Phoenix Contact und seine Tochtergesellschaften – seit den 80er-Jahren ist aus dem einst regionalen Industrieunternehmen ein Global Player geworden, der mit einer ganz eigenen Philosophie auch in turbulenten Zeiten nachhaltig erfolgreich ist. CEO Frank Stührenberg erklärt im Gespräch Hintergründe und Perspektive.
UPDATE: Herr Stührenberg, Sie sind 1992 als Assistent der Geschäftsleitung gestartet. War Phoenix Contact bei Ihrem Einstieg schon ein international ausgerichtetes Unternehmen?
Wir waren damals noch stark auf das Deutschland-Geschäft ausgerichtet. Mit der Expansion in ausländische Märkte haben wir ja erst in den 80er-Jahren begonnen. Man hat damals noch unterschieden zwischen dem deutschen Geschäft und dem Export, also dem Rest der Welt. Der Export war damals unter der Verantwortung des geschäftsführenden Gesellschafters Gerd Eisert und so organisiert, dass er quasi ein Spiegelbild der Organisation der deutschen Zentrale war.
UPDATE: Wie intensiv waren die Kommunikation und der Austausch mit den entstehenden Tochtergesellschaften?
(schmunzelt) Naja, sagen wir mal, er war ganz anders als heute. Unser damaliges Selbstverständnis war, dass wir hier in Deutschland tolle Produkte entwickeln und damit die Welt glücklich machen. Allein das Thema einer internationalen Dienstreise war noch weit entfernt von irgendeiner Selbstverständlichkeit.
UPDATE: Sicher nicht einfach für die Tochtergesellschaften, dann in Blomberg Gehör zu finden.
Ich kann mich noch sehr genau an eine Schilderung eines Mitarbeiters im Innendienst erinnern. Wenn der nach der Mittagspause an seinen Platz kam, dann hingen da drei Zettel mit Bitten um Rückruf an seinem Bildschirm. Der erste Anruf war von einem Außendienstler aus Baden-Württemberg, der zweite von einem allseits bekannten Kollegen aus Berlin und der dritte von einem unbekannten Mitarbeiter aus Italien. In englischer Sprache. Und dann raten Sie mal, wie die Reihenfolge war, in der zurückgerufen wurde. Das war natürlich nicht einfach für den Kollegen aus dem Ausland.
UPDATE: Wann setzte hier ein Umdenken ein?
Unsere großen Kunden orientierten sich in ihren Projekten immer stärker international. Kunden wie Volkswagen oder Siemens waren schon überall auf der Welt im operativen Geschäft. Also haben wir Mitte der 90er-Jahre ein internationales Key Account Management eingeführt. Das war das erste Mal, dass man sagte, ein Kunde, egal wo er ist, wird über eine zentrale Organisation koordiniert. Das war meine erste verantwortliche Aufgabe, in der ich mit Gerd Eisert auch immer wieder mal auf Reisen war.
UPDATE: Gab es bei diesem Internationalisierungsprozess auch schwierige Situationen?
(lacht) Mehr als eine. Das hört sich im Rückblick immer so schön reibungslos an. Eine persönliche Feuerprobe erlebte ich zum Beispiel selber 1997. Unser China-Geschäft war nach gerade einmal vier Jahren in Schieflage geraten. Wir hatten uns in bewährter Weise für ein lokales Management entschieden, verstärkt durch einen externen Manager. Doch der passte nicht zu uns und war irgendwann wieder weg. So kam man auf die Idee, dass ich unterstützen sollte. Nicht mit einem schnellen Besuch, sondern in einem längeren Aufenthalt, um wirklich Land und Leute zu verstehen und die Perspektive des Headquarters zu vermitteln. China war damals noch ein ganz anderes Land als heute, da war man nicht auf Westler vorbereitet. Drei Monate war ich vor Ort. Und es gelang tatsächlich, gemeinsam mit unseren chinesischen Kollegen vieles zu stabilisieren. Mittlerweile beschäftigen wir dort 2.500 Mitarbeitende in einer unserer produktivsten und erfolgreichsten Tochtergesellschaften.
UPDATE: Think global, act local – dieses Prinzip ist ja heute selbstverständlich.
Richtig, das war schon damals die Devise von Gerd Eisert. Und das war und ist auch heute eines der überzeugendsten Argumente, wenn es um den Aufbau von Tochtergesellschaften geht. Zunächst suchen wir einen General Manager, der oder die sich in Branche und Land sehr gut auskennt. Und natürlich auch zu uns und unserer Unternehmensphilosophie passen muss.
Haben wir diesen Menschen gefunden, dann versetzen wir ihn in die Lage, mit einem lokalen Team vor Ort zu agieren. Es dauert immer ein wenig, bis aus diesen Anfängen ein Selbstvertrauen erwächst, dass mit der auf den ersten Blick langweilig scheinenden Klemme tatsächlich große Dinge möglich sind. Das war damals in China auch so.
UPDATE: Dann zog sich Gerd Eisert zurück.
Eines Tages um die Jahrtausendwende, ich war damals Leiter des deutschen Vertriebs, kam Klaus Eisert zu mir und fragte, ob ich nicht Aufgaben seines Bruders übernehmen könne, die er gesundheitsbedingt nicht mehr schaffen würde. Keine einfache Situation, in einem Familienbetrieb wie unserem auf einen Mann wie Gerd Eisert zu folgen.
Viele Landesfürsten hatten ja das Privileg eines persönlichen Zugangs zu Gerd Eisert und damit zu einem der Eigner. Doch gemeinsam mit Klaus Eisert haben wir das hinbekommen.
UPDATE: Das führte dann auch zu einer neuen Organisation der Auslandsaktivitäten?
Richtig. Ab dann wurde vom Vertrieb International und dem Vertrieb Deutschland gesprochen. Diese Begrifflichkeit gibt es ja heute noch. Wir sind uns einig, dass die kaufmännischen Prozesse und die Führung, also organisatorische Prinzipien, einheitlich sein müssen. Das Handeln vor Ort wird, wie schon beschrieben, eigenverantwortlich gestaltet.
UPDATE: Kommt diese Eigenständigkeit auch beim Kunden an?
Auf jeden Fall. Ein Beispiel: Es wird wohl noch Jahrzehnte dauern, bis ein südspanischer Schaltschrankbauer kein Problem damit hat, in einem englischsprachigen Call-Center von Phoenix Contact in Indien anzurufen und seine Rechnung zu reklamieren. Da nutzt es uns auch nichts, wenn die Arbeitskraft dort nur einen Bruchteil von dem kostet, was uns spanische Mitarbeitende kosten. Der Kunde ist genervt und hinterfragt seine Beziehung zu uns.
Dürfen wir es riskieren, für einen kleinen finanziellen Vorteil eine langjährige Beziehung aufs Spiel zu setzen? Natürlich nicht. Die lokale Eigenständigkeit ist ein ganz wichtiger Schlüssel für nachhaltigen Erfolg in den Ländern.
UPDATE: Gibt es Regionen, wo wir uns in Zukunft stärker positionieren?
Wenn es Sinn macht, sich in Projekten zu engagieren, dann ja. Ganz bestimmt wird sich im Norden Afrikas etwas rund um das Thema erneuerbare Energie, Flüssiggas (LNG) und Wasserstoff entwickeln. Das beobachten wir im Moment ganz genau und intensivieren auch unsere Netzwerke, etwa in Richtung Forschungsinstitute vor Ort oder Universitäten. Auch Süd- und Mittelamerika sind sehr spannende Regionen, wo es aktuell viele Entwicklungen in Sachen Energiegewinnung gibt.
Betrachten wir Asien, werden wir Indien noch deutlich ausbauen, was dem enormen Marktpotenzial geschuldet ist.
UPDATE: Die Welt erlebt mittlerweile eine Krise nach der anderen. Lieferengpässe, protektionistische Abschottung von Märkten, Corona-, Energie- und Klimakrise – wie gehen wir mit diesen Entwicklungen um?
Natürlich beobachten wir diese Prozesse sehr aufmerksam. Wir bemühen uns, unsere Lieferketten möglichst robust zu machen. Fertigen wir ausschließlich an einem Standort, etwa in China, ein Produkt, das auch in vielen anderen Ländern benötigt wird? Das werden wir sicherlich ändern und die Fertigung an einem anderen Ort duplizieren oder sie wieder zurück nach Europa bringen. Denn noch immer haben wir mehr als 70 Prozent unserer Wertschöpfung hier in Europa. Lange Zeit waren sich viele Experten einig, dass das perspektivisch nicht wettbewerbsfähig genug sei, weil gesagt wurde, wir müssten viel mehr Wertschöpfung in Niedrigkostenregionen wie Indien und China erzielen. Heute würde ich sagen, dass unsere aktuelle Situation in all den Krisen genau wegen dieser Philosophie gar nicht so schlecht ist.
Und die Gestaltung von Lieferketten wird immer mehr getrieben vom Aspekt des CO2-Footprints. An grundlegenden Bestandteilen und deren Beschaffung wie Kunststoff oder Metall können wir wenig ändern. Aber unnütz weite Logistikstrecken können wir mit kluger Planung vermeiden. Unsere Erwartung ist, dass das Thema Lieferzeit versus dem Thema CO2-Footprint bald kippt. Man kann auch erfolgreich sein, ohne dass alles sofort verfügbar, also just in time vorrätig ist. Oder dass man sagt, da darf keine einzige Kiste mehr in der Fertigung stehen.
Meine feste Meinung ist: Die Zukunft unserer Enkelkinder ist wichtiger als eine sofortige Verfügbarkeit.