technology & Value Chain, Werkzeugbau und Metallteilefertigung sowie der Bereich Quality Standards & Complaint Management und die internationalen Forschungs- und Entwicklungszentren.

UPDATE: Herr Bent, eine komplett elektrische Gesellschaft – was steckt hinter dieser ­Vision und was war der Anlass, dies zum Leitbild der nächsten zehn Jahre von Phoenix Contact zu machen

Die All Electric Society beschreibt eine Zukunft, in der regenerativ erzeugte elektrische Energie als primäre Hauptenergieform weltweit in ausreichendem Maße und vollständig wirtschaftlich zur Verfügung steht.

Dass wir diese Vision zum Leitbild gemacht haben, dazu gab es gleich mehrere Anlässe. Zum einen natürlich sprichwörtlich ein neues Jahrzehnt, in welches wir gestartet sind. Und zwar nicht nur auf dem Kalender, sondern auch mit einer neuen Führungsmannschaft, einer neuen Geschäftsführung. Und in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts, 2023, wird Phoenix Contact 100 Jahre alt.
Aber das sind nur die Rahmenbedingungen, die gerade passen. Viel wichtiger war uns, waren der Geschäftsführung, die konkreten technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen, vor denen wir alle gemeinsam stehen. Was wird unser Unternehmen in den nächsten Jahrzehnten ausmachen? Wofür stehen wir? Welche Impulse von außen nehmen wir auf und wie beeinflussen sie unser Handeln?

UPDATE: Sie nehmen die Fragen schon vorweg. ­Welches sind die Impulse, die zum Leitbild der All ­Electric Society führen?

Kohlendioxid, die Nutzung fossiler Brennstoffe, der Klimawandel – die Relevanz dieser globalen Herausforderung ist nicht mehr weg zu diskutieren. Wie wir damit umgehen – das wird die gesamte Menschheit, das wird aber auch uns als Unternehmen ausmachen. Die Tendenz ist schon lange klar, doch mittlerweile müssen konkrete Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel in unser unternehmerisches Handeln einfließen.

Der Klimawandel wird unsere Zeit bestimmen. Das ist ein weltweites Bekenntnis, manifestiert im Pariser Klimaschutzabkommen. Und das äußert sich längst auch ökonomisch, spätestens seit dem Bekenntnis von Larry Fink, dem Chef von Black­Rock, einem der größten Finanzinvestoren, der mit seinem gewaltigen Fonds nur noch in nachhaltige Technologien investieren wird. Diese Haltung führt zu dramatischen Veränderungen.

UPDATE: Was ist denn unter der All Electric Society genau zu verstehen?

Gekoppelt an die Frage, wie saubere Energie im ausreichenden Maße zur Verfügung stehen kann ist das Thema der wachsenden Weltbevölkerung. Bis 2050 erwarten wir eine Steigerung des weltweiten Energiebedarfs um 50 Prozent. Dabei haben schon heute 850 Millionen Menschen überhaupt keinen Zugang zu irgendeiner Form von Elektrizität. Der Hunger nach Energie wird dramatisch zunehmen. Und die Lösung dieses Dilemmas kann nicht allein im Verzicht, also der Energieeinsparung liegen. Sie muss und kann nur technologisch erfolgen, nur mit neuen Innovationen.
Jetzt kommen wir als Technologieführer ins Spiel, denn Technik ist nicht das Problem, sondern wird Teil der Lösung sein. Die Digitalisierung ist einer der Schlüssel zum Lösen der Probleme. Davon sind wir fest überzeugt.

UPDATE: Nur die Digitalisierung? Phoenix Contact versteht sich als die „Digital Industrial Company”. Aber sind nicht auch unsere „analogen“ Technologien unverzichtbar, wenn es um die All Electric Society geht?

Die All Electric Society baut auf einer umfassenden Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung auf. Alles Kernkompetenzen unseres Unternehmens, die auf unserer DNA der Verbindungstechnik, der Elektronik kurz der Connectivity basieren. Die bleiben natürlich auch unsere Basis, das ist keine Frage. Aber in Kombination mit unseren immer größer werdenden Kompetenzen in der Digitalisierung wird daraus ein mächtiges Werkzeug zum Lösen von Aufgaben.
Ein Beispiel aus unserer heutigen Fertigung: Wir digitalisieren Schaltschränke schon in ihrer Entstehung, arbeiten mit einem Digitalen Zwilling. Damit vereinfachen wir die Prozesse für unsere Kunden ab der Planung bis hin zur Montage drastisch. So fließen Wissen und Produkte der analogen Welt, also der ganz klassischen Klemmentechnologie, mit der digitalen Technologie zusammen und bilden ganz neue Möglichkeiten.

UPDATE: Wie sensibel ist das Bekenntnis zur All Electric Society mit Blick auf eine politische Neutralität, der sich Phoenix Contact ja eigentlich verpflichtet fühlt? Ist es für unser Unternehmen nicht ungewöhnlich, derart auch gesellschaftspolitisch Stellung zu beziehen, wenn doch Populisten den Klimawandel vehement bestreiten?

Zunächst einmal folgen wir den wissenschaftlichen Fakten und nicht den politischen Meinungen. Wir werden nicht anfangen zu missionieren. Wir synchronisieren uns mit den Fakten, und die sind spätestens mit dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz von 185 Staaten verabschiedet worden. Um es knapp zu formulieren: Klimaschutz ist das neue Normal.
Der Klimawandel und die Notwendigkeit seiner Bekämpfung ist ein Fakt, der sich weltweit in politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen widerspiegelt. Wir müssen unsere Wirtschaft dekarbonisieren. Und diesen Standpunkt teilen wir und nehmen wir ein, das ist richtig.
Das Streben nach Energie wird auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe der Weltbevölkerung sein. Dabei ist saubere Energie, also Energie aus regenerativen Quellen, noch ein rares Gut. Aber das ändert sich mit großen Schritten. Und dieser Bedarf wird nicht aufzuhalten sein und zu einem der größten wirtschaftlichen Treiber werden, das ist ein Fakt.

UPDATE: Welche Technologien werden dabei entscheidend sein?

Wasserstoffgewinnung aus regenerativen Energien

Als Ausgangspunkt ist die Energie der Sonne zu sehen, die in Form von Strahlung, Wind und Wasser der Treiber für die All Electric Society sein wird, denn mit ihr lässt sich nahezu unbegrenzt elektrische Energie gewinnen und nutzbar machen. Um die schwankende Energieerzeugung der natürlichen Ressourcen allerdings kontinuierlich abrufbar zu haben, benötigen wir die Möglichkeit, die erzeugte Energie zu speichern und über längere Strecken zu transportieren. Power-to-X nimmt hier eine zentrale Rolle ein, also die Umwandlung von elektrischer Energie in gasförmige oder flüssige Energieträger, etwa den Wasserstoff. Das wird ein zentraler Faktor auf dem Weg zur All Electric Society sein.
Es wird darum gehen, die regenerative Energie noch deutlich kostengünstiger zu machen. Allerdings kann man schon heute feststellen, dass eine Kilowattstunde in ihrer Erzeugung mittels Solarenergie bei vier bis fünf Cent und damit in der gleichen Größenordnung wie bei der Erzeugung auf Basis von Kohle liegen kann. Dazu kommt aber, dass eine Tonne CO2 hochgerechnet Schäden von etwa 180 Euro erzeugt. Das entspricht etwa zusätzlichen 15 Cent/KWh beim Kohlestrom. Die fließen bisher nicht in die Erzeugerpreise ein, denn diese Kosten trägt die Gemeinschaft.

Wir müssen regenerative Energien aber noch wirtschaftlicher machen und effektiver nutzen. Es braucht Skaleneffekte, die die Kosten nach unten bringen. Das gelingt nur durch einen ganzheitlichen Ansatz von der Erzeugung bis zum Verbrauch von Energie – der Sektorenkopplung.

UPDATE: Was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Wenn wir regenerative Energie wirtschaftlich umsetzen wollen, brauchen wir eine verbesserte Energie­effizienz über den gesamten Wertschöpfungsbereich, also von der Herstellung über die Weiterleitung und Bereitstellung bis hin zum Verbrauch und das in allen Energieerzeugenden und -verbrauchenden Lebens- und Wirtschaftsbereichen.
Bisher wurden diese Bereiche, die Sektoren, separat betrachtet. Doch wenn wir die Sektoren umfassend elektrifizieren, miteinander vernetzen und ganzheitlich automatisieren, dann sprechen wir von Sektorenkopplung.

Und das sind, wie schon dargelegt, Kernkompetenzen von Phoenix Contact, hier sind wir technologisch zu Hause. Daher skizzieren wir unsere aktive Aufgabe als „Empowering the All Electric Society“, also dem Ermöglichen dieser Zukunftsvision. Wir bauen keine Solaranlagen, wir besitzen keine Stromnetze, keine Energiespeicher oder Power to X-Anlagen. Wir möchten unsere Kunden befähigen, mit unseren Produkten und Lösungen Sektoren sowohl elektrisch als auch datentechnisch zu vernetzen, um damit eine smarte, eine intelligente Steuerung der gesamten Kette zu schaffen.

UPDATE: Wie integrieren wir unsere Kunden aus der Prozess- und chemischen Industrie sowie der Rohstoffgewinnung klassischer Industrien in die Vision der All Electric Society?

Wir müssen auch diese Industrien „smarter“ machen und sind ja schon lange dabei. Die klassische Petrochemie wird noch lange unverzichtbar sein, auch in der Antriebstechnologie. Öl, Kohle, Gas – noch geht es nicht ohne. Aber schon heute steuern wir einen signifikanten Beitrag dazu, dass diese wertvollen Rohstoffe effizienter genutzt werden können. Das ist im Sinne der Industrie genauso wichtig wie für die Umwelt.
Und unsere Partner aus diesen Industrien sind ja selbst aktiv und engagieren sich in neuen Feldern, denken Sie nur an den Aufbau einer Wasserstofftechnologie oder der Batteriespeichertechnik. Wir beschreiten also gemeinsam mit unseren Kunden neue Wege.
Tatsächlich werden wir aber zukünftig verstärkt Themenfelder identifizieren, wo wir unsere Rolle, unsere Anstrengungen verstärken werden. Und es wird Bereiche geben, wo wir keine Zukunft sehen und unser Engagement zurücknehmen werden.

UPDATE: Wenn Energie in ausreichender Menge vorhanden ist und ihre Erzeugung vollständig wirtschaftlich erfolgt – wird dann das Thema Energieeffizienz nicht wieder bedeutungslos?

(schmunzelt) Bis es soweit ist, wird noch eine ganze Menge Zeit vergehen. Und gerade die Energieeffizienz ist ein Thema, mit dem wir heute einen wesentlichen Beitrag zur Ressourcenschonung und auch zu Umsetzung der All Electric Society leisten können. Und das wird auch so bleiben und technologische Standards auch in der Zukunft setzen.
Aber ja, wenn die All Electric Society Wirklichkeit geworden ist, dann ist der Verbrauch von Energie nicht mehr ganz so sehr mit einem negativen Duktus behaftet. Dann ist etwa Mobilität ganz ohne schlechtes Gewissen möglich – eine reizvolle Vorstellung, oder?

UPDATE: Welchen Zeitrahmen erwarten Sie bei der Umsetzung der All Electric Society?

Die Delphi-Studie zur Zukunft der Energiesysteme in Deutschland, Europa und der Welt prognostiziert einen deutlichen Schritt der Umsetzung dieser Vision bis 2040. Diese Studie fußt auf der Befragung von 80 renommierten Experten und Vordenkern aus Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländern und deren Bewertung durch 350 internationale Experten.
Das ist gar nicht mehr so lange hin. Und das stimmt mich, das stimmt uns hoffnungsfroh, sowohl was die Zukunftsaussichten für ­Phoenix ­Contact ­betrifft als auch die von uns allen.

Empowering the All Electric Society

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