Heiß gewaschen

Lithium ist das Gold des 21. Jahrhunderts. Denn die moderne Welt verlangt nach massenhaftem Einsatz unter anderem in großvolumigen Batterien. Wie schön es doch wäre, wenn man das bröselige Metall aus heimischen Lagerstätten fördern könnte. Und dazu noch umweltverträglich. Kann das wirklich wahr sein?

Geothermiekraftwerk in Bruchsal

Um diese Frage zu klären, haben wir einen Termin vor Ort gemacht. In Karlsruhe. Also sozusagen mit beiden Füßen über dem Oberrheingraben, der hier verläuft. Und bei jemandem, der es wissen muss. Professor Jochen Kolb forscht am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zu diesem Thema. Der erfahrene Geowissenschaftler und Lagerstättenkundler weiß genau, was dran ist an der Meldung, dass in dieser Region das Gold der E-Mobilität quasi von selbst aus dem Boden kommt.

Das weiße Gold

Lithium kommt in der Natur nicht in reiner Form vor, dazu ist das Alkalimetall viel zu reaktionsfreudig. Als reines Lithium­oxid sieht es aus wie bröseliger Frischkäse. Doch dieses ­reaktive Leichtmetall ist heiß begehrt, denn es verleiht mobilen Energieträgern, also Akkus, ein langes, immer wieder aufladbares und robustes Leben. Problem ist, dass es momentan hauptsächlich aus Australien oder Chile kommt und aufgrund seiner Fördermethoden nicht unbedingt den umweltverträglichsten Ruf genießt.

Je nach Typ benötigen Batterien pro Kilowattstunde gespeicherter Energie etwa 80 bis 130 Gramm chemisch reines Lithium. In einem Tesla Model S werden ungefähr 10 Kilogramm des raren Metalls eingebaut. Noch gibt es viel zu wenig Akkus, die recycelt werden, da die Kraftquellen für ­E-Autos einfach zu lange halten. Daher muss Lithium entweder aus Gestein (Australien) oder Sole (Chile) gewonnen werden. Oder …

Der Schatz unter dem Oberrhein

… es sprudelt einem entgegen. Denn es gibt Stellen in der Hülle von Mutter Erde, in denen thermal erwärmtes Tiefenwasser nicht nur Energie abgibt, sondern zudem gelöstes Lithium und reichlich andere begehrte Stoffe mit sich führt. Genau diese Situation herrscht am Oberrheingraben vor. Schon die alten Römer wussten es sich hier dank Thermal­bädern behaglich einzurichten.

Heutzutage wird weniger nach einem warmen Fußbad verlangt. Stattdessen geht es um die Erschließung von tiefen Gesteinsschichten für Geothermiekraftwerke. In Bruchsal reichen die Bohrungen bis in 2.500 Meter Tiefe, im benachbarten Elsass gut doppelt so tief. Geothermiekraftwerke gibt es in Bruchsal, Landau, Insheim sowie in Soultz-sous-Soultz, Rittershoffen und La Wantzenau auf französischer Seite.

Das 160 Grad heiße Wasser aus der Tiefe wird mittels zweier Bohrungen erschlossen. Im ersten Bohrloch wird das heiße Wasser nach oben gepumpt und durch ein zweites Bohrloch mit einem Druck bis zu 50 bar wieder nach unten verpresst. Im Idealfall ein nahezu geschlossener Kreislauf, denn das heiße Wasser gibt durch ein System aus Wärmetauschern seine Energie ab. Die wird entweder direkt in ein Fernwärmenetz eingespeist oder genutzt zum Antrieb von Turbinen, die Elektrizität erzeugen. „Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn die Temperaturen sehr hoch sind, so wie etwa in Island“, so Jochen Kolb.

Fördern mit Filtern

Zur Höchstform laufen Kolb und sein Team auf, wenn es um die Mitbringsel des heißen Wassers aus der Tiefe geht. Denn in der heißen Sole befindet sich Lithium in beachtlicher Konzentration. Genug, um jedes Jahr etwa 20.000 Batterien aus nur einer Bohrung für etwa Tesla zu produzieren. Das lässt Interessenten aufhorchen: Zusammen mit der EnBW gibt es das Projekt Unlimited, welches vom BMWi finanziert wird und über vier Jahre läuft.

Professor Kolb ist Experte für Lagerstätten. Bevor er im Oktober 2016 seine Professur in Karlsruhe antrat, hat er sich zuletzt zehn Jahre in Grönland mit Rohstoffgeologie beschäftigt. In Karlsruhe arbeiten rund 40 Mitarbeitende in seinem Team und forschen an Themen rund um die Gewinnung von Gold, Kupfer, Kobalt, seltenen Erden oder eben Lithium. „Wir sind ein angewandter Zweig der Wissenschaft. Wir entwickeln ­Modelle, die die Industrie nutzen kann, um nach Rohstoffen zu suchen und sie zu fördern.“ Im benachbarten Bruchsal sind Kolb und seine Mitstreiter dem Lithium des Thermalwassers auf der Spur.

Wie aber bekommt man den Rohstoff der Energiewende gehoben? Mittels eines Bypass-Systems wollen die Geologen den Kreislauf des Thermalkraftwerks in Bruchsal anzapfen. Hier fließen rund 30 Liter pro Sekunde aus der Tiefe durch die Anlage. Das Wasser ist sehr salzig, trägt etwa 150 Gramm gelöste Stoffe pro Liter in sich, also rund viereinhalbmal mehr Teilchen als etwa in Meerwasser. Davon sind rund 160 Milligramm Lithium. Das ist zwar viel weniger als in den Salinaren der Anden, wo bis zu 1.000 Milligramm vorhanden sind. Aber durch die hohen Fließraten in den Anlagen, die von 30 bis 70 Liter pro Sekunde reicht, wird die Gewinnung interessant.

Rohstoff aus dem Bypass

Ein zunächst nur kleiner Teil davon soll abgezweigt werden und dann die Pilotanlage durchlaufen. Lithium und andere Rohstoffe aus der natürlich aufgeheizten Lösung werden hier mittels eines Manganoxids chemisch-mechanisch ausgefiltert, dann fließt die Sole zurück ins System und wird zurück in die Tiefe gepumpt. Das Manganoxid wird von seiner Lithiumfracht befreit und wieder zurückgewonnen. Aus dem gewonnenen Lithiumchlorid kann durch Fällungsreaktionen dann entweder Lithiumcarbonat oder Lithiumhydroxid für die Batterieproduktion hergestellt werden.

ARTIS-Uli Deck// 12.05.2021 EnBW Geothermiekraftwerk Bruchsal

Was im Labor im Reagenzglas im Rahmen einer Masterarbeit klappte, muss in der Pilotanlage in einem Durchfluss funktionieren. Das ist auch die große Herausforderung: „Die Anlage wird hinter dem Wärmetauscher installiert, arbeitet aber mit noch 60 bis 80 Grad heißem Wasser und großen Mengen an unerwünschten gelösten Stoffen.   

Wir erwarten für Bruchsal eine Lithiumgewinnung, die reichen sollte, um alle zwei Minuten eine Batterie im E-Bike und etwa 40 Minuten eine Tesla-Batterie zu fertigen. Die Größe der Lagerstätte können wir aber noch nicht abschätzen. Wir kennen die Verhältnisse im Untergrund noch nicht gut genug, dass wir wissen, wann wir durch die Salzreduktion das Tiefenwasser verdünnen und weniger Ertrag haben. Wir gehen aber von einer Förderbarkeit von mindestens 20 Jahren aus“, zeigt sich Professor Kolb optimistisch.

Gewinn und Verlust

Geothermie ist dort, wo kein Vulkan die Erdkruste bis unter die Schuhsohlen aufheizt, meist ein Zusatzgeschäft. „Hier bei uns in Bruchsal funktioniert das nur durch Subventionen, da der Wärmeaustausch und damit die Wärmefördermenge noch zu gering ist. Das Kraftwerk im französischen Rittershofen aber wird eingesetzt, um die Ernte für eine Stärkefabrik zu trocknen. In München wird gerade ein immer größerer Teil des Fernwärmenetzes durch Tiefengeothermie versorgt. Das klappt dort hervorragend.“

Aber richtig interessant wird es, wenn das „weiße Gold der Elektromobilität“ quasi als Nebenprodukt mit abfällt. Und das mit minimalen Auswirkungen auf die Umwelt. „Wenn man es richtig macht, ist auch die Gefahr von Erdbeben sicher beherrschbar.“ Kombiniert man die Wärmegewinnung mit den Lithiumerträgen aus den Geothermieanlagen, verändert sich das wirtschaftliche Szenario drastisch.

Professor Dr. Jochen Kolb

Das hat nicht immer nur positive Folgen. Der wissenschaftlich motivierte Goldgräber kennt sich mit dem Hunger nach seltenen Metallen aus: „Das ähnelt in seiner Nachfrage gerade schon ein wenig einem Goldrausch. Da stürzen sich auch viele kleine Unternehmen drauf, die sich ab und an durchaus am Rande der Seriosität bewegen, da trifft Aktienmarkt auf Marketingspektakel. Das kann klappen, aber das kann auch eine reine Luftnummer sein.“

Noch muss sich also kein Vertreter der Autoindustrie in Richtung Karlsruhe aufmachen: „Mit der EnBW haben wir einen Partner gefunden, der mit uns diese erste Pilotanlage errichten wird, die 2023 in Betrieb gehen soll. Funktioniert die, dann ist die Industrie am Zuge, um größere Anlagen zum Laufen zu bringen. Ich rechne damit, dass solch eine Großanlage dann noch einmal fünf bis zehn Jahre Entwicklung benötigt.“ Wer jetzt ungeduldig wird ob der Chancen, die das Feuer der Erde in Sachen regenerativer Energien und neuer Rohstoffe parat hält: Für Geologen, die sonst in Jahrmillionen rechnen, ist dieser Zeitraum ein Klacks!

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EnBW
Karlsruher Institut für Technologie KIT
Bergbau in Chile

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