Das Herz des Parks

Mal scheint die Sonne, mal verdunkeln Wolken den Tag. Und die Solarpaneele. Mal weht der Wind, mal ist Flaute. Und die Windräder stehen still. Diese Schwankungen der regenerativen Energien müssen unsere Stromnetze aushalten. Im All Electric Society Park wird sichtbar, was dazu nötig ist.

Andreas Flandermeier vor „seinem“ ganz speziellen Trafohäuschen

Nahezu jede Tür im All Electric ­Society Park steht den Besucherinnen und Besuchern offen. Doch gerade in der Mitte des Parks steht ein auffälliger Cube, dessen Türen wohlweislich fest verschlossen sind. Sein Inneres legt er trotzdem offen, denn große Glasflächen erlauben einen Einblick in die zentrale Trafostation mit ihrer Mittel- und Niederspannungsverteilung. Aber das Betreten ist streng verboten, denn hier liegt hohe Spannung an. Vorwitzige Besucherinnen oder Besucher könnten unfreiwillig zum Blitzableiter mit fatalen Folgen werden.

Offenherzig mit Sicherheitsgarantie

Mit dem Wissen betrachtet man den Zweckbau mit ganz neuen Augen. Zugegeben: Action sieht anders aus. Hier dreht sich nichts, und außer ein paar Leuchtdioden gibt es auch keine Lichter-Show. Doch für den verantwortlichen Experten ist das der Idealzustand. „Diese Transformatorenstation ist etwas ganz Besonderes, denn die Glasflächen müssen im Fall von größeren Störungen extremen Energien standhalten, die von innen nach außen wollen.“ Andreas Flandermeier zeigt verantwortlich für Gehäuse und Innenleben des zentralen Kraftverteilers.

Phoenix Contact besitzt zur Versorgung der Produktion eine eigene 30-kV-Ringleitung quer durch das Firmengelände. Die elektrische Energie aus diesem Ring verteilen mehr als 20 Trafo­stationen, nahezu gleich viele wie im gesamten Stadtgebiet von Blomberg zu finden sind. Sicher der eindrucksvollste dieser Herzschrittmacher der elektrischen Versorgung steht direkt im All Electric Society Park. Andreas ­Flandermeier war Projektleiter für diese besondere Trafo­station: „Die Ringleitung verläuft hier direkt unter dem Park und dem Cube entlang. In dem vertikal begrünten Würfel sind sowohl die Mittel- und Nieder­spannungsschaltanlagen als auch die beiden grünen Transformatoren unter­gebracht und durch die Glasscheibe sichtbar gemacht.“

Luftikus

Details im Inneren zeigen, wie sorgfältig das Thema Nachhaltigkeit hier gedacht wird: Die Mittelspannungsschaltanlage setzt sich aus vier Abschnitten zusammen, den sogenannten Schaltfeldern. Sie verbinden die Station mit dem 30-kV-Unternehmensnetzwerk und den beiden Transformatoren. Als Isoliermedium der Mittelspannungsschaltanlage wurde bewusst auf Luft statt der sonst üblichen Gasisolation gesetzt. Eine Anlage, die das klimaschädliche Isoliergas SF6 nutzt, wäre deutlich kompakter. Aber SF6 erweist sich als 23.000mal klimaschädlicher als CO2, sollte es durch einen Fehler freigesetzt werden.

Ein einmaliger Würfel

Die Niederspannungsschaltanlage, die ebenso im Schaltraum untergebracht ist, übernimmt den Schutz der einzelnen Verbraucher und Erzeuger im All Electric Society Park. Jedes abgehende Kabel wurde mit einer eigenen Energiemessung ausgestattet. Die Station ist via Lichtwellenleiter mit der Leitzentrale im Pavillon verbunden, wo alle Daten erfasst werden, bis hin zum Öffnen der Tür.
Der größere der beiden grünen Transformatoren versorgt den All Electric Society Park mit Strom aus der Ringleitung. Der kleinere sorgt für die Anbindung eines 1,1 MWh-Batteriespeichers. Gekühlt werden die Trafos durch einen synthetischen Ester. Der ist biologisch abbaubar und ersetzt das sonst gebräuchliche Mineral­öl.

„Transformatorenhäuschen sind ja eigentlich nichts besonders. Doch dieser begrünte Würfel ist einmalig und wird es auch bleiben“, schildert der 46-Jährige Elektroingenieur und Projektleiter nicht ohne Stolz. „Wir haben hier zusammen mit den Experten von der Firma ­Gritec aus Baden-Württemberg einen Proto­typen realisiert, der voller Innovationen steckt. Das fängt schon mit dem Basismaterial an. Normale Trafostationen bestehen aus stabilen Stahlbetonwänden. Stabil ist unsere Station auch, doch sie wiegt viel weniger. Denn hier kommt Carbon­beton zum Einsatz.“

Statt der üblichen Stahlarmierung verstärken Matten aus Carbonfasern den Beton und sorgen für die geforderte Zugfestigkeit. So konnten die Wandstärken der Trafostation von 14 Zentimeter auf acht Zentimeter reduziert und so mehr als 15 Tonnen Beton eingespart werden. Weniger Beton bedeutet weniger Zement. Und weniger Zement ist aufgrund seiner enorm energieintensiven Herstellung daher ein bedeutender Faktor bei der Reduzierung des CO2-Fußabdrucks der Station.

12,2 Minuten Blackout

Andreas Flandermeier spannt den Bogen von der dekorativen Trafostation zur allgemeinen Energiewende: „Mit den hier eingesetzten Technologien überwachen wir den Zustand von Nieder- und Mittelspannungsanlage in Echtzeit. Die gewonnenen Daten lassen sich für die langfristige Netzplanung und Instandhaltung ebenso verwenden wie für den täglichen Betrieb. Die Messwertübertragungen in Echtzeit ermöglichen die digitale Aufnahme des Zustands der Mittel- und Niederspannungsnetze. Wo im Verteilnetz in der Vergangenheit die Maximalstrommessung per Schleppzeiger über die maximale Last in einem Jahr Auskunft gegeben hat, können nun per Fernwirktechnik aussagekräftige Lastprofile erstellt werden. Diese bilden die Grundlage für einen gezielten Netzausbau an den Stellen, an denen er wirklich benötigt wird. Durch die Digitalisierung wird die notwendige Transparenz und Übersicht sämtlicher Stationen im Verteilnetz geschaffen. Störungen können aus der Ferne schnell erkannt und angegangen werden. Mit einer Fernschaltung können gestörte Netzabschnitte isoliert und abgeschaltet werden. Das erhöht die Versorgungsqualität, ob für Privathaushalte oder Industrieunternehmen. Schließlich hatten wir in Deutschland pro Endverbraucher im ganzen Jahr 2022 nur 12,2 Minuten Stromausfall. Das ist international ein Spitzenwert, den wir auf jeden Fall halten wollen, trotz des Ausbaus der regenerativen Energiequellen.“

Die Trafostation
Acht Prozent des weltweiten Kohlendioxidausstoßes gehen zu Lasten des Baustoffs Zement. In der Trafostation im All Electric Society Park wurde Carbonbeton eingesetzt und allein damit schon 15 Tonnen Material eingespart. In den ­Transformatoren wird mit biologisch abbaubarem Esther gekühlt, nicht mit dem üblichen Mineralöl. Und isoliert wird hier mit Luft statt mit dem extrem ­klima­schädlichen Isoliergas SF6.

Facts

  • 2 grüne Transformatoren stellen den Kontakt zur Ringleitung und dem ­Batteriespeicher her
  • 590 Kilogramm CO2 werden bei der Herstellung von einer Tonne Zement freigesetzt

Der All Electric Society Park
Phoenix Contact Intelligente Ortsnetzstationen
Betonbau gmbH / Gritec

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