Ein kalter Tag im Mai, nahe Paderborn – Ortstermin auf dem Acker. Bei eisigem Wind und Hagelschlag nutzen wir die Chance, ein bisher in Deutschland einzigartiges Projekt zu besuchen. Doch ist das Gebilde ein Solarkraftwerk? Oder ein Gewächshaus?
Den Beeren, die Landwirt und Elektrotechniker Fabian Karthaus im ostwestfälischen Büren anpflanzt, sind diese Diskussionen schnuppe. Erd-, Heidel- und Himbeersträuche fühlen sich unter den 4.200 Quadratmetern Solardach offensichtlich pudelwohl, wie ihr Besitzer nicht ohne Stolz erzählt: „Wir hatten schon im ersten Jahr eine richtig gute Ernte mit überdurchschnittlich gut entwickelten Früchten, sowohl in Sachen Größe als auch Geschmack.“
4.200 Quadrameter Solarfläche, 800.000 kWh Jahresertrag
Doch für Baugenehmigung und Rentabilität der ersten und in Deutschland größten Food-Voltaik-Anlage, wie sie Fabian Karthaus nennt, sind diese Definitionen ganz entscheidend. „Das hier ist keine aufgeständerte Photovoltaikanlage, sondern es ist ein Gewächshaus“, betont Burkhard Hesse. Der Inhaber eines auf Photovoltaik spezialisierten Handwerksunternehmens im benachbarten Geseke ist der Planer und Errichter des energiegeladenen Bauwerks. „Es bietet den Pflanzen primär Schutz vor Hagel und Niederschlag. Dadurch gibt es weniger Probleme mit Schimmel und Krankheiten. Außerdem haben wir hier in der kalten Jahreszeit eine Temperaturanhebung von bis zu drei Grad gemessen, so dass wir deutlich länger frostfrei sind.“
Die Plantage unter den Solarmodulen ist so raffiniert angelegt, dass Regenwasser über ein Drainagesystem aufgefangen wird. Und das, ohne dass Tropfwasser von oben auf die Blüte oder Frucht fällt und so Schäden verursachen kann. Die in langen Reihen angelegten Torfbeete bieten den Beeren den richtigen pH-Wert. „Beeren brauchen sehr saure Böden“, erklärt Landwirt Karthaus. „Durch die Art der Anlage sind wir nicht nur energieautark, sondern mussten selbst im extrem trockenen letzten Sommer nicht zusätzlich bewässern.“ Für den Bio-Gedanken, der hinter dieser Plantage steckt, eine wichtige Grundlage.
„Einen Solarpark hätten wir hier nicht genehmigt bekommen. Und als das Bauamt vor Ort war, wurde uns bescheinigt, dass dies kein Gebäude sei und zurückgebaut werden müsse. Doch bei einem Ortsbesuch kurz danach stellte unsere Landesbauministerin fest, dass die Anlage sehr wohl ein Gebäude und deshalb zu genehmigen sei. Also ist es jetzt ein Gebäude, nämlich ein Gewächshaus“, schmunzelt Burkhard Hesse. Und fügt hinzu: „Wir könnten hier bis zum Horizont Folientunnel-Gewächshäuser aufbauen, die nach zwei Jahren entsorgt werden müssen. Aber eine langlebige Solaranlage erscheint den Behörden problematisch.“
Der Stromertrag von gut 800.000 kW/h pro Jahr deckt den betrieblichen Bedarf der Anlage locker ab, der Rest wird ins öffentliche Netz eingespeist. Betrieblicher Bedarf? Fabian Karthaus zeigt auf die Halle im Hintergrund: „Wir haben so hohe Erträge, dass wir die Beeren nicht allein im Direktverkauf auf dem Hof loswerden. Also haben wir uns entschlossen, die überschüssigen Beeren gefrierzutrocknen. Die dazu nötige Anlage ist zwar sehr energieintensiv, doch mit den solaren Erträgen vom „Gewächshausdach“ ist das kein Problem – wir belasten die Umwelt trotzdem nicht.“
Von hüfthoch übers Traktordach
Basis des solaren Gewächshauses ist eine Freiflächenanlage, die höhergesetzt wurde. Die Module sind aufgeständert auf Standard-Rammprofilen in einer verstärkten Version, die 170 cm tief in die Erde reichen. Die Bauzeit für die gesamte Anlage betrug nur etwa einen Monat. Hesse zeigt nach oben: „Die Solarmodule sind eine Spezialanfertigung aus der Solarfabrik aus dem fränkischen Wiesen. Bei ihnen ist kein UV-Filter integriert, und sie besitzen eine Restdurchlässigkeit des Lichts von etwa zehn Prozent. Das reicht für die Gewächse locker aus.“
Aktuell hat das Fraunhofer-ISE-Institut Freiburg angefragt, ob sie die Anlage wissenschaftlich begleiten können. „Agrarphotovoltaik ist ein neues und sehr spannendes Thema, das weltweit auch in der Wissenschaft diskutiert wird.“
Regelung mit Brief und Siegel
Geregelt wird die Anlage durch den neuen EZA-Regler von Phoenix Contact. Der darin integrierte PLCnext-Controller übernimmt dabei nicht nur die Erfassung der Strommengen, sondern bekommt auch Sensordaten, etwa von der Sonneneinstrahlung, mitgeteilt. Programmierung und Adaption der Steuerung an die Anlage haben Burkhard Hesse und sein Team durchgeführt. „Man könnte auf der gleichen Steuerung etwa noch die Bewässerungssteuerung mitlaufen lassen.“ Hesse zeigt sich begeistert von der Steuerung: „Da ist noch enorm viel Potenzial in der Technik. Vor allem in Sachen Anforderung der Netzbetreiber, die in Zukunft immer weiter zunehmen werden. Und die Steuerung ist zertifiziert, das nimmt uns ebenfalls viel Arbeit ab.“
Die Komplexität der Anlage, ihre ökologische Bilanz dank Doppelnutzung und die zukunftsweisende Technik müssten den Betreibern doch bei jedem Rundgang Freudentränen in die Augen treiben, oder? Fabian Karthaus setzt ein schiefes Lächeln auf: „Naja. Aufgrund des neuen Energieeinspeisungsnovelle ist der Erlös des Stroms, den wir ins öffentliche Netz einspeisen, so gering, dass sich die reine Solaranlage wirtschaftlich aktuell nicht rechnet. Und traditionelle Obst- und Gemüsebauern setzen auf klassische Gewächshäuser.“
Beim Thema des Eigenverbrauchs hellt sich die Miene des pfiffigen Landwirts dann wieder auf. „Und bei der gesellschaftlichen Akzeptanz sind wir natürlich ganz vorne. Das weckt bei jedem Besucher Begeisterung.“ Hesse fügt mit breitem Schmunzeln hinzu: „Und die Beeren sind natürlich der Hit, die werden uns hier aus den Händen gerissen.“
Hesse OHG
Phoenix Contact Lösungen für Solarenergie