Eigentlich ist ein Automobil weder besonders auto noch besonders mobil. Die meiste Zeit des Tages steht es herum, und autonom darf es (noch) nicht sein. Doch tauscht man den Energieträger von fossil auf E, dann ergeben sich ganz neue und spannende Möglichkeiten.
Der Begriff, aus dem die e-mobilen Träume sind, lautet „bidirektionales Laden“. Dahinter verbirgt sich die Möglichkeit, die Energie zum Vortrieb nicht nur per Tankrüssel und damit in eine Einbahnstraße Richtung Vehikel zu senden. In der fossilen Welt wartet sie dort in Form von flüssigem Benzin oder Diesel auf ihren Einsatz, ohne weiteren Nutzen zu stiften. Wenn das Auto steht, passiert weiter nichts.
Geben und Nehmen
Im Zeitalter von intelligent genutzter elektrischer Antriebsenergie kann man den Wert dieser Immobilie allerdings drastisch erhöhen. Dazu muss die Ladetechnik nur in der Lage sein, sinnvoll mit der Batterie zu kommunizieren und die Ladeströme so zu steuern, dass eine Entnahme von Energie möglich ist. Et voila, fertig ist die Bidirektionalität. Und damit einer der möglichen Game Changer der Energiewende.
Zum einen bedeutet allein der Umstieg von fossiler auf elektrische Energie eine signifikante Reduzierung des Kohlendioxids. Doch auch die Energienetze selber profitieren. Denn eigentlich mag die Welt des stromführenden Kupfers mitsamt der sie versorgenden Kraftwerke keine Schwankungen. Seit Jahrzehnten brummen die riesigen Energieerzeuger konstant vor sich hin und speisen stets gleichmäßig Strom in die Netze. Bloß keine Schwankungen!
Doch seit die regenerativen Energien ihren Siegeszug angetreten haben, wird die ehemals bedächtige Welt der Stromversorger arg gestresst. Solare Kraftwerke liefern nur, wenn die Sonne scheint. Und Windkraft speist nur ein, wenn Wind weht.
Dazu kommen jetzt noch Verbraucher, die vor 20 Jahren noch niemand auf dem Zettel hatte. Durch die schnell steigende Elektrifizierung der Mobilität werden große Energiemengen abgerufen, für die die Verteilnetze nicht ausgelegt sind. Das sorgt nicht nur für warme Kupferkabel, sondern kann auch zu Versorgungslücken führen, wenn in einem Straßenzug nach Feierabend mehrere Elektrofahrzeuge aufgeladen werden sollen.
Diese Schwankungen sollen von Energiespeichern im Zaume gehalten werden. Sie speichern Erträge, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Und sie geben ins Netz ab, wenn Flaute oder Dunkelheit den Ertrag mindern. Problem: Diese Systeme sind groß, sehr teuer und längst nicht in ausreichender Zahl verfügbar.
Bei Stillstand speichern
Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum eine Armada von meist stehenden, aber mobilen Energiespeichern wie den Akkus von Elektrofahrzeugen Begehrlichkeiten weckt. Doch wie hebt man diesen noch unerschlossenen Energieschatz?
Eine Firma, die sich dieses Themas bereits seit langem widmet, ist im schweizerischen Kriens beheimatet. Evtec entwickelt und fertigt seit mehr als zwölf Jahren Ladetechnologie für fast alles, was per Elektrizität angetrieben werden will, vom Automobil über leichte und schwere Nutzfahrzeuge, städtische Transportunternehmen mit ihren Bussen bis hin zu Booten und Schiffen. Und wenn es sein muss, dann wird auch ein Traktor so konzipiert, dass er nicht nur Ackerfurchen zieht, sondern auch als mobiler Energiespeicher zur Verfügung stehen kann.
Gegründet wurde Evtec 2010 unter anderem von Marco Rodolfo Piffaretti. Der Träger dieses klangvollen Namens ist einer der Schweizer Elektromobilpioniere und gelernter Autodesigner. Aus dem kleinen Startup ist längst eine anerkannte Größe geworden, mit Niederlassungen in verschiedenen europäischen Ländern. Im Schweizer Hauptquartier öffnet Dominik Mock die Türen. Hier in Kriens denken, montieren und monitoren etwa 40 Mitarbeiter innovative Lösungen in Sachen Ladetechnik.
Gleichstrom für die Garage
Dominik Mock ist Leiter des Vertriebs und, als gelernter Elektroinstallateur, ein Mann des Fachs, wenn es um das Innenleben der Ladetechnik geht. Gemeinsam mit dem Schweizer Phoenix Contact-Kollegen Stefan Staiber sind wir einer ganz besonderen Wallbox auf der Spur. Denn dachte man bei DC-Laden bislang eher an das blitzschnelle Laden großer Batterien, beispielsweise an Autobahnen, so soll es heute etwas gemächlicher zugehen. Bei dieser besonderen Wallbox mit dem wohlklingenden Namen „sospeso&charge“ wird vielmehr an die Anwendung am Arbeitsplatz oder zuhause gedacht. Geladen wird zwar immer noch mit Gleichstrom, also vergleichsweise zügig. Doch ist die Verweildauer mit einer Ladeleistung von 10 kW nicht mit denen an klassischen Schnellladestationen zu vergleichen.
Installiert wird die Wallbox mittels einer dreiphasigen Zuleitung mit 16 Ampere Absicherung. Mit anderen Worten: Die Installation ist vergleichbar wie bei einem normalen Herdanschluss und erfordert keine aufwändigen Arbeiten an der Hauselektrik. Zwischen dem Hausanschluss und der Wallbox wird eine Energiemessung mit einem Energiemeter benötigt, die ihren Platz im heimischen Verteiler findet. Mittels einer Netzwerkverbindung wird die Steuerungskommunikation hergestellt. Et voila – schon beginnt der Begriff „Tankstelle“ bei den künftigen Nutzern zu einem ähnlichen Auslaufmodell zu werden wie Cassettenrecorder oder Telefonzelle. Für größere Ladeleistungen ist noch 2022 eine 20 kW-Version angekündigt, denn die Batterien der E-Mobile wachsen analog der angeforderten Reichweite.
Der eigentliche Clou ist aber die Bidirektionalität, zu der die „sospeso&charge“ fähig ist. Nun erklärt sich auch der etwas sperrige Name, der an den Caffé sospeso angelehnt ist. Dabei handelt es sich um eine ursprünglich aus dem Großraum Neapel kommende, kulturelle Besonderheit, bei dem neben dem eigenen noch ein zusätzlicher Kaffee bezahlt wird. Dieser wird vom Barista notiert und später auf Nachfrage an einen Bedürftigen ausgeschenkt.
Diese gelebte Solidarität und Tradition des Nehmens und Gebens beschreibt das bidirektionale Laden trefflich. Schließlich wird vom E-Auto nicht nur Strom genommen, sondern auch, sozusagen auf Nachfrage eines Bedürftigen, wieder zurückgegeben. Im Detail werden dabei zwei Ausprägungen unterschieden: Vehicle-2-Home und Vehicle-2-Grid.
Vehicle-2-Home (V2H) bezeichnet die Nutzung, die typischerweise beim Endanwender zuhause im Vordergrund steht. Ist die Wallbox im Hausnetz angeschlossen, dann kann das eigene Auto nicht nur geladen werden, sondern zusätzlich auch als Energiespeicher dienen. Befindet sich eine Solaranlage auf dem Hausdach, dann stellt die Wallbox zu Zeiten von Stromüberschuss eine Verbindung zwischen Erzeuger und Speicher her – die Autobatterie wird geladen. Steht das Auto nachts, dann erkennt die Wallbox einen eventuellen Bedarf im Hausnetz und speist Energie ein.
So lässt sich der Eigenverbrauch erhöhen, ohne zusätzlich eine kostspielige stationäre Batterie im eigenen Haus zu installieren. In Zeiten von steigenden Strompreisen und sinkenden Einspeisevergütungen ein immer attraktiveres Modell.
Der virtuelle Großspeicher
Für die Energieversorger ist das bidirektionale Laden, hier unter dem Begriff Vehicle-2-Grid (V2G), auch aus einem ganz anderen Grund attraktiv: Damit können starke Schwankungen und Belastungen des Stromnetzes aufgefangen werden. Mock spricht vom „Brechen der Lastspitzen“. Die Batterien von Millionen von Elektroautos bilden einen virtuellen Pufferspeicher und nehmen regenerativen Strom zu Zeiten hoher Verfügbarkeit auf, um ihn später zu Zeiten geringer Verfügbarkeit wieder zu einem gewissen Teil zur Verfügung zu stellen. Gesteuert wird das ganze über die Kommunikation vom Netzbetreiber mit der Wallbox. V2G kann damit den Anteil regenerativer Energien am Energiemix erhöhen und zu einem wichtigen Baustein der Energiewende werden.
„Das bidirektionale Laden“, so erklärt es Dominik Mock, „ist technisch kein Problem mehr. Aber die Rahmenbedingungen sind vielfach noch ungeklärt, etwa Standards und Normungen. Und die Autohersteller müssen nachziehen. Momentan lädt nur ein Modell von Honda im CCS-Standard bidirektional. Der Rest der noch kleinen Schar von Mobilen setzt auf den CHAdeMO-Standard und die damit bereits etablierte Kommunikation zwischen Ladesäule und Vehikel. Wobei bidirektionales Laden eigentlich ein Software-Thema ist. Die heutigen Fahrzeuge sollten das eigentlich können, es könnte over the air freigeschaltet werden. Die Herausforderung wird sein, die Infrastruktur zu bewahren, die man heute im Feld hat und diese an die Kundenanforderungen anzupassen.“
Über Geld spricht man
Ein weiteres Hemmnis ist sicher noch der Preis, wie der 36-jährige Head of Sales von Evtec offen anspricht: „Mit etwa 10.000 Euro Anschaffungskosten ist die Lösung aktuell vor allem für Flotten und Early Adapters interessant.“ Doch der Experte ist sich sicher, dass hier schnell Skaleneffekte eintreten, die die Technologie kostengünstiger und damit attraktiver für eine breite Kundschaft machen.
„Und genau hier ist Phoenix Contact der ideale Partner“, führt Mock im Dialog mit seinem Schweizer Ansprechpartner Stefan Staiber aus. „Ihr habt genau die richtige Technik entwickelt, um DC-Laden in diesem Bereich attraktiv zu machen. Schlanke und damit leichte Kabel, die extrem belast- und haltbar sind und in diesem Lastbereich ohne aufwändige und damit teure Kühlung auskommen. Und ein Stecker, der alles andere als klobig ist, trotz des CCS-Steckgesichts.“
Stefan Staiber, selbst ein Veteran der Wave-Trophy und damit ebenfalls mit allen elektromobilen Wassern gewaschen, ergänzt: „Die von Evtec verwendeten Ladekabel und Stecker der CCS C-Line sind speziell für Wallboxen entwickelt worden. Wir haben festgestellt, dass die großen HPC-Ladestecker samt Kabel zwar ideal sind, wenn es um den harten Einsatz an öffentlichen Ladepunkten geht. Doch im privaten Umfeld schießen wir so mit Kanonen auf Spatzen. CCS-C-Line besetzt genau diese Lücke mit der richtigen Materialwahl, der richtigen Robustheit und einem Design, das nicht an eine Tankstelle erinnert. Versilberte Kontakte, ein innenliegendes Dichtkonzept und hochsensible Temperatursensoren sind Sicherheitsfeatures, die sowohl beim europäischen CCS Typ 2 Standard, als auch beim vorrangig amerikanischem CCS Typ 1 Standard den Umgang einfach und sicher machen. Das sind gerade im privaten Umfeld wichtige Eigenschaften.“
Beim Rundgang durch die Produktion in Kriens erläutert Dominik Mock: „Hinter jeder unserer Entwicklungen steckt ein konkreter Auftrag. Wir können sehr individuell auf Kundenwünsche eingehen, etwa DC-DC-Ladestationen oder eine Integration von Payment-Terminals berücksichtigen. Selbst eine Integration von Kaffeeautomaten haben wir schon entwickelt. Für uns ist das Thema Laden ein Riesenspielfeld. Und das bidirektionale Laden ist eines der spannendsten Themen darauf.“