Genies auf schmalem Fuße

Miniaturisierung ist ein Phänomen, welches schon komplette Industrien umkrempelte. Immer mehr Funktionen in immer kleinere Geräte – das mögen auch Schaltschrankbauer. Die finden bei Phoenix Contact eine ganze Familie von Überspannungsschutzgeräten mit Weltrekordabmessungen. Deren Entwicklung brauchte allerdings ganz neue Wege.

Thorsten Heil, Peter Berg, Steffen Pförtner (v.li. nach re.)

Bei Phoenix Contact in Blomberg genießen die Trabtech-Kollegen einen Sonderstatus. Sie sitzen nicht nur in einem der modernsten Büro- und Laborgebäude auf dem weitläufigen Campus. Wenn sie während ihrer Tests Blitze zucken lassen, muss vorher bei den Stadtwerken angerufen werden, damit genug Reserven aus den Stromleitungen fließen, sonst gehen in der ostwestfälischen Kleinstadt die Lichter aus.

Das alles aus gutem Grund: Phoenix Contact ist einer der führenden Hersteller von Sicherheitsrelais weltweit. Grund für diese technologische Vorreiterrolle: ständige Innovationen und Weiterentwicklungen. Seit 1983 bietet Phoenix Contact die Technologie des Überspannungsschutzes an. Mit der Termitrab complete-Baureihe betrat man allerdings ganz neuen Boden.

Schrumpfen auf Weltrekord

Thorsten Heil, Peter Berg und Steffen Pförtner gehören zum Team, das sich 2012 zum ersten Mal traf, um im Schaltschrank für Platz zu sorgen. „Wir hatten vielfach von unseren Kunden den Wunsch nach mehr Platz im Schaltschrank gehört. Das ist einer der Megatrends im Schaltschrankbau.“ Die Gründe werden deutlich, wenn man sich die Anlagen anschaut, in denen Sicherheitsrelais unverzichtbar sind. In Windkraftgondeln etwa ist viel Platz Mangelware. Zudem sind große Schaltschränke auch ein Kostenfaktor. Also soll die Technik schrumpfen.

Die ehrgeizigen Rahmenbedingungen waren schnell gesteckt: „Bis runter auf nur noch 3,5 Millimeter Breite wollten wir. Dazu sollte das Relais auch steckbar sein, um eine möglichst einfache Wartung und damit verbunden einen guten Komfort für die Installateure zu gewährleisten“, schildert Peter Berg, einer der Entwickler und Konstrukteure des Teams. Steffen Pförtner, ebenfalls Entwickler und für die elektromechanische Komponente zuständig, ergänzt: „Dazu war eine einfache Einmessbarkeit ganz wichtig.“ „Uns war aber schnell klar, dass wir, wenn wir wirklich drastisch kleiner werden wollten, ganz neue Wege gehen müssen“, erzählt Produktmanager Thorsten Heil von den ersten Schritten der Entwicklung.

Doch bevor es um das Feilschen um Zehntelmillimeter gehen konnte, mussten die passenden Rahmenbedingungen für die Entwicklung geschaffen werden. „Dabei war Dr. Martin Wetter als Chef von Trabtech nicht nur Initiator, sondern auch Moderator. Er hat die nötigen Freiräume geschaffen, damit wir wirklich komplett auf grüner Wiese starten konnten“, zeigt sich Produktmanager Heil nach wie vor beeindruckt. „Wir konnten und wir sollten wirklich spinnen, ohne Lastenheft.“ „Und wir wollten das nutzen und mit einem wirklichen Kracher kommen“, ergänzt Steffen Pförtner und schmunzelt: „Das ist uns ja auch gelungen!“

Nach der halbjährigen Kreativphase folgte die Gründung eines Projektbüros mit einem Kernteam. Der Freiraum drückte sich auch in der Arbeitsumgebung aus. „Wir sind mit dem ganzen Team komplett in ein großes Projektbüro im benachbarten Produktionsgebäude umgezogen. Das Team saß ganz eng jeden Tag zusammen. Und die Spezialisten kamen aus allen Bereichen, wir haben also komplett interdisziplinär gearbeitet.“

Austausch über den Schreibtisch hinweg, morgendliche Runden, transparente Projektplanung – in den nun folgenden zwei Jahren wuchs das Team eng zusammen. „Ganz wichtig war uns der Systemgedanke, mit dem wir an den Start gehen wollten. Nicht nur ein Relais, nicht nur ein einzelnes Modul. Das haben nicht nur wir uns als Ziel gesetzt, das ist traditionell auch eine Stärke im gesamten Produktportfolio von Phoenix Contact.“

An der Produktionsstraße

Einfach war das Unterfangen nicht. Schließlich waren die angestrebten drei Millimeter Dicke ein revolutionärer Ansatz, auch für Gasentladungsableiter in Flachbauweise. Schließlich wurden es trotz aller Kniffe doch 3,5 Millimeter in der flachsten Ausführung („dafür mussten wir zum Beispiel auf die Messertrennung verzichten und eine Schraube einsetzen.“) und sechs Millimeter im Rest der Termitrab-Familie. „Wir haben wirklich immer wieder diskutiert, immer wieder nach Lösungen für auftauchende Probleme gesucht. Und manchmal gedacht, wir scheitern auch.“ Bis in die Eben des Spritzverfahrens sind die detailbesessenen Experten abgetaucht, haben zusammen mit den firmeneigenen Maschinenbauern sogar hier Innovationen entwickelt.

Selbst die Zulieferer staunten ob der Detailversessenheit: „Wir hatten noch nie Kunden, die sich so mit unseren Bauteilen auskannten“, war das Echo aus der Branche. Lohn der Anstrengungen: Die Termitrab-Baureihe wurde intern durch die Aufnahme in das firmeneigene Highlight-Programm geadelt, was zusätzliche Marketing- und Entwicklungsmittel freisetzte. Mittel, die beflügelten, denn noch standen zahlreiche Zulassungen aus, die es zu bestehen galt. „Die Verzahnung all der Eigenschaften war enorm“, so Entwickler Berg, „Kunststoffe, Metalle, der Einfluss von Temperatur, selbst eine Salz-Nebel-Prüfung haben wir berücksichtigt.“

Erfolg dank Systembaukasten

Der Marktstart 2017 begann mit enormen 107 Produkten, allesamt geprüft und zugelassen. Die Resonanz war enorm. Die Akzeptanz im Markt rechtfertigt den Aufwand, denn der Absatz der superschmalen Schutzschalter liegt weit über Plan. Neue Varianten, etwa mit Zulassung in explosionsgefährdeten Umgebungen, werden vorbereitet. Und das Baukastensystem ermöglicht schnelle Reaktionszeiten auf Sonderwünsche und Varianz. Schmal ist eben gefragt!

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