Der Hände Werk hat goldenen Boden

Warum Geschäftsführer Professor Dr. Gunther Olesch die ­Facharbeit ­besonders wichtig ist, welchen Stellenwert die ­Marke ­Phoenix ­Contact bei der Berufswahl hat und wie er ­Blomberg für den Arbeitsmarkt sexy macht, verrät er im Interview.

Prof. Dr. Gunther Olesch

Professor Dr. Olesch ist seit 1989 bei Phoenix Contact. Seit 2001 ist der studierte Wirtschaftspsychologe einer von vier Geschäftsführern und verantwortlich unter anderem für das Thema Personal und Ausbildung. Seit vielen Jahren ist er Lehrbeauftragter an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, außerdem Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Lippe e.V. und Vorsitzender der Initiative für Beschäftigung OWL. Innerhalb der Nationalen Plattform Elektromobilität ist Gunther Olesch Mitglied des Lenkungskreises und sitzt der Arbeitsgruppe „Bildung und Qualifizierung“ vor.

UPDATE: Herr Professor Dr. Olesch, was für einen Stellenwert hat „der Hände Werk“ bei der Digital Company ­Phoenix Contact?

Einen sehr hohen Stellenwert. Denken Sie allein die ­Maschinen, die wir in der Fertigung haben. Die müssen nicht nur konstruiert werden, sondern auch aufgebaut, eingerichtet, gewartet und im täglichen Betrieb mit den vorgesehenen Rohstoffen oder Halbzeugen bestückt. Da braucht es nicht nur Ingenieure, da braucht es auch zupackende ­Fachkräfte. Auch die Instandhaltung oder die Gebäudetechnik – das geht noch nicht im 3D-Druck. Natürlich sind wir eine ­Digital ­Industrial Company, aber das Werk der Hände ist und bleibt auch ­entscheidend.

UPDATE: Was für eine Bedeutung hat das Handwerk, sprich Berufe ohne akademischen Hintergrund, in der modernen Industrielandschaft der Zukunft?

Mittlerweile sogar einen höheren Wert als noch vor Jahren. Es gibt zu wenig Facharbeiter. Und das wirkt sich in Zukunft noch stärker aus. Während wir in den letzten zehn Jahren das duale Studium forciert haben, weil es zu wenig Ingenieure gab, verstärken wir mittlerweile unser Engagement bei den Facharbeitern und deren klassischer Ausbildung. Ansonsten fehlen die uns in der Zukunft. Es wird genug Ingenieure geben, aber zu wenig Facharbeiter, die die Maschinen dann später auch warten, reparieren und in Stand halten, Motoren tauschen, Lager auswechseln. Das spüren wir jetzt schon, und das wird sich, wenn wir nicht handeln, noch dramatisch verschlechtern.

UPDATE: Eine Entwicklung, die ja schon lange voraus zu ­sehen war. Wie lange sind Sie schon verantwortlich für das Personal­tableau bei Phoenix Contact?

Ich bin seit 31 Jahren im Unternehmen und seit 2001 in der Geschäftsleitung. Hier bin ich unter anderem zuständig für den Bereich Personal, aber auch für die Themengebiete IT oder Facility Management. Die Ausbildung war dabei schon immer meine Mission. Und zwar eine Ausbildung auf höchstem Niveau.

UPDATE: War das auch der Grund, um das Trainings- und Ausbildungscenter zu gründen? Welchen Stellenwert hat die Ausbildung des eigenen Nachwuchses?

Die ist für uns existenziell. Allein schon aufgrund der ländlichen Lage, wo es schwierig ist, Mechatroniker auf dem freien Arbeitsmarkt zu bekommen. Ausbildung und auch die Weiterbildung sind extrem wichtig, daher haben wir das großzügige Aus- und Weiterbildungszentrum am Standort Schieder errichtet. Die Berufsbilder haben sich auch beim Facharbeiter dramatisch verändert, da kann es sowohl in der Theorie wie in der Praxis keinen Stillstand geben. Es muss ständig geschult werden.

Denken Sie nur an die Drehbänke, an denen man vor 20 Jahren noch vorwiegend manuell gearbeitet hat. Heute, in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung, müssen ­Computer ­gekonnt bedient werden. Aber wenn etwas ausfällt, wenn etwa ein Getriebe gewechselt werden muss, dann ist das nach wie vor der Hände Werk. Das muss zusammenpassen. Und das ­lehren wir in unserer hochmodernen Lehrwerkstatt.

UPDATE: Heutige Babyboomer blicken fast neidisch auf die kommenden Generationen, denn während für die Vor-69er alles knapp war – Schule, Ausbildung, ­Studium, ­Beruf – können sich künftige Absolventen ihren Arbeits­platz aussuchen. Wie begegnen Sie dem demographischen Wandel, dem immer deutlicher zu spürenden Nachwuchskräftemangel?

Der demographische Wandel, das Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem aktiven Berufsleben, war schon vor 20 Jahren bekannt. Der gerät nur jetzt immer stärker in die öffentliche Wahrnehmung. Aber der jetzige Fachkräfte­mangel ist ja noch harmlos. Von 2000 bis heute, 2020, haben wir einen Mangel an Fachkräften von rund 7 Prozent. Bis 2030 werden das 20 Prozent sein, die uns fehlen. Dann werden die 1960er-Jahrgänge, die geburtenstarken Jahrgänge, in ihren Ruhestand gehen. Die Pille wurde Ende der 1960er-Jahre eingeführt, davor hatte eine durchschnittliche Familie 3,8 Kinder, danach nur noch 1,2. Das wird kein langsamer, analoger Wechsel sein. Das Fehlen von Fachkräften wird dramatisch werden, das wird ein digitaler Abriss sein.

Wir sind nicht Microsoft

Wir sind jetzt auch nicht Microsoft oder ­Porsche oder BMW und sitzen nicht in München oder Stuttgart. Unsere Produkte verstecken sich im Inneren von Maschinen und Anlagen, da ­jubelt kein Endkonsument über eine neue Farbe oder ein kühnes Design. Uns gibt’s ja nicht mal im Baumarkt. Und dann sitzen wir zum Beispiel in Blomberg. „Weltmetropole“ Blomberg.

Das ist alles bekannt. Schon lange. Was also können wir tun? Wir müssen uns die Bekanntheit als sehr guter Arbeitgeber selber schaffen. Seit 1994 arbeiten wir daran, unsere Reputation auch auf diesem Feld aufzubauen. Anfangs bin ich noch belächelt worden für dieses Engagement. Top Job, Best Place to Work, Kununu – mittlerweile gelten wir weit über die Landesgrenzen hinaus als Top-Arbeitgeber. Wir haben uns in unseren Zielgruppen einen echten Brand aufgebaut, unabhängig von unserem Bekanntheitsgrad bei den Produkten. Das war ein langer Weg. Aber er hat sich gelohnt.

In den letzten 20 Jahren sind wir elfmal bester Arbeitgeber Deutschlands geworden, haben neunmal den zweiten Platz und sechsmal Platz drei erringen können. Bei Kennzahlen wie den Seitenaufrufen, den Zufriedenheitswerten oder der Fluktuation liegen wir im Spitzenfeld, vor Branchenriesen wie ­Microsoft oder Siemens.

Heute entscheiden sich 82 bis 84 Prozent aller Bewerber unter anderem, weil sie sich etwa im Jobbewertungsportal Kununu informieren. Auch Auszubildende und Facharbeiter, nicht nur Akademiker. Und da werden wir von außen einfach als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen. So sichern wir uns die Aufmerksamkeit unseres potenziellen Nachwuchses.

UPDATE: Wie sieht es bei der Struktur unserer Arbeitnehmer, vor allem unserer zukünftigen Arbeitnehmer aus?

Bei den Geschlechtern sehe ich nach wie vor eine große Heraus­forderung, seit mehr als 20 Jahren. Es verbietet ja keiner den Frauen, Ingenieursberufe zu ergreifen, aber trotz ­aller Bemühungen liegen wir bei nur fünf Prozent Anteil von Frauen in Ingenieursberufen. In medizinischen Berufen etwa ist das Bild komplett anders, da sind mehr als 75 Prozent aller Studierenden weiblich.
Das ist ein Bild, das es nur in Deutschland gibt. Ich unterrichte in der Hochschule auch vor internationalen Studierenden. Bei Indern, Pakistani oder Chinesen sind die Geschlechter annähernd gleich verteilt. Hier haben wir in Deutschland nach wie vor in technischen Berufen noch eine harte Überzeugungsarbeit vor uns. Wir versuchen es ja schon in der Schule. Die Schülerinnen sind zunächst auch ganz angetan. Aber nachher werden sie doch Arzthelferinnen oder Friseurinnen oder gehen in den kaufmännischen Bereich. Wir hatten vor zehn Jahren schon 18 Prozent Frauen in technischen Berufen, das ist seit einigen Jahren wieder rückläufig.

Obwohl technisch ausgebildete Kräfte eine viel bessere Zukunftsaussicht haben. Kaufmännische Bereiche werden doch durch Software stetig verschlankt, da schreitet die Übernahme der Arbeit durch den PC immer weiter voran. Aber wir können natürlich niemanden zwingen.
Das ist übrigens nicht nur bei den akademischen Lauf­bahnen so, das betrifft auch die Facharbeiter. Ich würde mir eine 50: 50-Verteilung der Geschlechter wünschen.

UPDATE: Nachwuchs bei Phoenix Contact – welche Auszubildenden sind „die Besten“, vor welchen graust es Ihnen?

Ich finde die neuen Mitarbeiter toll, die mir sagen, dass ihre Ausbildung erst die Eintrittskarte war in das Theaterstück der Berufswelt. Dass sie etwas Neues schaffen wollen, so wie Steve Jobs oder Elon Musk oder Bill Gates. Die also ihrem eigenen Leben eine Vision geben und die auch verfolgen. Ich will nur meinen Job machen, ansonsten meine Ruhe haben – davor graust es mir.

UPDATE: Graben wir dem Handwerk die Facharbeiter ab? Wie kommt Phoenix Contact mit den ausbildenden Handwerksunternehmen um uns herum aus?

Ich bin ja auch IHK-Vizepräsident, daher habe ich mit dieser Thematik auch immer wieder zu tun. Ich muss sagen, dass ­viele Handwerker zu einem guten Teil selbst dafür verantwortlich sind. Wer Fachkräfte braucht, der muss auch bereit sein, sie auszubilden.

UPDATE: Aber das Handwerk gilt doch als Ausbildungs­maschine des Mittelstands.

Das war mal so, das ist lange vorbei. Wenn es hier in Ostwestfalen hieß, dass Ausbildungsplätze fehlen, dann war das in den letzten Jahren häufig das Handwerk. Wir haben immer sehr intensiv ausgebildet, bis zu 400 Auszubildende gleichzeitig. Wenn dem Handwerk die Fachkräfte fehlen, dann häufig, weil sie den Nachwuchs selber nicht gezogen haben.

Machen wir uns nichts vor: Es sind nicht Geld oder Arbeitszeiten, die immer als Argument herhalten müssen, wenn es um den Wettstreit der Talente geht. Wer zufrieden im Handwerk ist, der bleibt auch dort. Aber wer unzufrieden ist, der geht. Viele fangen in einem Unternehmen an wegen des ­Geldes und bleiben oder gehen wegen des Vorgesetzten.

Deutschlandweit gibt es eine Fluktuation von rund elf ­Prozent, wir haben hier eine Fluktuation von nur einem Prozent. Da steckt viel mehr dahinter als das schnelle Geld. Das ist vor allem unserer Unternehmenskultur geschuldet. Wenn man mit dem Herzen bei einem Unternehmen ist, dann geht man nicht.

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