Eigentlich war der Stromkrieg zwischen Gleich- und Wechselstrom schon 1890 entschieden. Doch nach mehr als 130 Jahren gewinnt der Verlierer an neuer Bedeutung. Dr. Martin Wetter und Dr. Christian Helmig sind angetreten, den Schatz des Gleichstroms zu heben.
Wer auf dem Campus von Phoenix Contact von DC redet, dem geht es zunächst um die Anschlusstechnik für Leiterplatten, die Device Connectors. So heißt beim Blomberger Elektrotechnikunternehmen ein ganzer Geschäftsbereich. Doch DC kann auch etwas ganz anderes bedeuten, und genau darum geht es, wenn man mit den beiden Doktoren Martin Wetter und Christian Helmig spricht. DC ist weltweit als Abkürzung für Direct Current, also Gleichstrom, bekannt.
Er ist überall
Es ist nicht nur die markante Frisur oder die Vorliebe für blaue Anzüge, die die beiden Aushängeschilder der Gleichstromtechnologie eint. Thematisch viel wichtiger ist ihr gemeinsamer Werdegang. Beide sind Absolventen des Dortmunder Lehrstuhls für Hochspannungstechnik, an dem sie auch gemeinsam promoviert und gearbeitet haben. Den Münsterländer Wetter zog es schon 1997 ins ostwestfälische Blomberg, der Westfale Helmig folgte im Abstand von fünf Jahren zu Phoenix Contact.
Auch wenn beide in verschiedenen Einheiten des Unternehmens arbeiten, führt sie ihre Leidenschaft für die Übertragung und Anwendung von Gleichstrom aktuell zusammen. Denn beide stehen mit Überzeugung hinter dem Leitbild von Phoenix Contact, der All Electric Society. Und Gleichstrom, so sind sie sicher, kann einen wertvollen Beitrag für das Gelingen der nachhaltigen Energiewende leisten.
Eigentlich ist man im Alltag permanent von Gleichspannung umgeben. „In jedem elektrischen Gerät, welches ein Display hat, von Waschmaschine über Smartphone bis Autoelektronik, steckt Gleichstrom. Jeder elektrische Kleinantrieb funktioniert in der Regel mit Gleichstrom und jede Batterie speichert Gleichstrom. Es gibt nur ganz wenige Geräte, etwa alte Toaster oder Bügeleisen, die direkt mit Wechselstrom funktionieren“, erklärt Martin Wetter. Und Christian Helmig ergänzt: „Durch die regenerativen Energieerzeuger, vor allem Solar, ist Gleichspannung wieder ein großes Thema geworden. Ob in Solarmodulen oder Windrädern – hier wird die eingefangene Energie zunächst einmal in Gleichstrom umgesetzt. Und in Elektromobilen treiben Batterien mit Gleichstrom die Räder an.“
Vorteil bei Gleich
Drei große Argumente spielen den späten Nachfolgern von Thomas Alva Edison in die Karten: Effizienz, Speicherbarkeit und Ressourcen. Sofort ersichtlich ist, dass bei jeder Transformation von Energie ein Teil davon in Wärme verloren geht. Wird Strom durch Wind oder Sonne erzeugt, liegt er zunächst in Gleichspannung vor. Die Wandlung in Wechselstrom „frisst“ rund 20 Prozent der ursprünglichen Energie.
Und wer Dinge per Gleichstrom in Bewegung setzt, der kann die überschüssige Bewegungsenergie per Rekuperation leicht wieder einfangen. „Das geht mit Gleichstrom besonders einfach. Und das ist nicht nur bei der Elektromobilität wichtig, sondern auch in vielen industriellen Bereichen wie etwa Hochregalsystemen oder Industrierobotern. Energie wird zurückgewonnen, wenn sich die Bewegung verringert“, fügt Innovationsmanager Wetter an. „Effizienz ist also eines der zentralen Themen, wenn es um den verstärkten Einsatz von Gleichstrom geht.“
Zweites großes Thema ist die direkte Speicherbarkeit. Energie aus Batterien ist Gleichstrom. Gleichstromsysteme können daher Energie ohne Wandlung direkt in Batterien speichern oder abrufen. Das ist dort relevant, wo Systeme nicht ausfallen dürfen, etwa Datencenter oder Produktionsanlagen, in der Mobilität oder in Prozesssteuerungen.
Der dritte große Vorteil liegt in der Einsparung von Material, da die benötigten Leitungen deutlich geringere Querschnitte aufweisen. Das zählt vor allem für industrielle Produktionsanlagen. Dr. Wetter schildert eine konkrete Anwendung: „Jüngst ist ein Hochregallager in Betrieb gegangen, das mit Gleichstrom arbeitet. Da sorgen die Förderkörbe, die nach unten fahren, dank Rekuperation für die Energie, die die anderen Körbe wieder nach oben fahren lässt. Dadurch ist die benötigte Anschlussleistung, also die Menge an Energie, um rund zwei Drittel geringer geworden als bei einem herkömmlichen Wechselspannungsanschluss. So wurde richtig viel Geld beim Anschluss gespart.“
Vorteil beim Wechsel
Wechselstrom hat dagegen große Vorteile bei der Energieübertragung über weite Strecken. Dr. Wetter erklärt: „Wenn ich eine gewisse Leistung übertragen will, brauche ich Strom mal Spannung. Will ich viel Leistung übertragen, muss ich Strom oder Spannung oder beides erhöhen. Die Übertragungsverluste auf solchen Leitungen hängen aber ausschließlich vom Strom ab. Die steigen sogar quadratisch, also doppelter Strom gleich vierfache Verluste. Deswegen überträgt man große Leistungen über weite Distanzen mit Wechselstrom, mit hohen Spannungen. So minimiert man Übertragungsverluste. Die Umwandlung geschieht mit entsprechenden Transformatoren einfach und überragend zuverlässig.“ In der klassischen Technik der Verteilnetze mit wenigen großen Kraftwerken und sternförmiger Verteilung ist Wechselstrom also gesetzt. Gleichstrom ist daher eher ein Thema für lokale „Insellösungen“.
Doch der Umgang mit Wechselstrom hat noch einen weiteren, sehr gewichtigen Vorteil. Dazu Martin Wetter: „Theoretisch gibt es nichts, was mit Gleichstrom nicht funktionieren würde. Was wir aber im Bereich Wechselstrom erreicht haben, ist der extrem hohe Sicherheitsstandard. Zum Vergleich: Pro Jahr gibt es allein in Deutschland etwa 3.000 Menschen, die im Straßenverkehr sterben. Aber nur 30 Tote durch Stromschläge, trotz der enormen Verbreitung.“
Woran liegt es, dass der Umgang mit Gleichstrom noch eine Domäne von Fachleuten ist? Christian Helmig erklärt: „Der wirkliche Unterschied von DC zu AC ist im Alltag der fehlende Stromnulldurchgang. Wenn man in einem Wechselspannungsnetz ein in Betrieb befindliches Gerät vom Netz trennt, entsteht ein Lichtbogen. Den nimmt man aber kaum wahr, da er nur Sekundenbruchteile andauert. Beim Gleichstrom muss man da deutlich wachsamer sein. Ein Gerät unter Spannung vom Netz zu trennen, löst einen gefährlichen Lichtbogen aus, der sowohl den Nutzer als auch das Material massiv gefährdet. Daher ist es ein Ziel unserer Produktentwicklung, dass wir bei der Technologie ein ähnliches Sicherheitsniveau auch beim Gleichstrom erreichen, wie es der Endanwender beim Wechselstrom gewohnt ist.“
Stecker mit Intelligenz
Christian Helmig zückt einen Stecker und legt ihn auf den Tisch: „Aber wir haben heute dank neuer Leistungselektronik Möglichkeiten, die Vorteile der Gleichspannung wieder nutzbar zu machen. Und wir haben auch erste Produkte wie diesen DC-Steckverbinder ArcZero, die speziell auf die direkte Nutzung von Gleichstrom abzielen. Das wird in einigen Unternehmen bereits in Pilotanlagen erprobt. Aber noch fehlen Standardisierungen, damit die Geräte miteinander arbeiten.“ Dr. Helmig weist auf den Stecker: „Das ist der erste Steckverbinder, den wir nur für DC entwickelt haben. Integriert ist eine Schaltung, die den Kontakt erkennt. Wenn ich den Stecker unter Last in einem Gleichstromnetz ziehe, dann entsteht auch hier ein Lichtbogen, der allerdings nur minimal ist, da der Strom die Schaltung anspricht, die daraufhin sofort abschaltet.“
Das Produkt sieht einem klassischen Stecker für Wechselstrom ähnlich, ist aber aufgrund der integrierten Schaltung etwas länger. Wetter: „Das zeigt, warum wir nicht gleich alles in DC umsetzen können. Ein einfacher Stecker und eine einfache Steckdose sind, um die gleiche Handhabung zu erreichen, deutlich aufwändiger in Konstruktion und Kosten. Da ist die Welt des Wechselstroms einfach super etabliert. Wir sind daher auch Gründungsmitglieder in der Open Direct Current Alliance (ODCA), in der sich bereits mehr als 40 Unternehmen zusammengeschlossen haben, um Standards für die Geräte zu entwickeln, wie ihn der Wechselstrom schon lange hat. Der Systemgedanke dabei ist wichtiger als der individuelle Wettbewerb der Innovationen.“
Ein neuer Stromkrieg?
Eine Konkurrenz zu Wechselstromsystemen sieht Wetter allerdings nicht. „Die AC-Technologie ist ja wirklich gut und ausgereift. Ich sehe die neuen Entwicklungen im Bereich Gleichstrom eher als spannendes und wachsendes, aber als Nischenthema. Da, wo der Gleichstrom seine Chancen und Stärken hat, da wird er kommen. Aber alles, was mit Wechselstrom funktioniert, ist so ausgereift und etabliert, dass an eine grundlegende Änderung unserer Energiestruktur nicht zu denken ist.“
„Immer da, wo etwa neue Gebäude gebaut werden, wie aktuell unser Produktionsgebäude 60, wo Photovoltaik auf dem Dach ist und Ladesäulen vor dem Gebäude, wo Speicherelemente zum Einsatz kommen, Maschinen angetrieben werden und ich planerisch große Freiheitsgrade habe, da wird Gleichstrom eine spannende Alternative“, umreißt Christian Helmig das eigene Pilotprojekt. „In Gebäude 60 arbeiten wir an einem DC-Teilnetz mit der Zielsetzung, es irgendwann weiter in den eigenen Maschinenbau und die Produktion auszudehnen. Wir haben in der Planung dabei zunächst mit dem Fraunhofer Institut gearbeitet. Und dann haben wir die Kollegen vom eigenen Facility Management dazu geholt. Das zeigt aber auch, dass der Umgang mit Gleichspannungsnetzen noch lange nicht Alltag ist. Da traut sich noch kein normaler Elektroinstallateur dran.“
Doch Dr. Helmig gibt sich zuversichtlich: „Mit zunehmenden Show Cases wird es immer einfacher, diese Technologie zum Einsatz zu bringen. Das galt übrigens durchaus auch für die eigenen Kollegen hier bei Phoenix Contact, mittlerweile nimmt aber auch das Kundeninteresse immer mehr zu. Wir haben viele Besuche, denn viele unserer Industriekunden wollen über die Erfahrungen, die wir gerade bei Gebäude 60 machen, mehr erfahren.“
Die „Gleichstrom-Twins“ zweifeln nicht am Erfolg ihrer Mission: „Wir glauben daran, dass diese Technologie sinnvoll ist. Die Vorteile liegen auf der Hand. Sie passt hervorragend zu unserer Vision einer All Electric Society, insofern sind auch die zu entwickelnden Produkte ein Stück weit Investitionen in unser aller Zukunft.“
Der Podcast zum Thema
Phoenix Contact Gleichstromnetze
Phoenix Contact DC Steckverbinder