Hopfen, Malz, Hefe, Wasser & PLCnext

In dieser Story ploppt es. Und es zischt. Und gärt. Denn wenn Manuel Fritsch von seinen Steuerungen erzählt, dann ist das Resultat seiner Programmierkünste ein feines Craftbier. Selbst ­gebraut. Und mit Facebook und PLCnext-Communities optimiert.

Manuel Fritsch prüft frischen Hopfen im Klostergarten

Das deutsche Reinheitsgebot ist die älteste lebensmittelrechtliche Vorschrift der Welt, die heute noch Gültigkeit hat. 1516 erließ der bayrische Herzog Wilhelm IV. das Gebot, dass Bier nur aus Hopfen, Malz, Hefe und Wasser zu brauen sei. Was der Bajuware wohl sagen würde, wenn er auf Manuel Fritsch träfe?

Denn der braut Bier mit Zutaten, die ihn meist aus Online-Shops erreichen, programmiert automatisierte Brauprozesse auf Mikrocomputern und unterhält eine eigene Community von mehr als 5000 Followern auf Facebook. Wahrscheinlich wäre der arme Manuel Fritsch in jener Zeit der Hexerei bezichtigt worden. Mit gar gräuslichen Folgen.

Hexerei ist gar nicht so weit weg, wenn der 36-jährige Software-Ingenieur an seinem Rechner Platz nimmt. Denn Manuel Fritsch hat nicht nur eine Schwäche für gutes eigenes Bier. Er verrät uns, dass er es tatsächlich liebt, einen Programmiercode zu schreiben. Und das ist doch wirklich verdächtig!

Vorgeschichte Geldautomat

Wie kommt ein sympathischer und normal wirkender Mensch zu der seltsamen Kombination zweier so außergewöhnlicher Beschäftigungen? „Ich hatte einfach Lust dazu“, kontert Fritsch die Fragen im Gespräch. Die Lust am Programmieren erscheint fast normal, denn bevor der Ostwestfale seinen Job bei Phoenix Contact antrat, war er lange Jahre vor allem im Ausland für Software-Projekte im Bereich der Geldautomaten tätig. „Ich war wirklich fast überall, denn Geldautomaten gibt es eben auch fast überall.“

Die Beschäftigung mit Software war also schon berufs­bedingt nötig. Eine große Prise Internationalität und das ­Denken sowie der Austausch in Communitys gab es gratis dazu. Das Querdenken brachte Fritsch in Projekten wie „Der Geldautomat und Bezahlsysteme der Zukunft“ ein. Bei ­Phoenix Contact ist der pfiffige Bartträger als Projektleiter eines Software Rollouts tätig.

Bier mit YouTube

Aber wieso Bier? Und wieso selber brauen? „Ich hab gern und viel gekocht. Und gegrillt“, schmunzelt Fritsch. „Ich war sogar schon bei der TV-Sendung „Das perfekte Dinner“ zu sehen. Und Bierbrauen klang einfach spannend.“

Also keine alte Bierbraudynastie im familiären Hintergrund? Oder einen Brauer zum besten Freund? „Nein, gar nicht. Mich hat das einfach gereizt. Und ich hab damals angefangen, mich mit einem Raspberry Pi zu beschäftigen und wollte etwas Sinnvolles damit anstellen.“ Und das nötige Fachwissen? Die fast schon alchimistische Hingabe zum Lieblingsgetränk der Deutschen? „Ein Fachbuch bei Amazon und ein paar Videos bei YouTube, dann habe ich einfach angefangen und jeden Tag dazugelernt“, zerschmettert Fritsch den Nimbus der Bierbraukunst.

Der Raspberry Pi ist ein Winzling

Auf dem Winzcomputer mit nur einer Leiterplatte, der sogar auf ein Gehäuse verzichtet und nur wenig mehr als 30 Euro kostet, programmierte Fritsch eine erste Anwendung, mit der ein Temperatursensor ausgelesen und ein Relais geschaltet werden konnte. „Das reichte völlig für die ersten Gehver­suche, um meinen Braukessel zu steuern.“ Sobald eine bestimmte Temperatur erreicht war, schaltete das Relais die Heizung aus. Der „Braukessel“ war übrigens ein umfunktionierter Reis­kocher. Und das Programm war nach einem Wochenende ­fertig …

Kreativität aus der Community

„Meine Erfahrungen mit dieser Anwendung habe ich dann in einer Bierbrau-Community geteilt. Zu Anfang gab es eine Menge negativer Kommentare. Ich bin da eben ganz anders vorgegangen als in der Gemeinschaft der Bierbrauer gewohnt. Mein Ziel war es, mit nicht mehr als 1000 Zeilen Code etwas Funktionierendes an den Start zu bringen.“
Was sich für den Laien nach viel anhört, ist in der Welt der Software-Entwickler winzig. Größere Software-Module benötigen schnell mehrere hunderttausende Zeilen.

„Außerdem gehe ich immer aus der Benutzersicht an meine Themen. Da bin ich Userinterface-orientiert, das steckt einfach drin. Einfach, leicht zu bedienen. Das war damals eher ungewöhnlich.“ Manuel Fritsch integrierte ein Rührwerk in seinen Aufbau, ein im Raspberry Pi standardmäßiges WLAN-Modul machte das Smartphone zum Bedien-Panel.

„Bierbrauer wollen Bier brauen und sich nicht mit Programmierungen beschäftigen“, beschreibt Fritsch seinen Ansatz. Seine Bemühungen und das Programm veröffentlichte er auf der Community, dem Open Source-Ideal folgend. Erst gescholten, drehte die Stimmung jetzt ins Positive: „Die Community war echt dankbar, dass da jemand eine funktionierende Steuerung anbot, die damals um die 100 Euro kostete.“

Gehäuse von Ikea

Der Hobbybierbrauer veredelte also nicht nur sein Bier, sondern begann, auch seine Steuerungen zu montieren („die erste auf einem Holzbrett“) und zu standardisieren. „Das Publikum wurde immer internationaler. Und da hatte ich die Idee, selber eine Community zu gründen.“

Als Plattform wählte Manuel Fritsch Facebook („einfach zu bedienen, international, weit verbreitet“), seine Gruppe nannte und nennt er „CraftBeerPi“. Über diese Gruppe steht er mittlerweile mit Bierbrauern weltweit in Kontakt. Alle, die hier lesen: Wer einmal den Blick über den blauen Facebook-Zaun wagt, der ist fasziniert von dem Engagement und dem Erfindungsreichtum von Menschen, deren Leidenschaft es ist, selber Bier zu brauen.

„Wie kreativ die Leute sind, was für Lösungen entwickelt werden – da kommt man nie selber drauf.“ Beim Logo hat etwa ein norwegischer Nutzer unterstützt. In der Anfangszeit machte schnell ein „ideales Gehäuse“ für die Steuerung die Runde: „Ein Apothekerschränkchen von Ikea. Billig und weltweit zu bekommen.“

Python statt Maschinensprache

Mittlerweile steht Fritsch vor dem Launch der vierten Version seiner Bierbrau-Software. Außerdem gibt es ein CraftBeerPi-Extension Board, eine eigene Leiterplatte, die auf den Raspberry Pi geklickt wird und deutlich mehr Funktionalität und eine eigene Steuerungslogik bietet. „Ich habe ein internes Softwareevent-Bussystem entwickelt, damit können die unterschiedlichen Komponenten beliebig miteinander kommunizieren.“ Auch der Gärprozess kann damit überwacht werden. Programmiert ist das alles in der Hochsprache Python.

Raspberry Pi mit Extension Board

Weltweit zählt „CraftBeerPi“ damit zu den Top 3 der Steuerungen für Hobbybrauereien, wie der Software-Experte stolz erzählt. In rund 76 Ländern sorgen sie dafür, dass aus Wasser, Hopfen und Hefe schmackhafte Getränke werden. 6667 Installationen waren zum Zeitpunkt des Interviews eingerichtet, etwa 200 Anlagen kommen pro Monat hinzu.

„Das ist ein boomender Markt“, beschreibt Fritsch. „Je eher ein Bier aus einer Brauerei gleich schmecken soll, also je reproduzierbarer und unverwechselbarer der Geschmack sein soll, desto mehr müssen die Herstellungsprozesse standardisiert und damit auch automatisiert werden.“

Manuel Fritsch wäre nicht er, wenn er nicht auch für Alter­nativen offen wäre: „Die Steuerung kann natürlich auch andere Dinge steuern. Es gibt Installationen in Käsereien und Destillerien.“

Eintritt ins Profilager

Den Bereich der industriellen Steuerungen hat Fritsch erst durch seine Tätigkeit bei Phoenix Contact kennengelernt. Nachdem er eine Steuerung mit PLCnext Technology in die Finger bekam („das ist für einen Privatmenschen das schwierigste“), hat es knapp vier Stunden gedauert, dann lief der Brauprozess auf der Profisteuerung. „Das klappt, weil die Steuerung eben dank ihrer offenen Architektur mit Hochsprache umgehen kann.“

PLCnext im Einsatz

Eine Programmierung in Maschinensprache wäre auch möglich, würde den Kreis der Entwickler aber stark einschränken. „Damit würde die Steuerung für den Mikrobrauer kompliziert. Und dann bliebe die Community mit ihrer ganzen Kreativität außen vor.“ Für Manuel Fritsch keine Alternative. Hexen kann der Software-Alchimist eben doch nicht.

craftbeerpi.com

Haus- und Mikrobrauereien

In der Welt der Bierbrauer wird unterschieden zwischen Haus- oder Hobbybrauern, Mikrobrauereien wie der hannoverschen „Das Freie“ (siehe Fotos) und großen Brauereien. Die Grenzen verlaufen fließend. Die Abläufe sind aber sehr ähnlich:
Das Brauen dauert acht bis zehn Stunden, die Sudmenge ist bei Hobbybrauern meist nicht größer als 25 Liter. Der so gewonnene Extrakt wird dann verdünnt und im Würzekochen mit Hopfenpellets versehen. Danach wird abgekühlt und die Gärung gestartet. Die dauert rund zwei Wochen mit möglichst konstanter Temperatur.

Manuel mit den Chefs der Craftbeer-Brauerei „Das Freie“ – Stephan und Matthias Digwa

In Deutschland war es lange verboten, eigene Bierrezepturen zu verbreiten. Heute darf jeder Haushalt bis zu 200 Liter Bier pro Jahr steuerfrei herstellen.

Kiste für Studierende – Raspberry Pi

2012 erblickte die nur scheckkartengroße Leiterplatte das Licht der Welt. ­Entwickelt wurde der Einfachcomputer von der Raspberry-Pi-Stiftung der Universität Cambridge. Die nämlich hatte an einem Schwund an Informatikbegeisterten zu leiden. Und wollte mit dem gleichnamigen Raspberry Pi eine Möglichkeit zum preiswerten Spielen und Ausprobieren schaffen, mit der eine möglichst breite Zielgruppe wieder an das Programmieren herangeführt wird.
Operation geglückt: ­Mittlerweile wurden mehr als 22 Millionen ­Himbeerkuchen-Computer verkauft (Stand Ende 2018).

Was ist eine Hochsprache?

Im Gegensatz zum Hochdeutschen, das den Sprachraum der Deutschsprechenden eint, ist eine höhere Programmier­sprache deutlich abgesetzt von der ursprünglichen Maschinen­sprache, die direkt für den Mikroprozessor geschrieben wird. In der Informatik bedeutet Hochsprache also nicht eine Steigerung der Schwierigkeit des Programmierens. Im Gegenteil: Hochsprachen wollen den Programmieraufwand komplexer Abläufe erleichtern. Damit die Maschine damit etwas anfangen kann, benötigt ein Prozess in Hochsprache daher einen „Übersetzer“, einen Compiler, der die Codezeilen der Hochsprache in Maschinensprache übersetzt.

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