Sie können Müll. Sie können Radnaben. Sie können Powerladen. Sie können Lkw. Und Elektromobilität in jeder Größenordnung sowieso. Designwerk in Winterthur ist eine der spannendsten Schmieden für neue Mobilität in der Schweiz und weit darüber hinaus. Ein Besuch in der Welt von Megawatt und Schwertransport.
Wenn man ganz von vorn anfängt mit der Geschichte von Designwerk, dann fängt man bei Tobias Wülser und Frank Loacker an. Die beiden Tüftler, der eine Modellbauer und Designer, der andere Maschinenbauer, gründeten 2008 die Firma Designwerk in Winterthur. In die Schlagzeilen kamen sie, als sie 2010 in einem selbstgebauten Kabinenmotorrad vollelektrisch den Globus umrundeten. Und das so schnell, dass sie bei diesem Rennen um die Welt auch gleich den Weltrekord pulverisierten.
Seit dieser Zeit kennt man Designwerk in der Branche der Elektromobilität. Und das längst nicht mehr nur als Bastler und Extremreisende, sondern auch als Dienstleister und Produzenten von Pkw- und immer mehr von Lkw-Bestandteilen zum Betrieb von elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Unter dem ehemaligen Namen Futuricum stiegen die Winterthurer auch in die Herstellung eigener Lkw ein. Damit wurde das schnelle Laden großer Antriebsbatterien zu einem wichtigen Thema für Designwerk.
Vom Konzept zum Konstrukt
Vivien Olivier Dettwiler ist Maschinenbauingenieur und bereits seit neun Jahren bei Designwerk. Als er anfing, beschäftigte das Start-up ganze 13 Mitarbeitende. Seit 2009 ist er Teilinhaber und in die Geschäftsleitung des Unternehmens berufen worden, das heute auf mehr als 150 Mitarbeitende angewachsen ist. „Angefangen haben wir als reiner Dienstleister im Bereich der Elektromobilität“, schildert er die zarten Anfänge. „Konzepte, Beratung, Studien – so haben wir begonnen. Ich bin als Entwicklungsingenieur für die ersten Lkw eingestiegen, denn schon bald wurde begonnen, eine eigene Produktion aufzubauen.“
Doch der Fokus lag zunächst auf Pkw-Technologie. Eine Auftragsarbeit war etwa das Designen eines elektromobilen Nachfolgers des 50er-Jahre-Klassikers der BMW Isetta im Auftrag eines schweizerischen Tretrollerherstellers. Und es wurden diverse eigene Produkte entwickelt, etwa mobile DC-Schnellladegeräte für Pkw. Dazu kam dann eine eigene Batterieproduktion.
Die Ladegeräte finden vor allem bei Elektrofahrzeugherstellern europaweit ihre Verbreitung. Die dritte Sparte ist der Grund des Besuchs, denn hier in Winterthur entstehen tatsächlich Lastkraftwagen. In dieses Geschäftsmodell sind die Schweizer quasi „hineingewachsen“. „Begonnen haben wir mit dem Elektrifizieren, also dem Umrüsten, von herkömmlich angetriebenen Fahrzeugen. Das waren und sind vor allem Kommunalfahrzeuge wie Müllwagen. Und Spezialfahrzeuge, etwa im Baumaschinenbereich“, erzählt Olivier Dettwiler.
2015 haben die Winterthurer dann ihren ersten „eigenen“ Lkw vorgestellt, ein Müllfahrzeug. Der Farbe Orange sind sie treu geblieben, mittlerweile sind allein in der Schweiz etwa 60 der Entsorgungsvehikel im Einsatz. Zunächst beschränkten sich die Designwerker auf Fahrzeuge für die Kurzstrecken, etwa Betonmischer, Müllwagen mit Kränen und Wechselbrückensysteme. Schwere Lkw, die sich aber dank kurzer Fahrstrecken mit herkömmlicher Schnellladetechnologie mobil machen lassen.
Gerade im Sonderfahrzeugbau erobert sich der elektrische Antrieb einen immer größeren Anwendungsbereich: abgasfreie Baumaschinen für Tunnel etwa oder Fahrzeuge für Erdbohrungen, die auf elektrische Pufferspeicher umrüsten. Oder Hersteller von Putzmaschinen, die die Antriebseinheit elektrifizieren. Diese Maschinen entstehen natürlich im wahrsten Sinne „handverlesen“. Lediglich das Chassis, also die grundlegende Karosseriestruktur wie Rahmen, Achsen und Räder, wird von großen Herstellern bezogen.
Kunden mit Reichweitenhunger
Seit einigen Jahren kommen aber immer mehr Logistikdienstleister auf Designwerk zu. Vivien Olivier Dettwiler erklärt: „Wir haben in der Schweiz eine Schwerverkehrsabgabe, eine Tonnenkilometergebühr. Davon sind die E-Fahrzeuge allerdings ausgenommen. Und so erklärt sich der Grund für die aktuell sehr hohe Nachfrage nach Alternativen zu klassischen Antrieben.“
Es gab Ladegeräte. Es gab Batterien. Es gab Erfahrungen im Aufbau von Lkw auf zugekauften Chassis von Volvo und Mercedes. Aber es gab zunächst keine passenden Lkw für die Logistiker. Also begann man bei Designwerk, das Know-how zu nutzen und eigene Lkw zu bauen. Und sie unter dem Namen Futuricum auf die Straße zu schicken. Mit diesen Lkw stießen die Schweizer in neue Regionen vor: „Wir haben begonnen, uns intensiv mit der Ladetechnologie von Lkw zu beschäftigen, denn die unterscheidet sich von der Pkw-Ladetechnik ganz erheblich.“
Denn natürlich war das Ziel von Anfang an klar: „In der Schweiz als kleines Land fahren Lkw in der Regel keine Langstrecken. Bisher hatten wir nur Lkw mit einer Reichweite von 200 bis 300 Kilometern. Vor einem Jahr haben wir dann mit einem vom Schweizer Bundesamt für Energie (BFE) geförderten Projekt zur Entwicklung von Megawatt-Ladesystemen angefangen. Auch hier haben wir neue Benchmarks aufgestellt.“
Die Schweizer erreichten wie zu Beginn der Firmenhistorie einen Weltrekord: Im August 2021 legte ein Designwerk-Truck eine Strecke von 1.099 Kilometern ohne Zwischenladung zurück. Zum Einsatz kam ein 19-Tonner mit über 680 PS und einer Kapazität von 680 Kilowattstunden, damals der größten Lkw-Batterie Europas.
Laden (fast) ohne Limit
Nicht ohne Stolz in der Stimme berichtet Dettwiler von den neuesten Entwicklungen: „Wir haben im Herbst 2021 die ersten beiden Sattelzugmaschinen mit 900-kWh-Batterien ausgeliefert, mit einer Reichweite von 400 bis 500 Kilometern bei einer maximal möglichen Ladung von 40 Tonnen. Und das in Kombination mit einem Ladesystem, welches die Batterien innerhalb von rund 100 Minuten wieder auflädt. In der Schweiz können wir damit fast jede Entfernung abdecken. Und damit sind wir dann auch im europäischen Markt konkurrenzfähig.“
In Sachen Ladetechnologie hat Designwerk ein breites Portfolio entwickelt, vom kleinen AC-Ladeinlet mit 22 kW zum doppelten, parallelen System mit zwei AC-Fahrzeugladedosen. Daneben gibt es Schnellladelösungen mit 150 kW mit einer Systemspannung von 400 Volt. Werden optional zwei Batterieblöcke in Serie geschaltet, erreicht Designwerk beim Laden 800 Volt.
„Wir laden dann mit einer Leistung von dauerhaften 350 kW, in der Spitze sogar 384 kW. Wir sind die einzigen, die das hinbekommen haben. Es gibt in der Schweiz aktuell gar keine offiziell installierte Ladesäule, die mehr als das über etwa zwei Stunden abgeben kann. Die Fahrzeug-Ladedose von Phoenix Contact ist da übrigens kein Limit, die funktioniert bis 600 Ampere.
Im Bereich der Ladesäulen und damit dem Aufbau der nötigen Infrastruktur für Logistikbetriebe helfen wir, wenn der Kunde das wünscht. Häufig gibt es schon alternative Partnerschaften, denn es gibt in der Schweiz eine ganze Anzahl von Anbietern. Aber viele haben den Unterschied von Lkw zu Pkw nicht begriffen. Meist lässt sich zwar das Fahrzeug anschließen, aber die Ladezeiten sind nicht akzeptabel. Da nützen auch schöne Marketingwerte nichts. Darum haben wir angefangen, Ladesäulen zu benchmarken. Das Problem der fehlenden Leistung ist nicht immer das Problem der Strominfrastruktur auf lokaler Ebene, sondern auch oft die Dauerleistungsfähigkeit der Ladesäulen.“
Megawatt – megaspannend
Im herkömmlichen CCS-Inlet will sich Designwerk auf 500 bis 600 Ampere begrenzen. Mit dem Megawatt-Charging-System sollen in Zukunft aber bis zu 3000 Ampere möglich werden. Dettwiler erklärt: „In der Realität wird der Lkw über Nacht aufgeladen. Damit hat der Fahrer morgens mindestens 640 Kilometer Reichweite. Und er kann tagsüber mit dem Megawatt-Charging in 45 Minuten Energie für weitere 450 Kilometer nachladen. Damit realisiert man die Mittel- und Langstreckenfahrten mit 40-Tonnen-Lkw und über 1000 Kilometern pro Tag. Das sind dann Reichweiten, die sich auch mit Dieselmotoren schon aufgrund der maximalen Lenkzeiten nicht verlängern lassen.“
Neben dem Thema der Ladetechnologie mit all ihren technologischen Herausforderungen ist der Blick auf die Kosten gerade in der heiß umkämpften Branche der Logistik entscheidend. Auch hier können die Lkw aus Winterthur Boden gut machen, wie Dettwiler verrät: „Ein E-Lkw ist rund zwei- bis dreimal so teuer wie ein Dieselfahrzeug. Aber in der Schweiz geht der Business Case mit der Schwerlastabgabe nach drei bis vier Jahren auf, auch aufgrund des geringeren Serviceaufwands. Ab dann rechnet sich schon die höhere Investition.“ Es scheint, als ob die nächste elektromobile Revolution in den Startlöchern steht …