Interview mit Professor Schuh, einem Freigeist, der ständig zwischen Start-Up, Großunternehmen, Disruption und Disziplin pendelt.
Günther Schuh ist nicht nur Professor an der RWTH Aachen, sondern auch einer der Initiatoren des Überraschungscoups Streetscooter, CEO des E-Mobility-Startups eGO und – Mitglied des Beirats von Phoenix Contact.
UPDATE: Prof. Dr. Schuh, verstehen Sie sich als Hochschulprofessor, klassischer Unternehmer, Automobil-Manager oder Freigeist und Querdenker mit Startup-Mentalität?
Trifft alles zu. So verstehe ich mich. Und ich bin der Meinung, dass wir diese Kombination viel häufiger brauchen. Unternehmertum und Managerwelten müssen akademischer werden, müssen sich noch viel mehr der Logik, der Nachweisbarkeit, den wissenschaftlichen Prinzipien stellen. Und die Wissenschaft sollte nicht nur des Erkenntnisgewinns wegen aktiv sein, sondern sich auch der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Relevanz stellen. Ein Hochschullehrer darf heute kein Manager sein. Doch genau das brauchen wir – den praxisorientierten Lehrer und den managenden Wissenschaftler, der dazu noch ein gehöriges Maß an Begeisterungsvermittlung mitbringen sollte, also für seine Ideen brennt.
UPDATE: Streetscooter und e.Go sind untrennbar mit Ihrem Namen verbunden. Mit dem Konzept des Streetscooter als bezahlbarem E-Mobil konnten die Großen der Automobilbranche zunächst nichts anfangen. Sind die Großen der Automobilbranche die Dinosaurier, die zu träge auf ihrer alten Fertigungskompetenz sitzen und überholt werden von einer innovativen und dynamischen Zuliefererbranche, die dank der Elektromobilität auf einmal selbst zu Fahrzeugherstellern werden können?
Das glaube ich nicht. Die etablierten Größen der Branche
legen ihren Fokus richtigerweise auf die großen Segmente. Natürlich wird es
heute immer schwerer, jeden Trend in der Technologie rechtzeitig zu erkennen
und zu deuten. Aber auch wer zu früh kommt, wird vom Leben bestraft. Die
Startups sind da natürlich deutlich flexibler. Aber die Eintrittsbarrieren in
den Automobilsektor sind ja enorm hoch. Achim Kampker und ich hatten den
Werdegang des Streetscooter damals gar nicht vor, haben zunächst ja auch nur
ein Modell und dann eine Kleinstserie gebaut. Die Post hat uns dann sehr
geholfen, eine Flotte von 50 Fahrzeugen aufzulegen. Das war visionär.
Was aber tatsächlich zutrifft, ist, dass die Automobilhersteller dann, wenn
sich tatsächlich Technologien und Szenarien verändern, zu langsam reagieren. Da
müssen wir dafür sorgen, dass sich die Geschwindigkeit deutlich erhöht.
Telematik ist der Zwillingsbruder der eMobilität
UPDATE: Im mittleren und schweren Nutzfahrzeugsegment wachsen Technologien wie Telematik, Sensorik und E-Mobilität zusammen. Wo nicht Design und Geschmack regiert, sondern Funktion und Preis, werden vernetzt und autonom fahrende Gütertransporteinheiten mit Radnabenmotoren und E-Achsen vorstellbar. Motorraum, Fahrerkabine – nicht mehr nötig. Auch Sie haben mit dem e.Go Mover demnächst ein Nutzfahrzeug am Start. Wie weit gehen Sie, wenn es um Vernetzung und Autonomie geht?
Bei dem Thema bin ich selber verwundert. Und das beobachten wir auch sehr intensiv. Wenn die Großen der Branche hier das Tor weiter so weit offen lassen, dann überlegen wir sehr intensiv, ob wir nicht diese Lücke nutzen sollen. Diese Revolution, die im Nutzfahrzeugsegment quasi unmittelbar greifbar wird, die muss man einfach mitnehmen. Denn hier ist, Sie haben es ja formuliert, die Markteintrittsbarriere deutlich kleiner als im Pkw-Segment.
Die Telematik ist der Zwillingsbruder der E-Mobilität, beides zusammen schafft die Grundlage auch für wirtschaftlichen Erfolg. Das eigentlich disruptive Potential sehe ich dabei in den Abo-Modellen, also der Abkehr vom kompletten Besitz einer fahrenden Einheit, hin zur Verwirklichung von flexiblen Dienstleistungen rund um die Beförderung von Waren und Personen.
UPDATE: Ist Disruption nur ein Thema der Technologie, oder kann es auch ein Thema der politischen Systeme sein? China war nie ein Land der Fahrzeughersteller, besitzt mittlerweile aber nicht nur einen riesigen Markt, sondern Zugang zu Rohstoffen, Schlüsseltechnologien und ein wachsendes Portfolio an E-Fahrzeugen. Ein neuer Player, der aus einzelnen Komponenten komplette Technologien entwickelt – Disruption als Staatsmodell?
Auf die Frage hab ich schon länger gewartet. Und tatsächlich scheint es auf den ersten Blick so, dass autoritäre Systeme wirklich große Vorteile bei der Einleitung von disruptiven Prozessen haben. Aber ich halte das für grundlegend falsch! Autokratische Regierungen können keine Innovationen befehlen. Gerade das Beispiel China zeigt, dass hier bei der Elektromobilität ein virtueller Markt aufgebaut wird, der sofort wieder zusammenbricht, wenn die staatliche Lenkung sich zurücknimmt. Der Staat kann nicht die Rolle eines Innovators übernehmen, das verschwendet im Gegenteil sogar Geld und vor allem Zeit, die hinter künstlich errichteten Mauern verloren wird.
Was tatsächlich fehlt, ist im Gegenteil zur staatlichen Lenkung ein Eigenkapitalmarkt. Das ist weltweit eines der größten Probleme, wenn es um die Entwicklung von Innovationen geht. Und das ist keine Problematik nur bei Startups, sondern das sehe ich als Problemfeld der gesamten Industrien. Alle Großen agieren nach dem Sparkassenmodell. Damit meine ich, dass sie nach der Ertragswertmethode Entscheidungen fällen:
1. Um überhaupt Geld zu investieren, muss die Investition, also der Ertrag, sicher sein.
2. Der Kapitaleinsatz wird stets niedrig verlangt. Warum muss denn das so teuer sein, geht es nicht auch mit weniger Geld? – Standard bei Budgetverhandlungen.
3. Der Return of Invest soll möglichst morgen schon erfolgen. Die Risikobereitschaft und die zeitliche Dimension sollen möglichst gering sein.
Diese Faktoren sind aber nicht innovationsförderlich, sondern innovationsfeindlich.
Der Eigenkapitalmarkt ist kein staatliches Thema. Und auch die Banken können diese Einstellung, dieses Problem nicht lösen. Deutschland etwa hat weltweit mit die höchste Innovationsquote, aber kaum Kapital zur Umsetzung. Im Silicon Valley etwa ist das genau anders herum. Da gibt es kaum noch attraktive Ideen, aber einen enormen Überschuss an Kapital. Die Risikobereitschaft ist eine ganz andere. Wer dort 300 Millionen verdient hat, der steckt 30 Millionen in den eigenen Lebensstandard, in Haus, Yacht oder Luxus. Aber der Rest wird wieder investiert in neue Projekte. Und das auch mit der Bereitschaft, auf das falsche Invest zu setzen. Wie gewonnen, so zerronnen – das ist eine Grundeinstellung, die weder Staat noch Banken lösen können
Startups passen nicht in einen Konzern
UPDATE: Es ist mittlerweile en vogue, dass sich Konzerne an Startups beteiligen, um nicht nur neue Technologien für sich zu gewinnen, sondern auch den Spirit ins eigene Unternehmen zu holen. Braucht ein Startup auch den unternehmerischen Druck der Eigenständigkeit, oder lässt sich Startup-Mentalität tatsächlich in einem Konzern kultivieren?
Ohne Entscheidungsautonomie lässt sich keine innovative Idee
zur wirtschaftlichen Reife bringen. Und die kann ein Konzern quasi per DNA kaum
abgeben. Auch der Prozess der arbeitsteiligen Entscheidungsfindung ist im
Konzern nötig, verträgt sich aber nicht mit der Verfolgung einer stringenten,
neuen Idee. Der sozialisierte Common Sense, die abgestimmte Mehrheit, steht
meiner Meinung nach sogar der Innovation eines Startups entgegen. Und der
Konzern mit seiner ganzen Steuerung kann quasi gar nicht anders, muss Prozesse
lenken und steuern. Das ist wie ein Naturgesetz.
Wenn ein Startup in einen Konzern integriert wird, dann ist das nur noch eine
Abteilung. Das passt weder organisatorisch, noch lässt sich die neue
Gründergeneration in ein Konzernumfeld einspannen. Ich glaube, dass
Großunternehmen besser beraten sind, wenn sie sich beteiligen, aber sich aus
der operativen Lenkung raushalten.
UPDATE: Vielen Dank für das Gespräch.