Was nützen das funktionalste, praxistauglichste und cleverste System, die raffinierteste Steuerungselektronik und die ausgefeilteste Sensorik, wenn sie nicht von kundigen Händen dort angebracht werden, wo es Sinn macht? Erst die Fähigkeiten eines Industriekletterers wie Selvin Keller bringen das Eisdetektionssystem von Phoenix Contact dorthin, wo es seinen digitalen Schutzschirm entfalten kann. Handarbeit im Extrem.
Die Sonne scheint, aber es ist lausig kalt. Kein Wunder, denn es ist Dezember. Und wir sind draußen, mitten in der Natur. Unsere Kollegen des Windteams von Phoenix Contact, Karl-Heinz Meiners und Lukas Christ, besprechen sich gerade mit Tommy Liebmann und Selvin Keller. Die beiden sind Industriekletterer. Und haben hier draußen die Aufgabe, die neuen Eiserkennungssensoren von Phoenix Contact dorthin zu bringen, wo sie hingehören – nämlich an die Flügel einer Windkraftanlage.
Klettern an Giganten
In diesem Falle sind das gleich drei Giganten, deren Nabe in 140 Metern Höhe über dem Waldboden thront, während die einzelnen Blätter sich mit ihren mehr als 70 Metern Länge noch einmal deutlich höher in den stahlblauen Himmel recken. Einer der Flügel wird gerade genau so ausgerichtet, dass er nach unten zeigt. Willkommen am Arbeitsplatz von Selvin Keller und seinem Kollegen.
Industriekletterer haben nur auf den ersten Blick einen einsamen Job, ganz allein an Fassade, Turm oder Rotorblatt. Denn: Teamwork ist eine der Grundvoraussetzungen, wie der 27-jährige Keller erklärt. „Wir arbeiten immer im Team. Einer sichert, einer klettert. Das ist längst auch vorgeschriebener Standard.“ Kollege Liebmann ist bereits im Windturm und lässt sich vom Fahrstuhl nach oben zur Gondel bringen. Dort steigt er, natürlich gesichert, auf das Turbinendach und lässt die Kletterseile außen am Turm herunter.
Kein Platz für Adrenalinjunkies
„Industrieklettern hat mit dem Sportklettern wenig gemein“, schildert Selvin Keller. „Wir benutzen die Seilzugangstechnik, um an Stellen zu gelangen, an die man sonst nur sehr aufwändig mit Gerüsten oder Hebegerät oder auch gar nicht gelangt. Nicht das Klettern ist die Aufgabe, sondern die Arbeit vor Ort. Daher sind die meisten Höhenarbeiter auch ausgebildete Handwerker und Facharbeiter, die lediglich ihren Arbeitsplatz ein wenig exotischer gestalten.“ Grinst und fügt hinzu: „Ich bin eine der wenigen Ausnahmen, denn ich bin eigentlich gelernter Einzelhandelskaufmann. Bei einem House-Running-Event von Jochen Schweizer bin ich an die Seiltechnik gekommen. Und die hat mich fasziniert und nicht mehr losgelassen.“ Mittlerweile hat Keller Leidenschaft und gelernten Beruf kombiniert, denn er hat eine Firma gegründet, die die Arbeit am Seil anbietet.
Kaum wieder unten, stößt Tommy Liebmann zum Briefing mit den Phoenix Contact-Experten dazu. Meiners und Christ zücken die Installationspläne und erklären ganz genau, wo die Eisdetektoren ihren Platz finden müssen. Aufmerksam lauschen die beiden Höhenmonteure. Dann geht es ans Werk, sprich in die Luft. Liebmann verstaut Arbeitsmaterialien und Eissensoren in einer robusten Box, die mit am Geschirr hängt. Die Werkbank unterm Hinterteil, sozusagen. Dann wird ein knatternder Benzinmotor per Seilzug gestartet. Doch statt eines Rasenmähers oder einer Kettensäge dient der motorisierte Vortrieb der Höhengewinnung. Denn der Motor treibt eine Apparatur an, die sich am Seil hocharbeitet und den Kletterer so an seinen luftigen Arbeitsplatz in mehr als 100 Metern Höhe bringt.
Schönwetterarbeiter
Während das „Kletter-Moped“ Liebmann zuverlässig mitsamt seiner Ausrüstung nach oben zieht, sichert Keller seinen Kollegen und hält über Funk den Kontakt. Die Dämmerung setzt ein. Für die beiden Profis kein Problem: „Wir haben ja Licht dabei.“ Sorgenfalten bekommen Keller und seine Kollegen erst dann, wenn das Wetter umschlägt: „In der Windbranche, auf die ich mich spezialisiert habe, sind wir eigentlich totale Schönwetterarbeiter. Allerdings sind kühle Witterung und Wind für uns auch Alltag. In der Höhe sind wir eben sehr exponiert. Eine wirklich haarige Situation habe ich erlebt, als plötzlich ein Sturm aufkam und ich am Rotorblatt hing. Da war ich wirklich froh, wieder heil unten anzukommen.“
Tommy Liebmann ist mittlerweile an einem der Punkte angekommen, wo er ein Eisdetektionspflaster anbringen muss. Während es unten im Wald bereits dunkel wird, erlebt der Höhenprofi einen traumhaften Sonnenuntergang. Für den er allerdings keinen Blick hat: „Wir wollen heute noch fertig werden, dann können wir morgen zurück.“ Industriekletterer haben selten feste Arbeitgeber, meist arbeiten sie als Freelancer an den unterschiedlichsten Orten und mit wechselnden Aufgaben. „Die Sensoren anzubringen ist für uns eine Leichtigkeit, da nur die Oberfläche angeschliffen und gesäubert wird. Wir gehen ja nicht tief in das Fasergewebe. Dann kleben wir schon. Zudem können wir uns am Rotorblatt sehr schnell und sicher bewegen.“
Gefährlicher Zeitdruck
Wenn man schon mit einem der raren Kletterexoten zu tun hat, darf die Frage nach den wirklich gefährlichen Aufträgen nicht fehlen. Keller zuckt die Schultern. „Gefährlich wird es für uns nur dann, wenn der Auftraggeber Druck macht und die Sicherheit vernachlässigt wird. Einem Kollegen sind schon die Sicherungsseile von einer aktiven Förderschnecke am Boden eingezogen worden, während er noch in einem Zuckersilo gearbeitet hat. Das wäre fast böse ausgegangen. Einem anderen Kletterer sind in einer Müllverbrennung Aschebrocken auf den Kopf geflogen, weil dort Sicherungsmaßnahmen vernachlässigt wurden. Überall dort, wo zu schnell gearbeitet wird, wo Stillstand nicht akzeptiert wird und Sicherheit keine Priorität genießt, kann es gefährlich werden. Und in unserem Job enden Fehler eben fatal.“ Mit Blick auf den Kollegen oben am Flügel fügt er hinzu: „In der Windbranche passiert das aber nicht, denn hier genießt die Sicherheit einen wirklich hohen Stellenwert.“
Wir haben unsere Bilder im Kasten, die Story im Kopf. Langsam kriecht die Kälte durch die Schuhsohlen. Im Wald ist es stockfinster, nur in rund 120 Metern Höhe bewegt sich der einsame Kletterer am Rotorblatt, leuchtet mit seiner starken Helmlampe seinen Arbeitsplatz aus. Und obwohl wir ihn gut gesichert wissen, sind wir voller Respekt vor der Leistung der beiden Könner am Seil. Handwerk über einem schwarzen Abgrund – ein Job für Menschen mit starken Nerven.