Verzicht ist keine Lösung

Dr. Gunther Kegel ist CEO der Pepperl+Fuchs AG und seit dem 9. Oktober frischgewählter Präsident des Zentralverbands der deutschen Elektroindustrie, ZVEI. Und damit quasi automatisch ein Befürworter einer All Electric Society. Wie diese Vision umgesetzt werden kann, skizziert er im Gespräch mit Angela Josephs, Leiterin der Unternehmenskommunikation von Phoenix Contact.

Dr. Gunther Kegel

Eine Welt, deren Motor die Elektrizität ist, sieht der Automatisierungsexperte auch für folgende Generationen zukunftssicher. Der neue Präsident des ZVEI war Teilnehmer der diesjährigen Digital Days, der virtuellen Messeveranstaltung der Hannover Messe. In diesem Rahmen trafen wir den gelernten Ingenieur und Top-Manager.

UPDATE: Der ZVEI hat eine Kampagne ins Leben gerufen, die sich „Innovation schützt Klima“ nennt. Wie geht das – wie kann Innovation denn Klima schützen?

Tatsächlich ist das für uns ein großes Thema, bei dem wir als Branche auch eine Menge zu sagen haben. Wir stehen ­heute vor den größten Herausforderungen der Menschheitsgeschichte – nämlich dem Klimaschutz und der Erderwärmung. Wir brauchen ein Klima, welches perspektivisch das Leben von rund elf Milliarden Menschen ermöglichen muss.
Da kann die Elektrotechnik einen wesentlichen Beitrag leisten. Und zwar, indem wir nicht über Verzicht und Verbot das Klima schützen, sondern indem wir über technologische Alternativen und Innovationen nachdenken. Ziel muss es sein, dass Konsum und Wohlstand zunehmen, und zwar für alle. Und das, ohne dass der CO2-Ausstoß weiter zunimmt und wir den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Das geht nur über Innovation.

Angela Josephs im Gespräch mit Dr. Kegel

UPDATE: Erwarten Sie, dass die Nutzung fossiler Energieträger völlig eingestellt wird?

Wir werden diese Energieträger anders nutzen, etwa zur Herstellung von Kunststoffen oder Arzneien. Da werden sie unverzichtbar bleiben. Erdgas ist ja schon längst für die chemische Industrie nicht nur ein Energieträger, sondern auch Basisstoff für viele Produkte.
Wir müssen davon ausgehen, dass wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren weltweit alle Prozesse, in denen der Mensch CO2 freisetzt, so verändern, dass eben kein Kohlendioxid mehr freigesetzt wird.

UPDATE: Ökonomie im Dienst der Ökologie – ist das jetzt, provokant gefragt, das grüne Mäntelchen einer Branche?

Nein, eher das Gegenteil. Wir müssen akzeptieren, dass das wirkmächtigste Instrument für Veränderungen das System der Marktwirtschaft ist. Für den Unternehmer muss es sinnvoll und gewinnträchtig sein, in Dekarbonisierung zu investieren, dann wird er es tun. Und für den einzelnen Menschen muss es ebenfalls finanziell attraktiv sein, sich mit CO2-freien Dingen auseinander zu setzen. Damit setze ich die Ökonomie in den Dienst der Ökologie. Nur wenn wir es schaffen, diesen Anreiz zu geben, dann werden sich alle dahinter versammeln. Sonst erreiche ich nur die Idealisten, die Verantwortung aus sich ­heraus übernehmen. Das sind aber nur 10 oder 20 Prozent, nicht die entscheidende Masse.

UPDATE: Attraktivität für den Einzelnen und für die Unternehmen bedeutet aber, dass die Politik die Rahmenbedingungen dafür schaffen muss.

Das sind die Einzigen, die diese Rahmenbedingungen erstellen können. Ein Beispiel ist die Notwendigkeit, CO2 zu bepreisen. Das muss das entscheidende Steuerungselement sein, mit dem wir arbeiten. Damit lohnt es sich, weg vom CO2 und hin zu regenerativen Energien zu denken und zu wirken.
Dazu müsste man keine neuen Steuern erfinden. Die, die es schon gibt, müssten so austariert werden, dass sich Zukunftstechnologien schneller rentieren und wettbewerbsfähig sind. Das machen wir heute noch nicht konsequent genug. Da gibt es noch zu viel Widerstand aufgrund von angeblichem Vertrauens- oder Investitionsschutz. Aber der nötige gesellschaftliche Wandel ist eben auch riesengroß.

UPDATE: Kommen der Wandel und die damit verbundenen ­Disruptionen in Technologie und Wirtschaft zu langsam?

Das ist immer die Frage, welchen zeitlichen Maßstab Sie dabei ansetzen. Wenn man heute sagt, das dauert noch 20 Jahre, dann hört sich das quälend langsam an. Wenn Sie sich in 20 Jahren umsehen, dann sehen Sie, dass kein Stein auf dem anderen geblieben ist. Das ist schon mächtig disruptiv. Für ein Sozialsystem, für eine Gesellschaft sind 25 Jahre ein ganz kurzer Zeitraum. In der Zeit kann man fast keine Transformation zu Ende bringen, ohne dass es schwer Benachteiligte gibt. Und das müssen wir unbedingt vermeiden, dass durch diese Transformation ein Bruch durch die Gesellschaft geht und es große Gruppen von Menschen gibt, die dadurch zu Ver­lierern ­werden.

UPDATE: Die Wissenschaft weist auf diese Problematik schon seit Jahrzehnten hin. Hat die Wirtschaft verschlafen und dadurch die Probleme größer gemacht?

Das kann man so sehen. Bis sich der Klimaschutzgedanke aus den Schulen und Universitäten heraus entwickelt hat, das hat gedauert. Wir hatten in den Jahren von 2000 bis 2007 eine ­Periode ohne Temperaturerhöhung gehabt. Da sind die gesamten Prognosen implodiert, weil sie alle nicht gestimmt haben. Deswegen hat es lange gedauert, bis sich die Überzeugung durchgesetzt hat, dass der Klimawandel begonnen hat. Es gibt ja heute noch sehr einflussreiche politische Figuren auf der Welt, die diesen Wandel leugnen.

Phoenix Contact Leiterin Unternehmenskommunikation Angela Josephs

UPDATE: Warum geschieht dann nicht eine deutlich frühere und energischere Umsetzung?

In der frühen Phase der Diskussion war die Theorie des konsequenten Verzichts der falsche Ansatz, denn es war von Anfang an klar, dass das nicht funktionieren wird. Man hat viel zu lange Klimaschutz und Verzicht gekoppelt. Hätten wir von Beginn an klargemacht, dass wir das Problem technologisch lösen müssen, dann wären wir heute wesentlich weiter.

UPDATE: Der Klimaschutz erhält also einen ganz anderen ­Konsens, auch in der Wirtschaft?

Ja, das ist richtig. Zu Anfang waren die Klimaschützer, die heutigen Grünen, ein Sammelbecken von Phantasten. Aber die Grünen waren nach wenigen Jahren die einzigen, die eine nachhaltige, langfristige und intelligent gebaute Umwelt- und Energiepolitik verstanden hatten und die dann auch über ­viele viele Legislaturperioden immer weiter fortgesetzt ­haben.
Heute sind wir bei etwa 55 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Das wäre ohne die Grünen und ihre klare strategische, nachhaltige Vorgehensweise nicht denkbar gewesen. Wir sind ja nicht nur aus der Kernenergie ausgestiegen, sondern massiv in die Energie der Erneuerbaren eingestiegen. Man kann eben nicht aus allem heraus und in nichts hinein – das klappt einfach nicht.

UPDATE: Aber müssen wir nicht genau zu diesem Zeitpunkt, also jetzt, richtig Gas ­geben?

Natürlich. Und wenn der Staat Impulse setzen will, dann muss er sie genau dort setzen. Wenn ich zum Beispiel an die Region Oberlausitz denke und ihren Strukturwandel, dann würde ich genau dahin gehen mit großen Raffinerien, um synthetischen Brennstoff herzustellen. Mit 30 Prozent allen erzeugten Treibstoffs für die deutsche Mobilität wären viele Probleme sofort gelöst. Arbeitsplätze in dieser Region, technologische Führerschaft und zudem eine deutlich sauberere Technik als der ganze Über- und Untertagebau heute.
Noch sehe ich diese Risikobereitschaft aber nicht. Auch wenn sie alternativlos ist. Wir müssen zu diesen neuen technologischen Konzepten kommen.

Phoenix Contact
Zentralverband Elektrotechnik Elektroindustrie ZVEI
Pepperl+Fuchs

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