Seit 2008 ist er bei Phoenix Contact, und seit August 2020 gehört Frank Possel-Dölken der Geschäftsführung an. Was hat sich für den Chief Digital Officer seitdem verändert? Und welche Chancen und Risiken sieht er für die Zukunft von Phoenix Contact?
Das Jahr 2020 stellte eine Zäsur für Phoenix Contact dar. Denn nach vielen Jahren der Kontinuität verändert sich die Führungsmannschaft des Blomberger Weltmarktführers. Professor Gunther Olesch schied aus Altersgründen aus dem Unternehmen, Roland Bent (CTO) kündigte seinen Abschied für Februar 2021 an. Und gleich vier neue Persönlichkeiten verstärken seitdem das Topmanagement. In einer losen Folge stellen wir diese „neuen“ Mitglieder der Geschäftsführung vor.
UPDATE: Herr Possel-Dölken, Sie sind seit 2008 bei Phoenix Contact. Verraten Sie uns, welche beruflichen Stationen Sie vor Ihrer Aufgabe bei uns absolviert haben?
Na klar. Ich habe von 1994 bis 1999 Maschinenbau an der RWTH Aachen studiert, mit dem Schwerpunkt Produktionstechnik. Ich hatte die Chance, ein Jahr als Gastwissenschaftler an die Tsinghua-Uni in Beijing zu gehen, bevor ich zurück in Aachen promoviert habe. Thema war die Softwareentwicklung von Steuerungssystemen für Werkzeugmaschinen im Maschinenbau.
UPDATE: Also zunächst eine rein akademische Laufbahn?
Obwohl ich auch in der Lehre tätig war, war ich schon immer eher der Praktiker, der unter anderem jahrelang auch im Geschäftsprozessmanagement aktiv war. Als Vollzeitwissenschaftler habe ich dann im Werkzeugmaschinenlabor WZL gearbeitet. Das WZL ist sehr praxisorientiert, so war mein erstes Projekt die Entwicklung eines Planungssystems für ein flexibles Fertigungssystem in der Flugzeugindustrie in Kanada.
UPDATE: Das hört sich doch sehr spannend an. Warum dann der Wechsel in die freie Wirtschaft?
Das war es auch. Zuletzt war ich Geschäftsführer des deutschen Exzellenzclusters „Integrative Produktionstechnologie für Hochlohnländer“. Da ging es um Produktionstechnik im globalen Maßstab, bei dem zahlreiche Partner der Industrie ebenfalls beteiligt waren.
Irgendwann war es dann aber Zeit für eine Veränderung, denn eine wissenschaftliche Laufbahn war eigentlich nicht meins, auch wenn es eine schöne Zeit war.
UPDATE: Wie kam der Kontakt zu Phoenix Contact zustande?
Ich kannte Phoenix Contact natürlich schon als einen der Player in der Automatisierungstechnik. Phoenix Contact war einer der Pioniere, wenn es um das Thema Wireless in der Industrie ging. Auch beim Thema „IT powered Automation“ war Phoenix Contact einer der ersten, die hier eine Umgebung geschaffen hatten, auf der man mit Hochsprachen Steuerungssysteme programmieren konnte. Das haben wir ja in PLCnext so in Form gegossen, dass es heute richtig Spaß macht.
UPDATE: Also Traumziel Ostwestfalen?
(lacht) Na ja. 2007, in Berlin auf einem Maschinenbaukongress, hat mich Herr Hasse bei einem Kaffee überredet, doch mal in Blomberg vorbeizukommen. Die Region Ostwestfalen stand auf meiner Zielliste nicht ganz oben, da bin ich ehrlich. Familiär bin ich aber Westfale, kann Doppelkopf spielen und zum Lachen gehe ich auch in den Keller (breites Schmunzeln). Als meine Frau an einem trüben Novembertag mit mir in einem Café in Detmold saß und meinte, sie könne sich ein Leben hier vorstellen, war die Sache entschieden. Angefangen habe ich dann 2008.
UPDATE: Aber Sie haben nicht in der Automationsentwicklung begonnen?
Richtig. Die ersten Jahre habe ich im internen Maschinen- und Werkzeugbau verbracht. Durch diese Tätigkeit habe ich in sehr vielen Themen mit vielen Kollegen in den verschiedensten Bereichen des Unternehmens zusammengearbeitet und so einen guten Überblick bekommen. Betriebsmittelbau klingt zwar nicht sehr sexy, ist bei Phoenix Contact aber eine echte Hightechschmiede.
So war ich etwa bei den Anfängen der heute in Paderborn ansässigen Zinkdruckgießfertigung dabei. Das war damals ein langgehegter Wunsch von Klaus Eisert: Ein richtiges Verbindungstechnikunternehmen muss eine eigene Gießerei haben. Darüber hinaus haben wir damals angefangen, uns mit der Automatisierung im Schaltanlagenbau zu beschäftigen.
UPDATE: Das war aber noch nicht alles, sonst würden wir dieses Interview nicht führen.
Mit dem Thema des Product Lifecycle Management kam eine neue Aufgabenstellung. Damit bin ich in die Bereiche der Corporate Technology hineingerutscht. Letztlich ist daraus die Leitung von Corporate Technology and Value Chain geworden. Dazu kamen dann IT-Themen rund um Produktdaten und Themen wie Shopfloor Management. Das führte zur Unitleitung von 2016 bis 2019.
Und dann kamen die Herren der Geschäftsführung auf mich zu. Seit August 2020 bin ich jetzt selbst Mitglied der Geschäftsführung.
UPDATE: Was hat sich für Sie geändert?
Eigentlich gar nicht so viel, denn das war ein fließender Übergang. Ich habe aber auch in der Vergangenheit selten mehr als zwei Jahre ohne Veränderungen gearbeitet.
Es hat sich natürlich im Umgang etwas geändert. Die Leute reden auf einmal mit mir als einem der Geschäftsführer, das merke ich schon. In dieser Rolle muss man sich dreimal überlegen, was man äußert. Die Leute hören viel genauer zu und interpretieren dreimal mehr in das, was ich sage. Das ist natürlich eine Veränderung.
UPDATE: Welche Bereiche sind neu in Ihrer Verantwortung?
Ich bin zuständig für die Unit Digital Process and Solutions. Das ist eine neue Organisation, die als Zentralfunktion im Bereich Geschäftsprozessmanagement eingerichtet ist. Unsere IT ist Teil davon, dazu kommt der Bereich der digitalen Kundeninteraktion vom E-Shop bis zum Onlinemarketing.
Dazu kommen Zentralaufgaben im Bereich der Normung und Standardisierung. Ich engagiere mich zum Beispiel in der nationalen Plattform Industrie 4.0, wo ich die Interessen von Phoenix Contact vertrete. Mit dem Ausscheiden vom derzeitigen CTO Roland Bent übernehme ich ab März dieses Jahres unser Team im Bereich IP Management.
UPDATE: Wie bekommen Sie all diese Aufgaben in Ihren Terminplan unter?
Die zeitliche Belastung war schon immer hoch. Aber manchmal geht es in dieser Funktion auch darum, den Kopf mal frei zu bekommen, um Dinge zu durchdenken. Da muss dann auch Zeit dafür da sein. Es geht nicht darum, möglichst viele Termine zu bewältigen oder alle Akten abzuarbeiten. Führen kann nur, wer nicht alles selbst macht, sondern auch in der Lage ist, sinnvoll zu delegieren.
Das Thema Reisen wird in der Nach-Coronazeit sicher einen höheren Stellenwert bekommen. Ich war zwar regelmäßig an unseren Standorten, vor allem in den USA und China. Aber in Zukunft werde ich häufiger Termine haben, die nicht direkt mit unserer Produktion an den Standorten zu tun haben.
UPDATE: Was sind Ihre kommenden Aufgaben der Zukunft? Was empfinden Sie als spannend?
Mich reizen natürlich Themen wie die digitale Transformation und damit zusammenhängend unsere interne Prozess- und IT-Infrastruktur, digitallastige Produkte und Leistungen. Das ist schon mein Herzblutthema.
UPDATE: Was sind die Herausforderungen der Zukunft für Phoenix Contact?
Wenn ich die letzten Jahre Revue passieren lasse, dann sehe ich vor allem unglaubliche Chancen, auf so vielen Feldern. Die größte Herausforderung ist daher eigentlich, zu entscheiden, was wir NICHT machen.
Das ist eine schöne, aber auch schwierige Aufgabe. Denn unsere Aktivitäten sind weit gestreut. Es stehen Technologieumbrüche bevor, etwa bei der E-Mobilität oder Regenerativen Energien. Wenn man allein denkt, dass wir bei den boomenden Märkten von Wind und Solar überall mit unseren Produkten, Anlagen und Schaltschränken vertreten sind, dann sind das nicht gerade dunkle Wolken am unternehmerischen Horizont.
Die Aufgabe in der Geschäftsführung ist es, nicht jeden Markt zu erschließen, den wir erschließen könnten. Obwohl es lockt und die Perspektiven schier endlos sind. Denn das würde auch unsere Kräfte, die unserer 17.600 Mitarbeiter, einfach überfordern. Bei uns geht es nicht um Standortschließungen oder Mitarbeiterabbau. Unser Schmerz wird sein, auch mal nein sagen zu müssen. Egal wie fantastisch die Perspektive ist.
Ein Stück weit spiegelt sich das in meinem persönlichen Verantwortungsbereich. Wir haben zwar viele Ressourcen inne. Aber würden wir alle hochinteressanten Themen auf einmal angehen, dann würden wir auch untergehen. Zu entscheiden, was man nicht macht, das ist auch meine ganz persönliche neue Herausforderung.
UPDATE: Welche Rolle wird Phoenix Contact vor dem Hintergrund des Themas All Electric Society spielen?
Am Ende müssen wir bei der Unternehmensgröße, die wir heute haben, auch eine gesellschaftliche Rolle einnehmen. Das ist auch ein erster Schritt der Fokussierung. Wenn wir vor die Wahl gestellt werden, sich eher dem Ende des Lebenszyklus´ neigenden Industrien zu engagieren oder in Zukunftsfelder wie der regenerativen Energieerzeugung oder der Wasserstoffwirtschaft Gas zu geben, dann werden wir uns in Zukunft auf die nachhaltigen Themen fokussieren.
Unsere Produkte spielen in vielen Anwendungsfeldern und Branchen eine wichtige Rolle als technischer Befähiger. Vor dem Hintergrund der All Electric Society werden wir zukünftig unsere Entwicklungsarbeit schwerpunktmäßig dort fokussieren, wo ein unmittelbarer Bezug zu den wichtigen Nachhaltigkeitzielen gegeben ist.
UPDATE: Wie gehen wir in Märkten vor, die sich für fossile Energien oder Kernkraft entscheiden? Verzichten wir tatsächlich auf Umsatz?
Kernkraft ist etwa in China oder Frankreich sehr wichtig, die Öl- und Gasindustrie in den USA. Aber auch da ändert sich etwas. Nachhaltigkeit ist zum Beispiel im kommenden Fünfjahresplan in China von hohem Stellenwert. Ebenso haben große Unternehmen im Öl- und Gasgeschäft begonnen, sich auf den Wandel einzustellen und versuchen, neue Geschäftsfelder zu entwickeln.
Wenn wir in den Kreis der globalen Führungskräfte von Phoenix Contact schauen, also in den Kreis der Verantwortlichen in den jeweiligen Ländern, dann haben wir dort natürlich Menschen, die sich von der Denkweise von Phoenix Contact angezogen fühlen, also eher progressive Einstellungen vertreten. Diese Begeisterung ist Teil unserer unternehmerischen DNA.
Und ja, wir werden im Zweifel auch auf Umsatz verzichten.