Wer die wenigen Zeilen liest, die man über Dirk Görlitzer findet, der könnte meinen, er sei ein typischer Vertreter der Abteilung Schnurstracks-Karriere: Uni, Anstellung, Geschäftsführung. Von wegen! Ein spannendes Interview mit einem der neuen Gesichter in der Geschäftsführung von Phoenix Contact.
UPDATE: Herr Görlitzer, seit August 2020 sind Sie einer der „Neuen“ in der Geschäftsführung von Phoenix Contact. Was ist für Sie neu an Ihrem Aufgabengebiet als Mitglied des Management Boards?
Was ist für mich wirklich neu? Das Kennenlernen von übergeordneten Steuerfunktionen unseres Unternehmens, also etwa den Beirat oder den Gesellschafterkreis, die ich natürlich als Personen kenne, aber noch nicht in ihren Wirkmechanismen – das ist für mich neu und spannend.
UPDATE: Betrifft das auch neue Aufgaben im internationalen Bereich?
Ich war schon immer sehr international aufgestellt, auch die Business Area ICE war von Beginn an sehr international. Einer meiner ersten Parallelaufgaben zu meiner damaligen Funktion als Divisionsleiter war es, unser Werk in Polen aus der gesamten Gruppensicht zu verantworten.
Indien fasziniert mich, dort habe ich Shared Service Konzepte aufgebaut. Und jetzt habe ich in der Geschäftsführung die übergreifende Verantwortung für die drei großen Märkte – China, Russland und für Indien bekommen. Wir wollen diese definierten Märkte zu Center of Competence ausbauen, mit eigenständigen Entscheidungsräumen. Die Herausforderung wird es sein, diese Eigenständigkeit zu fördern und die Organisationen damit flexibel und agil auszurichten, gleichzeitig aber die Anbindung an unser Headquarter und damit Synergien im weltweiten Kontext nicht zu verlieren.
Ich bin normalerweise dreimal pro Monat unterwegs, kommuniziere aber häufig über Kurznachrichtendienste kurz und knapp oder telefoniere. Ich bin also sehr dicht auch im internationalen Bereich an unseren Prozessen, auch wenn ich nicht immer vor Ort sein kann.
Ich komme aus einer klassischen Arbeiter- und Handwerkerfamilie.
Dirk Görlitzer, COO Phoenix Contact
UPDATE: Fehlen da nicht noch ein paar spannende Länder, etwa die Tigerstaaten Südostasiens?
Strategie ist auch Mut zu Verzicht. (lacht) Wenn wir über die Center of Competence reden, dann reden wir über umfassende Wertschöpfungsketten, Vertrieb, Entwicklung und Produktion. Produktion und Entwicklung können wir nicht in allen Regionen dieser Welt gleichzeitig aufbauen, das würde auch unsere Ressourcen überfordern. Man sollte gehen, bevor man läuft. Wir fangen jetzt in den beschriebenen Ländern an, diese Strategie zu etablieren, achten auf unsere Stärken und Synergien und werden perspektivisch auch andere Zonen in dieses Konzept mit aufnehmen.
UPDATE: Sind Sie eigentlich ein Ostwestfale?
(entschieden) Nein! Ich bin ein Niedersachse. Ich komme aus einer ganz klassischen Arbeiter- und Handwerkerfamilie, habe zunächst eine Lehre absolviert und als Elektromaschinenbauer gearbeitet. Eine akademische Laufbahn war mir also nicht in die Wiege gelegt. Studiert habe ich zwar in Lemgo, allerdings in einer Art Selbststudium. Tagsüber war ich häufig in Beruf und Familie eingebunden, Zeit fürs Studium war dann oft nur abends. Und als junger Familienvater mit knappem Budget habe ich am Wochenende auf dem Blumengroßmarkt gearbeitet. In den Semesterferien habe ich dann tatsächlich im Steinbruch gearbeitet und Anlagen wie diese hier gewartet und repariert.
Das zahlt sich für mich noch immer aus. Wenn ich heute in den Schaltschrankbau gehe, mit den Werkern über ihre Probleme spreche, die oft eine sehr direkte und ehrliche Kommunikation pflegen, dann verstehe ich diese Welt. Ich kann mich mit den Leuten an der Werkbank genauso unterhalten wie mit den Kollegen, die in leitenden Positionen im Büro tätig sind.
UPDATE: Wie sind Sie zu Phoenix Contact gekommen?
Im Studium gab es die Möglichkeit, zusätzliche Seminare zu belegen. Da gab es ein Seminar „Vertrieb und Marketing“, das von Vertretern verschiedener Firmen veranstaltet wurde. Und dabei empfand ich den Teil, der von Phoenix Contact gehalten wurde, extrem positiv, sowohl inhaltlich als auch menschlich. Das war für mich die Basis, um dort meine Bewerbung abzugeben. Das ist jetzt 26 Jahre her.
UPDATE: Wie waren Ihre Anfänge bei Phoenix Contact?
Ich bin 1994 als Produktmanager angefangen, für die gute alte Reihenklemme. Damals war das Unternehmen noch deutlich kleiner. Es war die Phase, wo wir eine Matrixorganisation aufgebaut haben. Da war sehr viel Aufbruchstimmung, eine sehr spannende Zeit. Für den Bereich Reihenklemmen gab es drei Mitarbeiter, die alles verantwortet und gestaltet haben. Einer davon war ich. Sehr klein, super familiär. Ich sollte anfangs etwas zur Rohrpost bringen, da habe ich gedacht, die wollten mich als den Neuen auf den Arm nehmen. Bis ich begriff, dass es hier tatsächlich noch eine Rohrpost gab.
Das war genau die Zeit, in der man der Reihenklemme schon das nahe Ende prophezeite. Es war die Zeit der Feldbusse, es gab die Theorie, dass die Feldbusse die Reihenklemmen ersetzen würden. Ein ziemlicher Irrtum (schmunzelt).
Ich hatte dann unterschiedliche Aufgaben, habe mich entwickelt zum Gruppenleiter. 1999 bin ich dann BU-Leiter geworden, dann Divisionsleiter und dann BA-Leiter. Hört sich linear an, war aber immer „gewürzt“ mit Sonderaufgaben vor allem im internationalen Bereich. Und seit August letzten Jahres bin ich dann Mitglied der Geschäftsführung geworden.
UPDATE: Nun wird man nicht quasi durch Betriebszugehörigkeit nach 26 Jahren automatisch Geschäftsführer. Was macht die Führungspersönlichkeit Dirk Görlitzer aus?
Ich habe Lust am Erfolg, für das Unternehmen und auch als Person. Das meine ich nicht in seiner negativen Ausprägung, sondern als positive Weiterentwicklung. Ich habe immer gern gearbeitet. Etwas zu gestalten, aufzubauen, es wachsen zu sehen – das gefällt mir. Die finale Belohnung ist, auf Messen die positiven Stimmen der Kunden persönlich zu erleben.
Da bin ich als Business Area Präsident natürlich an der richtigen Position – einerseits den Gesamtüberblick zu wahren, aber zugleich die Kollegen bei ihrer direkten Arbeit begleiten zu können, empfinde ich als großen Vorteil.
UPDATE: Sie haben viele Seiten von Phoenix Contact kennengelernt, viel Wandel erlebt. Wie hat sich der Kollege Görlitzer selbst auf seinem Weg verändert?
Ich bin immer direkt und ehrlich. Es ist bestimmt intensiv, mit mir zu arbeiten. Wobei ich meinen Stil sicherlich im Lauf der Jahre stark verändert habe. Autoritär ist das falsche Wort, aber am Anfang hatte ich sehr klare Vorstellungen von meinem Zielbild. Ich wollte aus der Reihenklemme ein System aufbauen. Mir war klar, dass das eine Aufgabe ist, die gut und gern zehn Jahre dauern würde. Und wenn man ein solch langfristiges Bild verfolgt, ist man wenig bereit, kurzfristige Kompromisse einzugehen.
Aber je größer und komplexer die Aufgaben und Organisation wird, desto mehr muss man sich verändern. Managementstile zerbrechen, wenn die Person an der Spitze zwei Dinge nicht mehr beherrscht: die Komplexität und die Agilität. Die alten Führungsstile, die auf nackter Durchschlagskraft und Hierarchie basieren, werden nicht mehr zum Erfolg führen.
Hierarchien sollten sehr durchlässig sein. Und die Kollegen sollen und können sich auch trauen, sich mit ihren Themen an mich zu wenden. Als Mensch sieht man die Menschen um sich herum.
UPDATE: Im global agierenden Mittelständler Phoenix Contact wird viel Wert auf die Firmenkultur gelegt. Wie wollen Sie in Zukunft diese Kultur mit beeinflussen?
Als Manager habe ich drei Elemente zeitgleich zu entwickeln: Unsere Geschäftsmodelle, die internationale Organisation und natürlich die Menschen mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten und Fähigkeiten. Je mehr Verantwortung man übertragen bekommt, desto stärker verschieben sich die Gewichte. Das Befähigen der Menschen der nächsten Generation, das Bewahren unserer eigenen Identität sind natürlich wesentliche Schlüsselaufgaben. Die Firmenkultur können wir nicht nur aufschreiben, es gilt sie gelebt weiterzugeben. Mit und im Sinne dieser Kultur gestalten wir die Geschäftsmodelle und die internationale Organisation. Es sind drei gleichberechtigte Pole eines Systems – mit dem Kunden im Zentrum.
UPDATE: Sind Sie im Grunde Ihres Herzens eher Ingenieur oder Vertriebler?
Ich bin eher ein Generalist und interessiere mich für alle Funktionen. Das betrifft sowohl den Vertrieb, direkt mit dem Kunden sprechen, als auch Produktion und Entwicklung. Mein Steckenpferd ist allerdings nach wie vor das Produktmarketing und Entwicklung – die Herzkammer für unsere Angebote an den Kunden. Ich nehme in meiner Funktion ständig alle Möglichkeiten des Lernens wahr. Mein Anspruch an mich ist es, in jeder Funktion und zu jeder Zeit die richtigen Fragen stellen zu können.
UPDATE: Sie sind ein erfolgreicher Business Area-Präsident in einer Organisation, die sehr eigenständig agiert und agieren soll. Gleichzeitig sollen Sie und die beiden anderen BA-Präsidenten Leidecker und Janwlecke in ihrer Funktion als Mitglied der Geschäftsführung die Rolle der eigenen Areas soweit strukturieren, dass sie sich in die Gesamtstrategie einfügen. Ist das nicht ein Widerspruch und Spagat?
Dirk Görlitzer, Ulrich Leidecker (v.l.)
Ich glaube, dass jeder gut beraten ist, wenn er neben seinen eigenen Zielsetzungen auch immer die Anforderungen des Unternehmens berücksichtigt und diese höher priorisiert. Es gilt immer, den kurzfristigen Spaß und die langfristige Freude voneinander zu unterscheiden (lacht). Vor diesem Hintergrund bin ich mir des Spannungsbogens natürlich sehr bewusst. Aber in der integrierten Welt von heute kann eine isolierte Strategie niemals funktionieren. Das ist keine Frage der Größe. Alle Funktionen wie Logistik, IT und auch der Werkzeug- und Maschinenbau sind wesentlicher Erfolgsfaktor der Business Areas. Hier gemeinsam mit den Kollegen verantwortlich zu sein ist ein unglaublicher Vorteil. Langfristige Planungen werden deutlich erleichtert, und alle Einheiten können sich aufeinander verlassen und aufblühen.
UPDATE: Nochmal nachgefragt: Drei erfolgreiche Spitzenmanager, drei starke Führungspersönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Vorgehensweisen – wie harmoniert das in der Geschäftsführung?
Richtig, wir sind sehr unterschiedlich, auch in unseren Geschäftsmodellen. Aber wir kennen uns seit vielen Jahren, auch die unterschiedlichen Vorgehensweisen, und schätzen uns als Mensch und Manager. Und wir suchen permanent im Austausch nach Synergien. Das berührt technologische Themen genauso wie organisatorische Elemente, die immer wieder zu positiven Diskussionen führen.
Die Eigenständigkeit der Business Areas ist ja einer der Gründe des Erfolgs. Die Kundensicht steht dabei im Mittelpunkt unserer Diversifikation. Die Geschäftsmodelle organisieren sich danach, wie wir diese Anforderungen unserer Kunden bestmöglich befriedigen können. Ein Kunde, der sich von uns eine Lösung für die Steuerung einer Windmühle wünscht, hat andere Anforderungen als ein Kunde, der ein System für Stromversorgungen benötigt. Als Techniker verstehen wir die Welten auch der anderen beiden Business Areas natürlich, das ist ein großer Vorteil.
Humor ist ein wichtiger Schlüssel.
UPDATE: Wie gehen Sie mit Reibungsverlusten bei diesen Abstimmungsprozessen um?
Ich mag den Begriff des Disputs, der in meiner BA ein wichtiger Begriff ist und den ich auch versuche zu kultivieren. Es gilt, unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen, die Argumente austauschen, auch im intensiven Disput, und nach dem Abwägen alle Argumente gibt es immer einen klaren Entscheidungsprozess. Reibung und Disput sind bei mir positiv belegt. Ich vertrete meine Meinung, lasse aber ebenso die Meinung des Gegenübers zu. Da bin ich sehr offen. Und Humor ist ein wichtiger Schlüssel. Ich schätze es sehr, meiner Umgebung ein Lächeln abzuringen.
UPDATE: Würden Sie sich als einen Menschen bezeichnen, der eher kontrolliert agiert und sich auch häufig selbst reflektiert und hinterfragt?
Ja. Zur Weiterentwicklung gehört aus meiner Sicht Selbstwahrnehmung. Man kann sich nicht entwickeln, wenn man sich nicht sieht, sich nicht zu den eigenen Fehlern bekennt. Aus meiner Sicht ist die ehrliche Selbstreflexion eine Schlüsseleigenschaft von gutem Management. Das gilt in unserem Wirken als Manager, aber auch als Mensch.
UPDATE: Wie stehen Sie zum Leitbild der All Electric Society?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass diese Vision als Zukunftsbild richtig ist. Es ist eine wunderschöne Brücke in die Zukunft für alle Interessengruppen von Phoenix Contact. Für unsere Kunden bewirkt die Elektrifizierung der Welt einen riesigen Wachstumszyklus von einer oder zwei Dekaden. Es liegt jetzt in unserer Hand, zu zeigen, dass es keinen Widerspruch zwischen Ökonomie und Ökologie gibt. Unsere Industrie ist im Zentrum der Transformation – darauf freue ich mich riesig.
UPDATE: Die Reihenklemme galt lange als Auslaufmodell. Wie sehen Sie diese Technologie vor dem Hintergrund der Vision Empowering the All Electric Society?
Ob bei der regenerativer Energieerzeugung oder der Speicherung von Energie mit Power-to-X Technologien werden immer Produkte und Technologien der BA ICE zum Einsatz kommen. Verbinden, Schalten, Schützen, Energieerzeugung, Energiewandlung, Energiemessung – das sind ja die klassischen Kernbereiche, die Phoenix Contact in den letzten 100 Jahren mit aufgebaut hat. Es gibt in einer All Electric Society fantastische, fast unendliche Möglichkeiten – gerade auch für die gute alte und immer noch topfitte Reihenklemme.