Die Vision einer All Electric Society, in der fossile Energieträger abgelöst werden durch eine intelligent vernetzte regenerative Energieerzeugung, ist ohne Chile nicht realisierbar. Chile ist größter Kupferproduzent und in Sachen Lithium die Nummer zwei weltweit. Bergbau ist einer der Eckpfeiler der chilenischen Wirtschaft. Grund genug, der Rohstoffgewinnung in dem südamerikanischen Land einen genaueren Blick zu widmen.
Die zentralen Anden sind eine der bedeutendsten Bergbauregionen der Welt. Entlang der Pazifikküste schiebt sich eine ozeanische Platte unter den südamerikanischen Festlandssockel. Wasser, Hitze und Druck sorgen dafür, dass mineralische Lösungen in Gesteinsspalten gepresst werden und sich dort ablagern. Ein paar hunderttausend Jahre später freut das den Bergbau. Von Valparaiso in Chile bis Lima in Peru reichen die Abbaugebiete. Neben Kupfer wird Eisenerz, Jod, Schwefel, Kohle sowie Gold, Mangan und Molybdän abgebaut. Und das schon seit grauer Vorzeit.
Kupfer wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts industriell abgebaut. Die Chuquicamata Mine ist bereits 1915 aufgeschlossen worden und wurde bis 2019 im Tagebau betrieben. Mehr als 1000 Meter tief reicht der tiefste je von Menschenhand geschaffene Krater. Mittlerweile werden die Kupfervorkommen hier im Tiefbau erschlossen. Rund 5,7 Millionen Tonnen Kupfer wurden allein 2020 in den Minen Chiles gewonnen.
Der Abbau von Lithium hat erst seit 2016 enorm an Wichtigkeit gewonnen. Heute denkt man vor allem an die Akkus von Elektromobilen, doch Lithium steckt auch in allem anderen, was der moderne Mensch elektrifiziert durch die Gegend schleppt, vom Smartphone bis zur Schlagbohrmaschine, vom Rasierer bis zum Laptop.
Welche Auswirkungen hat der Bergbau auf das südamerikanische Land? Sind Bergbau, Rohstoffgewinnung und Nachhaltigkeit miteinander vereinbar? Und welche Rolle spielt Phoenix Contact in diesem Spannungsbogen? Wir haben zwei Experten dazu befragt.
Chile ist viel mehr als nur ein Rohstoffland
Iris Wunderlich (37) lebt und arbeitet seit 2015 in Santiago de Chile und übernahm Anfang des Jahres die Aufgabe als Project Leader Mining & Sustainability in der Deutsch-Chilenischen Industrie- und Handelskammer. Seit 2019 ist sie zudem Mitglied des Botschafterinnen-Netzwerks „Women in Energy“. Die gebürtige Schwäbin hat in Kassel Spanisch und Wirtschaftswissenschaften studiert und sich dabei auf den Bereich der internationalen und nachhaltigen Unternehmensführung und der Erneuerbaren Energien spezialisiert.
Frau Wunderlich, aus welcher Sicht blicken Sie auf Ihre Themen: aus der deutschen, der chilenischen oder der globalen?
Aus allen dreien. Als Kammer versuchen wir zunächst natürlich, durch unsere Kenntnis der Situation hier vor Ort für deutsche Unternehmen Unterstützung zu bieten, wenn sie in Chile oder regional aktiv werden wollen. Also haben wir die deutsche Brille auf. Aber natürlich sind wir auch Ansprechpartner für chilenische Unternehmen, die sich Richtung des deutschen Marktes bewegen wollen oder, was meist der Fall ist, sie Zugang zu deutscher Technologie suchen, auch wenn es um Bereiche der Nachhaltigkeit geht. Da haben wir die chilenische Sicht auf die Dinge. Und Nachhaltigkeit und weltweite Lieferketten sind Themen, die in der Natur des Bergbaus liegen.
Rohstoffländer sind häufig politisch instabil und wirtschaftlich einseitig auf Export ausgerichtet. Trifft das auch in Teilen für Chile zu?
Nein, nicht ganz. Bis Oktober 2019 war Chile in Sachen Stabilität das Vorzeigeland in Südamerika. Dann brachen jedoch soziale Unruhen aus, die dazu geführt haben, dass nun eine neue Verfassung im Rahmen einer verfassungsgebenden Versammlung ausgearbeitet werden soll. Die Corona-Pandemie und die Bekämpfung der damit verbundenen Gefahren für Gesundheit und Wirtschaft bestimmen natürlich gegenwärtig auch in Chile die politische Diskussion.
Gibt es eine Art von Rohstoffkolonialismus, also übermächtige ausländische Konzerne, die wirtschaftlich nur Eigeninteressen verfolgen und das Kapital abfließen lassen?
Zum einen gibt es mit CODELCO den dominierenden Player im chilenischen Kupferbergbau. Hierbei handelt es sich um ein chilenisches Staatsunternehmen. Daneben gibt es große australische, englische und kanadische Unternehmen. Dazu kommen kleine und mittlere chilenische Bergbauunternehmen. Diesen steht mit ENAMI eine staatliche Einkaufsgesellschaft zur Verfügung, die ankauft, verarbeitet und dann auch weiterverkauft, als Ergänzung zu den großen Unternehmen.
Daneben beobachten wir auch wachsendes Interesse anderer ausländischer Investoren, da kommen zum Beispiel US-amerikanische oder chinesische Gesellschaften neben den oben genannten ausländischen Konzernen zum Zuge.
Wie sehr sind die Interessen der in Chile aktiven Bergbau-Unternehmen auch auf Nachhaltigkeit ausgerichtet?
Wir haben hier in Chile eine Umweltschutz- und Energiepolitik, die sehr konsequent auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, ungeachtet der jeweils regierenden politischen Richtung. Das betrifft in hohem Maße auch den Bergbau. Das Energieministerium ist hier erst im Jahre 2010 gegründet worden, seitdem aber ohne große Schwankungen in seiner Ausrichtung, unabhängig von der jeweiligen Regierung. Diese Konstanz und Verlässlichkeit ist auch für chilenische und deutsche Unternehmen besonders wichtig.
Wenn es um Nachhaltigkeit geht, ist der Einfluss von den großen internationalen Unternehmen sogar eher positiv. Dabei geht es nicht nur um den Umweltsektor, sondern auch um soziale Standards, etwa um Arbeitsbedingungen und -sicherheit oder dem in Chile sehr wichtigen Thema des Umgangs mit indigenen Bevölkerungsgruppen. Es gibt viele Beispiele, wo sowohl internationale als auch chilenische Unternehmen sehr positive Impulse in Sachen Umweltschutz und Nachhaltigkeit setzen. Energieeffizienz ist ein großes Thema, seit diesem Jahr auch gesetzlich verankert durch das Energieeffizienzgesetz, aber auch die Integration von erneuerbaren Energien, sei es durch eigene Parks, oder groß angelegte Energielieferverträge mit 100 Prozent regenerativem Strom zwischen den Minengesellschaften und den Energieversorgern. Hinzu kommt die verstärkte Nutzung von entsalztem Meerwasser für die bergbaulichen Prozesse.
Gilt das auch für den Lithiumabbau?
Bisher ist Australien größter Lithiumproduzent. Dort wird Lithium in Erz gewonnen. In Chile wird Lithium über Sole in den Salzseen abgebaut. Die beiden großen Unternehmen, die hier Konzessionen haben und Lithium in großem Stil gewinnen, sind eine US-amerikanische und eine chilenische Firma. Es sind weitere Konzessionen vergeben, die Firmen sind aber noch nicht aktiv im Abbau.
Auch beim Lithiumabbau ist das Thema Nachhaltigkeit wichtig. Vor allem mit Hinblick auf die zunehmende Nachfrage und den prognostizierten Boom der Elektromobilität, der natürlich nicht auf dem Rücken der Stabilität eines empfindlichen Ökosystems ausgetragen werden darf. Es ist deshalb unabdingbar, dass nach Möglichkeiten gesucht wird, wie die Technologie es schaffen kann, möglichst minimal-invasiv Rohstoffe zu gewinnen, die für eine Energiewende, auch im Transportsektor, notwendig sind.
Welche Rolle spielen erneuerbare Energien für Chile?
Der Bereich boomt und ist nach dem Bergbau der Sektor, in dem seit Jahren am meisten investiert wird. Chile hat weltweit das höchste Potential zur Gewinnung von grünem Wasserstoff. Chile hat eine nationale Wasserstoffstrategie verabschiedet und ist hier ein enges Partnerland Deutschlands und in regem Austausch. In Patagonien gibt es ein Projekt, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert wird. Dort soll mithilfe von Windkraft grüner Wasserstoff gewonnen und zur Erzeugung von synthetischen Kraftstoffen eingesetzt werden.
Der Energiesektor ist insgesamt einfach ein Boom-Sektor. Chile ist eben viel mehr als nur ein Rohstoffland und -lieferant!
Deutsch-Chilenische Industrie- und Handelskammer
Nächste Seite: Phoenix Contact in Chile
Chile kann ein Motor der All Electric Society sein!