Frühjahr 2021 – noch ist kein Kabel verlegt, kein Schaltschrank bestückt, keine Steuerung aktiv. Trotzdem arbeiten die Building Automation-Experten von Phoenix Contact schon intensiv mit an einer neuen Hamburger Perle. Ein Blick in die Baugrube von Europas größter Baustelle – dem Westfield Hamburg – Südliches Überseequartier.
Wenige Meter entfernt schlagen die Wellen der Elbe an die Kaimauern. Der Druck, den der Fluss auf die gut 15 Meter tiefe Baugrube ausübt, ist gewaltig. Mehr als ein Meter dicke Stahlbetonwände trotzen dem Strom. Aber was treiben Gebäudeautomatisierer aus Ostwestfalen in diesem frühen Stadium des Rohbaus?
Um diese Frage zu klären, hat sich Michael Prior seinen Bauhelm geschnappt und die Lederschuhe mit robusten Sicherheitsstiefeln getauscht. Seit 2015, also ganz von Beginn der Aktivitäten auf der gewaltigen Baustelle an, ist der studierte Maschinenbauer und erfahrene Projektleiter im Dienst vom weltweit führenden Betreiber von Flagship-Destinationen aktiv. Wenige Schritte trennen das Planungsbüro von Unibail-Rodamco-Westfield von dem Eldorado aus 24 Baukränen, engmaschigem Bewehrungsstahl und pumpenden Betonlifts. Vorbei am Einlass mit aufmerksamem Pförtner, der neben Helm und Weste auch auf die Ausstattung mit Mund-Nasen-Schutz achtet – Schutz- und Hygienekonzepte begleiten die rund 400 Bauarbeiter vor Ort.
Der gebürtige Dortmunder ist ein alter Hase in Sachen Gebäudetechnik und hat schon alle möglichen Gebäude automatisiert. Seit 2008 war er für Unibail-Rodamco-Westfield und die Vorgängerunternehmen als Leiter Technik Deutschland tätig und hat in dieser Funktion etliche Immobilien entstehen sehen und technisch auf die Spur gebracht. „2017 habe ich mich dann mit einem eigenen Büro selbstständig gemacht und Kunden im Bereich Technik und Projektsteuerung beraten.“
Prior schmunzelt: „Tja, und kurz danach meldete sich mein alter Arbeitgeber mit der Herausforderung des Hamburger Projekts. Und schon war und bin ich wieder mittendrin, als hätte sich nichts geändert.“
Der Blick in die Tiefe
Warum der erfahrene Fachmann gebraucht wird, sieht man schon am Rand der Baugrube. Das Südliche Überseequartier ist eine Baustelle der Extreme: Eine Million Tonnen Erde sind seit Baubeginn 2017 bewegt worden, um den drei unterirdischen Stockwerken mit ihren Tiefgaragen, Anlieferungen, Versorgungseinrichtungen und einem Busterminal Raum zu schaffen. Das würde reichen, um die Binnenalster gut anderthalbmal aufzufüllen. Davon wurden 200.000 Tonnen per Schiff abtransportiert. Eine komplette U-Bahn-Linie (die noch neue U4) wurde dabei zum Teil freigelegt und extra mit empfindlicher Sensorik bestückt, um Bauschäden an der Stahlbetonröhre abzuwenden. Immerhin wurden hier unter anderem 1.300 Bohrpfähle in bis zu 18 Meter Tiefe gerammt, um den insgesamt 14 Gebäuden ein sicheres Fundament zu bieten. Damit dabei nicht die Wände und schon gar nicht die Röhre wackeln, muss man alles sehr präzise vorbereiten“, schmunzelt Michael Prior.
Das nördliche Überseequartier ist am 23. Oktober 2010 offiziell eröffnet worden. „Wir werden mit dem Westfield Hamburg – Südlichen Überseequartier 2023 folgen“, gibt sich Prior optimistisch angesichts der imposanten Baugrube. „Im südlichen Baufeld sind die Untergeschosse bereits nahezu fertiggestellt, dort wachsen die Rohbauten jetzt in die Höhe. Im nördlichen Baufeld hat der Rohbau mittlerweile das Erdgeschoss erreicht und die Obergeschosse nehmen langsam Gestalt an.“ Offensichtlich unterscheiden sich öffentliche Bauvorhaben und solche in privatwirtschaftlicher Hand zwar nicht in den Ausmaßen, wohl aber in Sachen Planung und Durchführung, Termintreue und Kostenentwicklung. Mit stoßseufzenden Gedanken an hauptstädtische Flughäfen und süddeutsche Tiefbahnhöfe folgen wir Michael Prior an einen der Auf und Abgänge tief hinunter ins noch offene Tiefgeschoss des neuen Hamburger Aushängeschilds.
„Das Projekt ist momentan sehr wichtig für Unibail-Rodamco-Westfield, nicht nur aufgrund von reiner Größe, aber auch der vielfach unterschiedlichen Nutzungsarten, die ein lebendiges urbanes Quartier formen werden. Das ist auch für uns eines der Leuchtturmprojekte weltweit“, erklärt der 57-jährige Immobilienexperte. „Wir steigern die Attraktivität von Hamburgs City nochmals und erhöhen die nationale und internationale Strahlkraft der Stadt.“
Neues Denken an der Elbe
Mit der frühen Einbindung von Phoenix Contact geht Unibail-Rodamco-Westfield ganz neue Wege. Michael Prior erklärt: „Betrachten wir zunächst die klassische Arbeitsweise. Als Projektentwickler haben wir Projekte mit der klassischen Einzelvergabe abgewickelt. Planung, Ausschreibung, Bieterverfahren, Auftragserteilung. So arbeiten wir schon seit gut 15 Jahren.“
Michael Prior führt beim Blick über die gewaltige Baustelle weiter aus: „Wir errichten hier nicht nur ein Shopping Center, sondern ein Areal mit ganz unterschiedlichen Nutzern und Ansprüchen. Daraus muss später eine funktionierende technische Einheit werden, trotz der Komplexität der unterschiedlichen Gewerke und Technologien. Nehmen wir zum Beispiel die Kältetechnik. Die bauen wir für den Retailbereich, nicht nur für uns. Die Hotels und auch das
Kinogebäude werden daran ebenfalls angeschlossen. Oder Strom, der ganz unterschiedliche Bedarfe bedienen muss, je nach Nutzung. Darüber hinaus gibt es ein übergreifendes Brandschutzmanagement für das ganze Quartier. Von solchen Situationen gibt es etliche weitere Beispiele. So haben wir nach intensiver interner Diskussion gemerkt, dass wir uns ganz neu mit der übergreifenden Gebäudeautomation auseinandersetzen müssen.
Und uns war klar, dass wir hier mit einem klassischen Planer, der Standardtechnik einsetzen würde, nicht weiter kommen würden. Unsere Anforderungen gingen einfach weit über das Normale hinaus. So ergab es sich dann, dass die Automation aus dem üblichen Planungsprozess herausgelöst wurde. Wir begannen, nach einem Planer zu suchen, der nach der Planungsphase auch errichtet. Also eigentlich mit einem Verständnis plant, wie wir das ebenso machen, denn auch wir sind ja später selber Nutzer unserer Planungen. Das war für den Markt ganz neu.
Teamwork schon an der Grube
Und hier sind wir auf Phoenix Contact aufmerksam geworden. Deren Philosophie und Selbstverständnis passte einfach auf unsere Anforderungen. Denn auch Phoenix Contact denkt die Automatisierung anders, da enorme Erfahrungen aus dem Bereich der Industrieautomation vorhanden sind. Über die Ausschreibungs- und Angebotsphase entstand schon ein enger Kontakt, denn auch unsere Anforderungen waren im Fluss, wurden mehrfach angepasst. So entstand eine Zusammenarbeit schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt des Projekts.“
Bernhard Tillmans ergänzt: „Das war und ist natürlich nicht ohne Schwierigkeit, denn vieles, was bei Phoenix Contact längst zum Standard in Sachen Digitalisierung und Automatisierung gehört, ist für die Bauwirtschaft ganz neu. Da prallen schon mal Kulturen aufeinander. Wir freuen uns, dass Unibail-Rodamco-Westfield eine genauso fortschrittliche und innovative Denkweise hat wie wir.“
Frederic Busse, der zum Phoenix Contact-Team der Gebäudeautomatisierer gehört, ergänzt: „Viele Themen haben wir aus der Brille von Phoenix Contact betrachtet und eingebracht. Das war auch für uns ganz neu und sehr spannend. Das hat uns alle, also das gesamte Planerteam, sehr vorangebracht. Und schon jetzt gibt es Themen, bei denen wir durch diese neue Art der Betrachtungsweise anders ticken als bei herkömmlichen Projekten, etwa im Bereich Energieventile oder Zählermanagement.“
„In der Planungsphase arbeiten wir also schon ganz eng zusammen. Das ist sehr positiv, wenn ein Hersteller von Automationslösungen zum Planungsteam aufschließt und mit neuen Ideen kommt und auch zwei Jahre nach vorne denkt, etwa in Sachen IT-Sicherheit. Auf der Baustelle direkt“, Prior muss schmunzeln, „gibt es ja noch nichts, wo Intelligenz ins Gebäude muss, das ist noch Rohbau. Aber das kommt jetzt in Windeseile, das wird sich in der Errichtungsphase schnell fortsetzen.“
Die Eröffnung im Blick
Prior weist auf entstehende Rampen aus den Untergeschossen und erklärt den aktuellen Stand der Bautätigkeiten: „Die Entwurfsplanung ist abgeschlossen, die Baugenehmigungen sind auch da und im Bereich TGS stehen wir am Ende der Ausführungsplanung. Die Rohbauarbeiten laufen. Parallel wird jetzt die technische Gebäuderüstung eingekauft, und in Kürze werden ausführende Technikfirmen anfangen zu montieren. Das Quartier wird 2023 eröffnen. In der Phase davor ist die Gebäudeautomation ein zentrales Gewerk.“
Bernhard Tillmans ergänzt: „Das Koordinieren auf der Baustelle wird mit wachsendem Fortschritt immer herausfordernder, denn die Gewerke müssen in ihrer Tätigkeit eng verzahnt sein. Gebäudeautomation ist ja ein nacheilendes Gewerk, welches von anderen Gewerken unmittelbar abhängig ist, die im Vorfeld ihre Leistungen erbringen müssen. Daher sind wir auch das Gewerk, welches erst als letztes fertig werden kann. Das wird in der Zeit der konkreten Errichtung sicher schon die eine oder andere schlaflose Nacht bedeuten, denn wir müssen ja nicht nur einzelne Automatisierungsaufgaben handeln, sondern das Gesamtgebäude und dessen Funktionalität abbilden. Und wenn da ein Gewerk hängt, also verspätet abliefert, geraten Zeitplanung und/oder Ausführung ins Rutschen.
Daher ist es für uns ganz wichtig, die richtigen Partnerfirmen dabei zu haben. Das ist dann nicht immer die Firma mit dem preiswertesten Angebot, sondern die kompetenteste. Mit M+P etwa haben wir ein sehr erfahrenes Planungsunter nehmen als Partner in der aktuellen Planungsphase gewinnen können. M+P bringt genau diese Kompetenz und das richtige Mindset ein.“
Michael Prior ist sichtlich stolz, als wir den Weg zurück antreten: „Beim nächsten Besuch wird das hier schon ganz anders aussehen. Und dann können wir schon erste Gewerke beim Umsetzen von Automatisierungslösungen demonstrieren. Versprochen!“ Herr Prior, wir nehmen Sie beim Wort! Fortsetzung folgt …
Phoenix Contact Building Automation
Westfield Hamburg – Südliches Überseequartier
Der Gebäudeflüsterer