Wer Windenergieanlagen seine stromerzeugenden Manieren beibringen will, muss ab und an auch ganz nach oben, um zu installieren oder nach dem Rechten zu schauen. Ein abenteuerlicher Arbeitsplatz, der nach spezieller Unterweisung verlangt.
Wer nach ganz oben will, muss unten anfangen. Ganz unten. Lukas Christ liegt auf dem Asphalt, der Kopf ist verbunden. Eine glänzende Wärmedecke soll ihn vor Kälte und Auskühlung schützen. Im Hintergrund ein verbeultes Auto, vor ihm ein Verbandskoffer. Wir sind in Bissendorf bei Osnabrück, auf dem Betriebshof von Rescoff. Und Lukas Christ betreut mit seinem technischen Sachverstand, wenn er nicht gerade das Unfallopfer spielt, den Phoenix Contact-Großkunden Enercon.
Das Windteam von Phoenix Contact ist fast komplett angetreten zur jährlich wiederkehrenden Sicherheitsschulung. Ob Vertriebler oder Techniker, ob Ingenieur oder Gruppenleiter – wenn es um das Thema Sicherheit auf dem Windrad geht, sind alle gleich: Die dreizehn Teilnehmer sind bewaffnet mit Sicherheitsschuhen, Kletterausrüstung, Helm und robuster Kleidung. „In der Regel sind wir zu zweit auf einer Anlage. Und wenn wirklich etwas passiert, dann gibt es dort oben nur den jeweiligen Kollegen, der helfen kann. Da muss man sich aufeinander verlassen können“, erklärt Nils Lesmann, im „zivilen Leben“ Business Development Manager.
Schulbank vor Action
Doch bevor es in die Höhe geht, stehen Basiswissen und Theorie auf dem Plan. Auch wenn es die Profis schon oft gehört haben: Was ist eine technische Anlage? Wie macht man sie sicher? Wie verhält man sich bei Unfällen an und auf einer Windenergieanlage?
Welche Unfälle sind möglich? Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) unterscheidet zwischen drei Gefährdungsbereichen: Die mechanische Gefährdung durch scharfe Kanten, ungeschützte Maschinenteile oder die Lastenaufzüge. Eine Windgondel ist eben kein Appartement, auch wenn die Ausmaße großer Anlagen mittlerweile die Dimensionen eines Tiny Houses sprengen würden. Die elektrische Gefährdung der „abgeschlossenen elektrischen Betriebsstätte“ ist naheliegend, daher sind Arbeiten an diesen Bereichen nur Personen erlaubt, die als Elektrofachkraft ausgebildet sind. Und schließlich ist nicht alles, was sich in einer Windgondel oder dem Turm befindet, gesundheitlich unbedenklich. Epoxydharze, Schmier- und Hydrauliköle oder Reinigungsmittel verlangen nach vorsichtigem Umgang und entsprechendem Schutz.
Und manchmal trägt der Ingenieur oder Servicemitarbeiter das Risiko auch mit sich. Denn auch ein Schlaganfall, ein Hitzeschock oder ein Herzinfarkt sind in der Abgeschiedenheit einer Windgondel verschärft lebensbedrohliche Situationen. Die alle drei Jahre nötige obligatorische Untersuchung beim Betriebsarzt ist für die Mitglieder des Windteams daher auch Routine. Neben einem EKG wird durch Blut- und Lungentest überprüft, ob der Mitarbeitende für das Arbeiten in der Höhe tauglich ist.
Stress im Labyrinth
Mittlerweile ist Lukas Christ „gerettet“, die Kollegen haben routiniert die Rettungskette in Gang gesetzt und den „Verunfallten“ versorgt. Die beiden Ausbilder erhöhen das Stresslevel: Jetzt sollen die „Verletzten“ aus einem Drahtkastenlabyrinth geborgen werden, welches die Enge einer Windenergieanlage simulieren soll. Schläuche versperren den Weg, Kisten sind zusätzliche Hindernisse. Mal ist es ein Herzinfarkt, der versorgt werden soll, mal ist es ein Bruch, der in der Enge zunächst geschient wird, bevor ein Abtransport möglich ist.
Björn Bülter ist heute im Vertrieb tätig als Key Account Manager des deutschen Windanlagenherstellers Enercon. Bevor er bei Phoenix Contact begann, war er selber Servicetechniker und auf etlichen Windrädern im Einsatz: „Das ist hier sehr realistisch. Oben auf der echten Anlage führt uns der Weg ja häufig vom Maschinenhaus über enge Wege in die vordere Nabe, vorbei an allen möglichen Anlagen und im Kriechgang drunter durch. Und wenn wir etwa Sensoren in den Blättern montieren und einmessen wollen, dann geht es noch tiefer in die Anlage, und es wird noch enger.“
Es geht aufwärts
Der zweite Tag – es geht aufwärts. Doch bevor der Klettergurt angelegt und der Helm festgezurrt wird, gibt ein erfahrender Dozent nochmal eine theoretische Einweisung ins Thema. Materialkunde ist angesagt. Es geht um Ausrüstung, die sich ansonsten wohl nirgendwo bei Phoenix Contact finden lässt: Klettergurte und -geschirr, Karabiner und Haken. „Working at Heights“ heißt dieser Teil des Kurses. „Bei meinen ersten Kursen sind wir tatsächlich danach aus einem 80-Meter-Turm runter“, erzählt Karl-Heinz Meiners mit einem Schmunzeln. Der 53-jährige Senior Project Manager ist ein Urgestein im Team und hat schon in etlichen Ländern weltweit auf Windrädern gearbeitet. Heute reicht dafür der acht Meter hohe Turm in der Rescoff-Halle.
„Fit muss man für diesen Kurs schon sein“, pustet Karl-Heinz nach einem Ausstieg aus dem superengen Fahrstuhl, der kaum Platz für zwei Personen bietet und trotzdem nach unten verlassen werden will. Nichts für Menschen mit Platzangst, „und schwindlig werden sollte einem in dem Job sowieso nicht.“ Doch wer wie Karl-Heinz Meiners schon vor 20 Jahren bei Winterstürmen in der Inneren Mongolei auf Windtürmen herumgeklettert ist, „noch ohne Fahrstuhl und mit einem Hosengurt zur Sicherung“, der bleibt auch bei solchen Anforderungen cool.
„Das Training hier ist sowieso viel anstrengender als jede reale Arbeit auf den Anlagen.“ Richtig bange ist dem Senior im Windteam nur einmal gewesen: „Das war vor gut 20 Jahren, auf einer chinesischen Anlage. Dort waren wir oben wegen eines Fehlers, während die Anlage lief. Heute ist das streng verboten. Und dann ging die Anlage in den Notstopp. Also eine blitzartige Vollbremsung des Rotors. Es gab einen gewaltigen Schlag, dann flogen wir durch die Gegend. Und mit uns ordentlich Funken, die dabei frei wurden. Und Feuer ist das Schlimmste, was da oben passieren kann. Das war das einzige Mal, das ich wirklich Schiss gehabt habe.“
Raus und runter
Respekt gehört dazu, will man die luftigen Arbeitsplätze unbeschadet wieder verlassen. „Wir sind demnächst in Portugal auf einer Anlage, wo wir in die Nabe müssen. Dort steht der Schaltschrank für die Sensorik, mit der wir die Blätter messen. Das Problem – wir müssen aus dem Maschinenhaus und dann außen vor die Nabe klettern, wo es eine Einlasstür gibt. Von innen ist da kein Durchgang“, erzählt Lukas Christ, am Vortag noch das verarztete Unfallopfer. Mit einem Ruck zieht er das Klettergeschirr fest und lässt sich dann schlapp hängen: schon wieder Unfallopfer! Diesmal wird er abgeseilt und spielt den Ohnmächtigen, der vor seinem „Retter“ baumelt. Normalerweise läuft es beim Youngster, der seit 2016 im Team ist, aber wesentlich besser: „Ich bin häufig auf Prototypenanlagen von Enercon, unterstütze dort bei technischen Abnahmen.“
Wer auf Windenergieanlagen arbeitet, ist trotz der räumlichen Nähe weitgehend isoliert und muss sich oder seinem Partner selber helfen können. Noch einmal deutlich gesteigert wird dies bei Offshore-Windparks. Björn Bülter: „Ich war relativ früh schon offshore, 1998/99 das erste Mal. Da gab es noch nicht viele Anlagen, da haben wir das Training für Arbeiten auf einer Bohrinsel mitmachen müssen. Mit dem Schiff ging es raus auf die Nordsee vor der irischen Küste. Das Übersetzen vom Boot auf die Plattform, das war der gefährlichste Moment des Tripps – das Schiff fährt rückwärts dran. Du musst dann genau den Moment abpassen, wenn die Welle das Boot auf den höchsten Punkte hebt und dann rüber auf die Leiter und dann hoch. Je mehr Welle, desto spannender wird’s.“
Doch dank der mittlerweile ausgereiften und weltweit gültigen Sicherheitsstandards sind schwere Unfälle auf und in Windenergieanlagen selten geworden. Und auch die regelmäßigenTrainings sind ein wichtiger Bestandteil, um die Sicherheit der Fachleute von Phoenix Contact zu gewährleisten. Eine Herausforderung bleibt der Job trotzdem …