Wer sagt denn, dass Mobilität immer nur horizontal stattfinden muss? Auch vertikal kann Bewegung eine technologische Herausforderung sein. Im schwäbischen Rottweil wurde daraus sogar ein architektonisches Highlight.
Rottweil bezeichnet sich selbst als die „Stadt der Türme“. Die Kleinstadt zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb wurde von den Römern gegründet, die schon vor rund 2.000 Jahren das erste Mal damalige Hochtechnologie ins noch wilde Germanien brachten. Sie gilt als älteste Stadt Baden-Württembergs und liegt rund 90 Kilometer südlich von Stuttgart.
Seit dem 16. Jahrhundert hat sich die mittelalterliche Kulisse am Neckar kaum verändert. Doch mittlerweile ist Rottweil um eine ganz besondere Attraktion reicher. Denn die Aufzugssparte von Thyssen Krupp, thyssenkrupp Elevator, hat hier einen einzigartigen Testturm errichtet.
Thyssen Krupp ist Weltmarktführer in Sachen Aufzugsanlagen. Mit einem Umsatz von 7,5 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2017/2018 und Kunden in 150 Ländern hat sich das Unternehmen seit seinem Markteintritt vor 40 Jahren als einer der führenden Aufzughersteller der Welt etabliert.
Dem eigentlichen Bau des Testturms ging eine umfangreiche Standortsuche voraus. Denn der Gigant verlangt einen besonders festen Untergrund. Zugleich sollte er aber in der Nähe des Produktionsstandorts Neuhausen liegen. Dem Flughafen von Stuttgart durfte er aber auch nicht zu nahe kommen.
Letztlich erwies sich Rottweil als ideal, nicht zuletzt aufgrund der umliegenden Universitäten und vielen Fachkräfte.
240 Tonnen Pendel gegen den Wind
Zunächst wurde die 30 Meter tiefe Fundamentgrube errichtet. Im März 2015 begann ein Sprint in die Höhe. 3,60 Meter pro Tag wuchs der Testturm empor. Das war nur mit der innovativen Gleitschalbauweise möglich. Schon im Juli 2015 feierten die stolzen Bauherren Richtfest.
Der Innenausbau mit den Zwischengeschossdecken und einem 240 Tonnen schweren Pendel sowie die innovative Außenverkleidung wurden bis 2017 fertiggestellt. Das Pendel ist ein Schwingungstilger, der die Kräfte des Winds, der an dem Turm zerrt, aktiv ausgleicht. Dieses Betongewicht hängt an einem 9 Meter langen Seil. Mittels zweier Linearmotoren kann es aktiv bewegt werden und so Windbewegungen des Bauwerks ausgleichen und mindern.
Unterstützt wird diese Funktion durch die auffällige Außenhaut des Testturms aus halbdurchsichtigem, spiralförmig aufwärtsstrebendem und mit Teflon beschichteten Glasfasergewebe aus Polytetrafluorethylen (PTFE). Das mehr als 17.000 Quadratmeter Fläche umfassende Gewebe ist auf einer Stahlunterkonstruktion angebracht. Die weiße Außenhülle dient nicht nur der Isolation des Turms, sondern auch der zusätzlichen Aufnahme von Windkräften, die durch die Spirale abgeleitet werden.
Die Aufzüge im Inneren sind an ein Stromrückgewinnungssystem gekoppelt, das umso effektiver
arbeitet, je mehr die Aufzugkabinen belastet werden. Bis zu 30 Prozent der eingesetzten Energie
sollen so zurückgewonnen werden.
Seillos über dem Abgrund
Es werden Aufzüge mit bis zu 18 Metern pro Sekunde getestet. Dabei benötigt man allein bis zum Erreichen der Höchstgeschwindigkeit schon 90 Meter. thyssenkrupp Elevator testet unter anderem die Belegung eines Aufzugsschachts mit zwei Kabinen und entwickelt ein seilloses Aufzugssystem, das ähnlich einer Magnetschwebebahn die Kabinen durch den Aufzugsschacht sausen lässt.
Zwölf Aufzugsschächte stehen im Testturm zur Verfügung. In neun von ihnen kommt konventionelle Aufzugstechnik zur Erprobung, drei weitere dienen der Entwicklung des seillosen Systems. Phoenix Contact arbeitet schon lange mit thyssenkrupp Elevator zusammen. Unter anderem werden Klemmen und fertig vorkonfektionierte Schaltschränke, Industrie-PCs und Lichtwellenleiter samt Verbindungstechnik in den Anlagen eingesetzt.
Drangvolle Enge der verbauten Technik, hohe mechanische Belastungen, höchste Sicherheitsstandards der Aufzüge – allein die Fakten rund um den Testturm zu Rottweil machen klar, dass auch in der vertikalen Mobilität faszinierende Herausforderungen zu finden sind.
Fakten Testturm Rottweil
10.000 Quadratmeter Grundstücksfläche – das würde reichen für 50 Tennisfelder
30.000 Quadratmeter Erdaushub – soviel wiegen 60 Millionen Wasserflaschen
2.500 Tonnen Stahl wurden verbaut
15.000 Kubikmeter Beton kamen zum Einsatz
40.000 Tonnen wiegt der Turm – das entspricht 8.000 afrikanischen Elefanten
10 Monate betrug die aktive Bauphase
100 Ingenieure planten und begleiteten den Bau
3,60 Meter wuchs der Turm pro Tag in die Höhe, also dreimal so schnell wie Bambus in perfekter Umgebung
232 Meter über dem Boden befindet sich die höchste Besucherplattform Deutschlands
220 Meter hoch geht es in einen 157 Quadratmeter großen Konferenzraum
216 Meter hoch muss man, wenn der zweite, kleinere Konferenzraum gebucht ist
Testturm thyssen krupp
Der Bau des Turms im Zeitraffer-Video
thyssen krupp Elevator