Was geschieht eigentlich mit alten Windenergieanlagen, wenn sie abgebaut werden? Während selbsternannte Experten mit gesundem Halbwissen behaupten, dass hier unzählige Tonnen Sondermüll entstehen würden, besuchen wir zwei Fachleute bei einem Abbau vor Ort, um diesen Legenden nachzugehen.
Treffpunkt Einöde: In Lövenich in der Nähe des großen rheinischen Braunkohlereviers müssen alte Anlagen neuen weichen. Repowering ist angesagt. Der Energiedienstleister Engie betreibt hier seit 2001 acht AN BONUS-/Siemens-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 10,4 MW. Vier der alten Anlagen mit je 1,3 MW werden durch zwei neue Anlagen mit je 5 MW ausgetauscht. Wir sind verabredet mit Mareike Brinkmeyer und Bernd Weidmann. Die beiden sind, jeder für sich, Expertin bzw. Experte in Sachen Wiederverwertung von ausgedienten Windmühlen.
Die sanften Zerstörer
Mareike Brinkmeyer ist Mitarbeiterin im Vertrieb bei der Hagedorn Service GmbH. Die Ostwestfalen sind ein Unternehmen mit Hauptsitz in Gütersloh und machen mit Leidenschaft kaputt, was andere etliche Jahre zuvor aufgebaut haben. Das Angebot reicht von Abbruch und Altlastensanierung über Entsorgung und Tiefbau bis hin zur Wiederaufbereitung der geräumten Fläche.
„Hier in Lövenich haben wir den Auftrag, zunächst vier alte Windenergieanlagen fachgerecht abzubauen“, erklärt die gelernte Stadtplanerin, die seit 2020 bei Hagedorn beschäftigt ist. „Wir haben uns bei Hagedorn unter anderem spezialisiert auf den Rückbau von Windenergieanlagen, bauen aber auch Großanlagen wie Kraftwerke oder Fabriken zurück. Im Windenergiebereich kommen aber immer mehr Aufträge auf uns zu.“
Brinkmeyer beschreibt, wie die Windmühle demontiert wird: „Zunächst nehmen wir mit einem Schwerlastkran die Flügel ab. Die Blätter bringen einzeln locker viereinhalb Tonnen auf die Waage – da ist Feingefühl angesagt. Dann demontieren wir das Maschinenhaus und die Nabe. Allein beim Maschinenhaus hängen 50 Tonnen am Kran. Danach tragen wir Stück für Stück den Turm ab. Hier besteht er aus drei Stahlsegmenten. Bei Beton würde ihn unsere eigene Sprengtruppe auch kontrolliert sprengen. Oder wir nehmen Seilbagger und Abrissbirne und gehen konventionell ans Werk. Das hängt immer von der Situation vor Ort ab, vom Platz, von anderen Anlagen, Leitungen oder Gebäuden in Reichweite. Die demontierten Anlagen werden dann der Wiederverwertung zugeführt.“
Die meisten Anlagen, die Hagedorn momentan abbaut, sind aus dem Förderprogramm des Gesetzes für Erneuerbare Energien (EEG) gefallen und haben ein Alter von 25 Jahren und älter. „Dann lohnt sich der Weiterbetrieb nicht, obwohl die Anlagen oftmals noch jahrzehntelang laufen könnten. Wieder verkauft wird, was auf dem Markt gefragt ist. Maschinenhäuser werden oft im Stück abgegeben, aber auch Türme können, wenn technisch möglich, einen zweiten Wiederaufbau an anderem Standort erleben.“
Die Wiederbeleber
Bernd Weidmann weiß, wie man Karrieren startet. Der 55-Jährige war nicht nur leidenschaftlicher Fußballer. Der gelernte Industriekaufmann nennt sich selber Plattformökonom. Und weiß, wovon er redet, denn bevor er den Markt der Windmühlen für sich entdeckte, hat er die seinerzeit erfolgreichste Pferdeverkaufsbörse Europas (pferde.de) aufgebaut. Und quasi nebenbei auch seinem Heimatort mit der lokalen Seite main-kinzig-kreis.com Ende der 90er den Zugang ins Internet ermöglicht.
Wie kam er zu den erneuerbaren Energien? „2011 wollte ich unbedingt eine b2b-Plattform etablieren. Fukushima, Energiewende, Klimakrise – ich wollte die größte Plattform für gebrauchte Windenergieanlagen weltweit aufbauen.“ Für stolze 9.000 $ sicherte er sich die Domain wind-turbine.com und begann, Kontakte in die Branche aufzubauen. Und eine Möglichkeit, dass gebrauchte Anlagen ihren Besitzer wechselten: „Die erste Anlage war eine Enercon E17. Ein Landwirt hier aus der Gegend hatte mich angerufen und gemeint, er hätte eine alte Enercon, die müsse weg von seinem Acker. Er würde die auch verschenken oder an ein Museum abgeben. Ich habe ihm dann gesagt, dass wir mal einen Verkauf probieren würden. Die Polaroidbilder hat der Bauer mir erstmal per Post geschickt, dann habe ich die Anlage selber eingestellt. Und tatsächlich: Nur rund 50 Kilometer entfernt saß ebenfalls ein Betreiber, der auch noch diese Uraltanlage in Betrieb hatte. Und dem ist ein Generator kaputt gegangen. Der ist dann mit seinem Traktor rübergefahren und hat sich die Anlage abgeholt. Und peng, hatte ich zwei Landwirte glücklich gemacht.“
Erfolg mit altem Krempel
Trotzdem dauerte es noch etwas, bis sich Weidmann in der Szene etablierte. „Ich bin ja vor allem Kaufmann, keiner dieser Windpioniere mit eigener Mühle im Vorgarten. 2015 kam aber der Durchbrauch. Auf der Messe Husum Wind kamen die ersten namhaften Unternehmen auf mich zu.“ Dann ging es steil bergauf. Weidmann übernahm 2016 den damaligen Marktführer aus den Niederlanden und damit die internationale Führungsrolle auf dem Markt für gebrauchte Windenergieanlagen.
„Wir verkaufen nicht selbst, sondern vermitteln, ähnlich wie etwa mobile.de, die Verkäufe. 60 bis 70 Prozent aller Verkäufe werden von Maklern angeboten. Und mehr als 90 Prozent der Käufer sind im Ausland aktiv, mit einem starken Anteil aus Osteuropa.“ Beim Gang durch die alten Windräder erzählt Bernd Weidmann, dass es allerdings durchaus auch Besucher aus mehr als 190 Ländern weltweit auf seiner Plattform gäbe. „Osteuropa ist durch die geografische Nähe bevorteilt, wenn es um gebrauchte Anlagen aus Deutschland geht. Doch mittlerweile stehen auch schon Mühlen in Nordafrika oder Südamerika.“ Die Käufer kommen aus ganz unterschiedlichen Branchen, von einer Hotelgruppe aus Nigeria über Kleinenergieunternehmer aus Peru. „Mit Rückbau, Transport und Aufbau ist man zwar auch bei 200.000 bis 500.000 Euro, aber eben nicht bei fünf Millionen. Und wenn die Anlagen gut gewartet sind und werden, dann halten die locker noch 10 bis 15 Jahre, vielleicht sogar länger.“
Markt mit Potenzial
Von wegen „teurer Sondermüll“ – die beiden Fachleute blinzeln in die Sonne. Der Markt wird sich in Zukunft noch vergrößern, denn es laufen jetzt viele Anlagen aus den Förderprogrammen. Und gleichzeitig springen neue Betreiber auf. „Allein 2020 haben wir an mehr als 280 Kunden Angebote geschickt,“ berichtet Mareike Brinkmeyer. Und Bernd Weidmann zeichnet den größeren Rahmen: „Über unsere Plattform orchestrieren wir den internationalen Markt und stellen als vertrauenswürdige Instanz Kontakte zwischen Käufer und Verkäufer her. Unsere Motivation ist es, mit Hilfe der Digitalisierung die Energiewende global zu beschleunigen – im besten Fall mit deutscher Technologie und unserem Know-how.“