Wenn im Norden nicht nur Wind zur Energieerzeugung genutzt wird, sondern auch Ladesäulen passend dazu entwickelt – dann ist es Zeit, sich das Zusammenwachsen der beiden Technologien doch genauer anzuschauen. Also nichts wie hin …
„Die von Enercon denken anders als die meisten der Branche.“ Die Worte meines Kollegen klingen nach. Björn sollte es eigentlich wissen. Denn Björn kennt Enercon. Was kein Wunder ist, denn Björn betreut die Ostfriesen, und das schon seit sechs Jahren.
Wir sausen gerade lautlos durchs morgendliche Blomberg. Jugendliche Fahrradrabauken beachten uns nicht, abgelenkte Smartphone-Passanten schrecken kurz auf. Denn das Vehikel, welches wir für unseren Nord-Trip organisiert haben, ein Golf GTE, nutzt seinen Elektroantrieb zwar nur für etwa 35 reine E-Kilometer. Das aber irritierend lautlos. Und bekanntermaßen drücken die Pferdestärken ohne Verluste direkt auf die Antriebswellen.
Wir rollen also standesgemäß. Zumindest solange, bis dem Hybriden die geladene Lust dazu ausgeht und er den Benziner zum Vortrieb dazu bittet. Was zwar nicht ganz astrein ist, wenn es um eine Story über die E-Mobilität und das Vermeiden von fossil getriebener Fortbewegung geht, aber nötig, um die heutigen rund 560 Kilometer hin und zurück ohne Tesla oder Übernachtung zu bewältigen.
Nordwärts
Wir, das sind Björn und meine Wenigkeit. Björn Bulter ist nicht nur ein waschechter Ingenieur der Elektrotechnik. Er ist auch Key Account Manager bei Phoenix Contact. Und seit gut 20 Jahren in der Windbranche aktiv. Auf der letzten Wind-Messe in Hamburg erzählte er mir, dass Enercon jetzt auch Ladesäulen entwickeln würde. Was mich zu der Frage veranlasste, ob man sich das nicht einmal genauer anschauen könne.
Ein paar Telefonate, Mails und einige Wochen später sitzen wir in besagtem E-Golf und sind auf dem Weg zu einem der interessantesten Player im globalen Wind-Business. Jedenfalls nach Aussage meines Kollegen. Da der allerdings für seinen Kunden stets ein gutes Wort einlegt, lasse ich mir erstmal die Fakten präsentieren und schau mir die Sachlage vor Ort an.
Enercon ist der größte Windanlagenbauer Deutschlands und international als fünftgrößter Onshore-Hersteller ebenfalls bestens aufgestellt. Die Firmenzentrale ist im ostfriesischen Aurich. Was ein Glücksfall für die Region ist, denn bevor der Windriese sich dort entfaltete, war Aurich vor allem platt, grün und ziemlich verschnarcht. Klassisches Ostfriesland eben.
Schiet Wetter
Reichlich Wind treibt nicht nur Regenwolken vor sich her. Sondern spornt die Windenergieanlagen auch zu Höchstleistungen an. Das freut die Betreiber, sorgt angesichts der Wolkenbrüche allerdings für Sorgenfalten auf meiner Stirn. Schließlich brauchen wir für eine vernünftige Reportage auch Fotos.
Als wir die Autobahn erreichen, hat der Golf seinen kleinen Vorrat an elektrischer Antriebsenergie aufgezehrt. Ab jetzt darf der Benziner ran. Das Umschalten klappt problemlos und unmerklich. Respekt für diese tadellose Umsetzung, auch wenn ich kein Freund der kombinierten Antriebe bin. Batterie und Tank sind beide klein, um die Summe der Energieträger nicht zu schwer werden zu lassen. Das sorgt für eine geringe Reichweite und macht ob des höheren Verbrauchs auch energetisch wenig Sinn. Sämtlichen Fahrverboten sind damit aber ihre Schrecken genommen, der E-Golf ist zukunftssicher. Wir geben dem kleinen Hybriden jetzt die Sporen, denn wir haben noch einige Kilometer vor uns.
Erste Lichtblicke
Die Norddeutsche Tiefebene erstreckt sich gen Horizont. Der Himmel hängt tief. Genau das richtige Wetter, um sich von Björn weiter in Sachen Enercon schlau zu machen. „Enercon hat schon früh auf neue Geschäftsfelder gesetzt. So entdeckte das Unternehmen den Bereich Service als einen attraktiven Bereich, um sich von den Mitbewerbern abzusetzen. Und das lange vor allen anderen. Auch die Fertigungstiefe ist weltweit einzigartig, die Ostfriesen mit ihren zahlreichen Tochtergesellschaften fertigen Generatoren, Gondeln, Beton- und Stahlrohrtürme, Rotorblätter, Steuerungen, Leistungselektronik und ein Teil der Gusskomponenten in eigenen Fabriken.“
Da haben sie etwas mit Phoenix Contact gemeinsam. Mir geht allein die Zahl 1,7 Milliarden durch den Kopf. Soviele Schrauben haben wir in der hauseigenen Produktion allein 2018 hergestellt.
Paradox: Je weiter wir nach Norden kommen, desto mehr zeigen sich Wolkenlücken. Sonnenstrahlen zwängen sich durch die graue Tristesse. Kurz vor Aurich fahren wir an einer der wenigen noch erhaltenen alten Korn-Windmühlen vorbei. Genau das Fotomotiv, welches wir als Einstieg in die regenerative Strecke benötigen. Übrigens hat auch die stromerzeugende Windmühle eine lange Geschichte. Schon 1887 errichtete der Schotte James Blyth eine erste Anlage, um sein damaliges Ferienhäuschen mit Energie zu versorgen. Zeitgleich errichtete Charles Francis Brush in Ohio eine Strom-Windmühle, die mit einem zweistufigen Getriebe ausgestattet war. Die 20 Meter hohe Anlage trieb einen 12-kW-Generator an.
Die Stadt der Häuptlinge
Schließlich passieren wir die Stadtgrenzen von Aurich, der alten Häuptlingsstadt der Friesen. Richtig: Die Friesen besaßen bis ins Mittelalter hinein Häuptlinge, lange Zeit sogar gewählte. Die unabhängigen Sturköpfe gelten ja noch heute als renitent, wenn es um die Einführung von Neuem und Unbekanntem gilt. Umso erstaunlicher, dass der Elektroingenieur Aloys Wobben hier seine Firmenzentrale errichtete. Und das schon 1984. Begonnen hat er mit drei Mitarbeitern. Heute ist sein Konzern ein Global Player mit weltweiter Fertigung und Anlagen in mehr als 45 Ländern.
Als wir vor die „E-Charger 600“ rollen, wartet Tobias Trauernicht schon auf uns. Der sympathische Ingenieur ist im hauseigenen E-Golf gekommen, denn unser Hybrid verträgt den „schnellen“ DC-, also Gleichstrom, nicht. Ab jetzt ist auch Schluss mit Sonne, der Wind lässt den Regen waagerecht durch die Luft schießen.
8 Minuten für 400 Kilometer
Die 350-kW-Schnellladestation lässt sich davon nicht beeindrucken. „Noch ist das ein Prototyp, doch Enercon plant, noch 2019 mit der Serienfertigung zu beginnen“, schwärmt Trauernicht unbeeindruckt vom prasselnden Regen. „Mit dem richtigen Auto könnte in acht Minuten Energie für 400 Kilometer geladen werden.“ Ein wenig mitleidig schaut er auf unseren Hybriden, der von derlei Laderaten nur träumen kann.
Uns gefällt zunächst natürlich der eingesetzte Ladestecker aus unserem Haus, der mittels aktiver Kühlung noch deutlich höhere Ströme transportieren könnte. Doch der Stecker ist nicht das einzige Teil, welches aus Ostwestfalen stammt: „Enercon und Phoenix Contact sind hier eine Entwicklungs-kooperation eingegangen und treiben das Thema Ladesäule entscheidend mit voran. Das ist für Enercon eine bedeutende Entwicklung, denn wir öffnen uns damit einem ganz neuen Geschäftsfeld. Wir stellen uns dem Strukturwandel, sowohl in Sachen Regenerativer Energien als auch bei der Mobilität.“
Ladesäule paradox
So wächst auch in Aurich zusammen, was bei Phoenix Contact schon gelebte Firmenphilosophie ist. Betrachtet man Elektromobilität und regenerative Energien ganzheitlich, dann scheint diese Entwicklung logisch.
Nicht logisch, aber typisch: Der Regen hört nicht auf. Trotzdem legen wir auf dem Rückweg einen Stopp auf einer Autobahnraststätte ein – ein Piktogramm mit Ladesäule lockt uns und unseren E-Stromer. Fast unnötig zu erwähnen, dass uns auch hier ein Stecker aus dem Hause Phoenix Contact anlacht … Dass das Laden dann aufgrund fehlender Karten nicht klappt, zeigt, dass nicht nur die Südlink-Stromtrasse ein Projekt ist, bei dem noch viel zu tun ist. Doch das ist ein anderes Feld.