Der Ideenschmied

Uli Leidecker ist nicht nur ein neues Mitglied der Geschäftsführung von Phoenix Contact. Er ist auch einer der markantesten Fürsprecher von offenen Plattformen, Sicherheitsarchitekturen und ganzheitlicher Betrachtungsweise von Projekten. Außerdem kann er seinen Entwicklern ganz schön auf die Nerven gehen …

Uli Leidecker, COO Phoenix Contact

UPDATE: Herr Leidecker, Sie sind seit 27 Jahren bei Phoenix Contact, seit 2016 Leiter des Unternehmensbereichs Industrial Management Automation IMA und seit August 2020 Mitglied der neuen Geschäftsführung. Wie sehr sind Sie noch am Puls der Entwicklung von Phoenix Contact?

Viel zu wenig. Viel zu sehr. Zum einen viel zu wenig, da ich als Vertriebsingenieur in diesem Unternehmen gestartet bin und das nach wie vor eine meiner Leidenschaften ist. Ich programmiere immer noch, heute allerdings privat für meine eigene Heimautomation. Und natürlich nicht auf dem Niveau unserer Profis in der Software-Entwicklung bei Phoenix Contact.
Aber ich verstehe im Grundsatz, was unsere Ingenieure entwickeln. Und daher viel zu sehr, denn ich hinterfrage gern einmal Aufwand und Nutzen aktueller Projekte. Die Kollegen rollen dann natürlich mit den Augen, denn meine Künste halten keiner Normung oder industrieller Anforderung stand.

UPDATE: Sie sind einer der prominentesten Fürsprecher, wenn es um Themen wie PLCnext, Offenheit und neues Wissen geht. Beschreibt das auch Sie selber?

Auf jeden Fall! Ich bin ein großer Anhänger von Open Source. Dadurch entstehen Systeme, die unabhängig und offen sind. Der Austausch schützt, nicht das Geheimhalten. Durch die gemeinschaftliche Arbeit kommt auch ein wichtiger sozialer Aspekt dazu, denn Wissen verbindet. Ich bin ein großer Fan etwa von Wikipedia. Da redigiert die ganze Wikipedia-Community, so entstehen bessere Systeme für die gesamte Menschheit.
So ähnlich sehe ich auch den Vorteil unserer PLCnext Technology. Auch wenn es Stimmen gibt, die von einer „Consumerization“ der Industrieautomation sprechen – für mich ist das ein zentrales Element und ein Markenkern. Wir stellen die Automatisierung auf eine deutlich breitere Basis und nehmen ihr die exklusive Expertenrolle. Das macht sie auf Dauer besser.

UPDATE: Quasi eine Demokratisierung der Industrieautomation? Haben Sie ein Beispiel dafür parat?

Denken Sie an das Thema der Künstlichen Intelligenz. Wir werden sicherlich keine zusätzliche KI-Expertise aufbauen, wie wir es etwa für die industrielle Kommunikation getan haben. Das sollen die KI-Experten dieser Welt machen. Aber die Produkte und Lösungen, die diese Spezialisten für die Industrie­automation realisieren, können auf der Plattform PLCnext Technology laufen.
Wir testen solche Lösungen auf Kompatibilität und Sicherheit und veröffentlichen sie im PLCnext Store. Und am Ende entscheidet sich der Kunde, der KI-Elemente braucht, für eine der dort präsentierten KI-Apps. Unsere Kompetenz erstreckt sich letztlich auf das Erstellen von Plattformen. So sorgen wir dafür, dass möglichst viele Unternehmen davon profitieren.

UPDATE: Plattformgedanken, Software-Produkte, Dienstleistungen – wie einfach oder schwierig ist diese Denkweise in einem Unternehmen zu etablieren, welches sich historisch als Hersteller von Hardware entwickelt hat?

In der Schmiede Donop

Da verstehe ich mich schon als Treiber. Und es stimmt: Ein „Produkt“ wie PLCnext oder der Vertrieb von „Apps“ im PLCnext Store ist deutlich anders als der Umgang mit unseren Reihenklemmen. In allen Belangen. Kombiniert mit dem Grundgedanken der Offenheit für alle Marktteilnehmer – auch den Wettbewerbern! Diese Offenheit ist ja auch immer ein Stück weit Wagnis. Das ist vielfach ungewohnt, wenn man ansonsten seine Kenntnisse und Produkte eifersüchtig vor neugierigen Blicken schützt.
Aber auch unsere seit 2016 eingeführte Organisation „­Vertical Market Management“ zeigt, dass wir uns hier vom reinen Komponentengeschäft weiterentwickelt haben. Das geschieht natürlich nicht ohne Reibung mit herkömmlichen Denk- und Erfolgsmustern. Gerade bei Großprojekten, etwa aktuell Batteriespeichersystemen in Übersee, sind wir mit so vielen Einzeltechnologien vertreten, dass wir hier nicht klein-klein denken dürfen, sondern mit einem übergeordneten Verständnis. Wir bringen deutlich mehr ein als nur die Komponenten, sondern sind Partner für Lösungen und denken uns in die Anforderungen hinein. Dafür trete ich tatsächlich vehement ein.

UPDATE: Mit dieser Betrachtungsweise verändert sich auch die Größenordnung und öffentliche Wahrnehmung einzelner Projekte.

Unternehmertum ist niemals risikolos. Und natürlich ist es so, dass mit steigender Komplexität auch die Verantwortung steigt. Egal an welcher Stelle, ob bei höherwertigeren Komponenten oder bei größerer Komplexität. Jetzt kommen wir aber in Bereiche, die auch eine größere Öffentlichkeitswirkung haben. Das wird uns fordern, gerade in Sachen Ressourcen. Aber ganz ehrlich: Auf das Risiko lassen wir uns gezielt ein, denn die Erfolgsperspektiven sind entsprechend lohnenswert.

UPDATE: Sie sind in Ihrer neuen Aufgabe auch verantwortlich für die Geschäftsentwicklung in den USA. Nach Trump, MAGA, Corona und Klimawandel – haben Sie noch Lust auf die USA?

Na klar (schmunzelt)! Auf jeden Fall! Natürlich sind wir uns als Europäer einig in der Bewertung der letzten Jahre. Die waren schwierig. Ich war seit meiner neuen Zuständigkeit etwa noch gar nicht dort, einfach weil die Einreiseregeln aufgrund von Corona das nicht zugelassen haben.
Doch zum einen ändert sich das gerade. Zum anderen sind wir in den USA sowieso sehr stark, haben dort ja eine eigene Produktion, eigene Logistik, einen eigenen Vertrieb – wir werden diese nationalen Eigenständigkeiten sogar in den nächsten Jahren noch deutlich mehr schärfen, um auf Dinge wie politische Veränderungen oder Bedrohungen etwa durch Pandemien noch robuster reagieren zu können.

UPDATE: Wie beschreiben Sie die neue Rolle von Phoenix ­Contact vor dem Hintergrund der All Electric Society?

Wir sind allein durch unsere Produktpalette in der glücklichen Lage, seit jeher viel für den Klimaschutz beizutragen. Und jetzt werden wir quasi zu Begünstigten eines globalen Trends, wenn es heißt, dass in einem bestimmten Zeitraum sämtliche Energie aus Strom gewonnen werden soll. Das passt zu unserem Leitbild der All Electric Society natürlich super. Woran wir in Zukunft noch verstärkt arbeiten müssen, ist unser eigener CO2-Footprint, damit wir unsere Strategie nach außen und innen auch glaubwürdig vertreten können.
Wir sind als Geschäftsführung überzeugt, dass dies richtig ist. Auch aus innerer Überzeugung. Da sind wir wirklich gut aufgestellt und auch früher dran als viele andere.

UPDATE: Ändert sich durch das neue Leitbild auch unsere Rolle in der öffentlichen Wahrnehmung?

Als Unternehmen wollen wir keine politische Position einnehmen. Aber die All Electric Society ist naturwissenschaftlich begründet, das ist nicht diskutierbar. Wenn etwa der Klima­wandel geleugnet wird, dann vertrete ich als Ingenieur die Wissenschaft. Und das standhaft. Das kann ich nicht ernsthaft diskutieren. Wenn jemand für wissenschaftliche Argumente vollkommen unzugänglich ist, dann haben Sie keine Plattform mehr, auf der Sie einen Diskurs starten können. Auch nicht mit irgendwelchen administrativen Ebenen oder Politikern. Kurzum: Ich denke, dass wir auch nach außen häufiger Position beziehen müssen und auch werden.

UPDATE: 2023 feiert Phoenix Contact sein 100jähriges Bestehen. Was bedeutet Ihnen das Thema Familienunternehmen?

Freundlichkeit, Offenheit, Partnerschaftlichkeit, Vertrauen, eine positive Fehlerkultur – das sind Familienunternehmen. Die Personen und die Werte, die den Gesellschaftern wichtig ist, zu kennen und zu teilen – das ist Familie.
Auch für meine eigene Familie ist Phoenix Contact ein wichtiger Bestandteil, nicht nur, weil ich dort (viel zu viel, wie sie finden) arbeite. Aber meine Familie kennt das Unternehmen, kennt die Kollegen, kennt auch Klaus Eisert – das ist etwas ganz anderes, als für maximales Entgelt in einem DAX-Konzern tätig zu sein. So etwas formt, verbindet und lässt einen viele Jahre hier tätig sein.

Das Interview fand in der Schmiede Donop statt

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