Gleich zweimal ließ sich Phoenix Contact in der Nelkenstadt nieder. Aus der einstigen Notlösung entwickelte sich in den letzten fast 80 Jahren eine echte Liebesbeziehung. Der sich auch der jetzige Bürgermeister, Christoph Dolle, kaum entziehen kann, wie er im Gespräch augenzwinkernd verrät.
Der Empfang war eher frostig. Als das kleine Essener Handelsunternehmen Phönix Elektrizitätsgesellschaft H. Knümann 1943 einen Bauantrag stellte, um das ehemalige Gewerkschaftshaus und damalige Bürgerheim umzubauen, war Stadtoberhaupt Bargob eher reserviert. Kriegsflüchtlinge in der kleinen Nelkenstadt? Und was wollte ein Unternehmen der Elektrizitätsbranche in seinem ländlich-beschaulichen Blomberg mit den zwölf Stuhlfabriken, in dem noch Pferdefuhrwerke übers Kopfsteinpflaster rumpelten? Hier gab es doch weder Arbeiter noch Absatzmärkte.
Klemme statt Stuhl
Aber Hugo Knümann setzte sich durch. Auf die Möglichkeit, dem Bombenhagel des Ruhrgebiets zu entkommen und im ländlichen Nirgendwo ein Exil zu suchen, hatte ihn sein Schwager gebracht. Der war Außendienstler für einen Schokoladenhersteller und kam durch seine Tätigkeit weit herum. Und im ostwestfälischen Blomberg gab es schlicht nichts, was die Alliierten dazu hätte bringen können, hier militärisch aktiv zu werden. Ganz anders als in Essen, wo Schwer- und Rüstungsindustrie ihre Zentralen hatten und auch der Hauptbahnhof mit seinen Arkaden zum Ziel von Angriffen wurde.
Das zweigeschossige Bürgerheim wurde umgebaut. Der ehemalige Schankraum im Erdgeschoss verwandelte sich in Empfang, Schreibstube und Büro. Der Festsaal im Obergeschoss wurde Heimat der Montage und des Lagers. Lagerregale, Waagen, Schreibmaschinen, Telefone, Schreibtische und Büroschränke passten auf einen Lkw und waren schnell auf dem Weg. Der umfunktionierte Schanktisch wurde zum Packplatz. Ein Provisorium, das immerhin 14 Jahre lang funktionierte.
Schon bald wurden die Klemmen von Blomberg, damals noch mit eigenem Bahnhof, aus verschickt. Und auch die Teile aus den Zuliefererbetrieben fanden ihren Weg nach Ostwestfalen. Eine logistische Meisterleistung während und kurz nach dem Krieg. Knümann gelang es, seine Klemmen als „kriegswichtig“ einstufen zu lassen. So war eine Versorgung mit Teilen möglich. Die ersten Mitarbeitenden wurden eingestellt, bald war der Betrieb wieder rund 20 Köpfe stark. Die nötigen handwerklichen Fähigkeiten bei der Montage der Klemmen waren überschaubar, von Fachkräftemangel also noch nichts zu spüren.
Raus aus der Provinz
Der Krieg war vorbei. 1948 ging die Firmenleitung unter Hugo Knümann wieder zurück nach Essen. Schon bald liefen die Geschäfte erneut an, das kleine Unternehmen wollte expandieren. Doch sämtliche Versuche, in Essen eine passende Baugenehmigung oder ein geeignetes Grundstück zu bekommen, scheiterten. Also festigten sich die Pläne, den Blomberger Standort, an dem Lager, Montage und Versand geblieben waren, auszubauen. Doch erst nach dem Tod Hugo Knümanns 1953 nahm das Vorhaben Fahrt auf. Dann aber rasant.
Josef Eisert hatte einen guten Draht zu Stadtdirektor Eggert und Bürgermeister Fritzemeier. Die beiden machten sich stark für ein neues Firmengrundstück am noch unberührten Flachsmarkt, inmitten von Feldern und Äckern. Josef Eisert engagierte den jungen Architekten Eckhard Schulze-Fielitz aus Essen, der mit seinem an den Bauhausstil angelehnten Entwurf einer Produktionshalle bis heute das architektonische Gesicht von Phoenix Contact prägt. 1957 wurde die erste Halle errichtet.
Der eigene Raupenschlepper
Klaus Eisert erinnert sich noch gut an die Anfänge der Blomberger Bautätigkeit: „Wir hatten sogar einen eigenen Bautrupp mit fünf Maurern und Bauhandwerkern. Mit eigenem Betonmischer, eigenem Kran und sogar einer Hanomag Raupe. Die Bodenplatte der hinteren Hälfte von Halle 1 haben wir selber gegossen.“
Gleich nach Errichtung von Halle 1 erfolgte der Startschuss zum Bau von Halle 2. Und 1966, mit der Errichtung des noch heute nur „Hochhaus“ genannten Gebäudes 21 siedelte auch die Verwaltung wieder zurück nach Blomberg. Das Büro von Schulze-Fielitz errichtete bis in die 80er-Jahre zahlreiche Werksgebäude weltweit und machte die Bauten von Phoenix Contact unverwechselbar. Sein Nachfolger, der Architekt Werner Brandstetter, blieb und bleibt den baulichen Grundsätzen treu.
Mittlerweile arbeiten 5.500 Mitarbeitende täglich allein am Standort Blomberg. Das Firmengelände ist zu einem international bekannten Wahrzeichen Blombergs geworden. Und die Entwicklung des Standorts ist noch nicht zu Ende: Im Jubiläumsjahr 2023 wird das innovative Gebäude 60 eröffnet, weitere stehen schon in den Startlöchern.
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