Der Erfinder

Patente sind ein guter Gradmesser für die Innovationskraft eines Unternehmens. Seit den Zeiten von Josef Eisert ist Phoenix Contact ein permanenter Quell für Erfindungen, die die Welt von Elektrik und Elektronik revolutionieren. Dennis Geisler tritt also in große Fußstapfen!

Dennis Geisler im Gespräch

Eigentlich könnte der langgewachsene Schlaks auch Basketballer sein, wie er da lässig durch Halle 31 schlendert, auf dem Weg zur Vorserienfertigung „seiner“ Leiterplattenanschlussklemmen. Doch bei aller Lässigkeit: Dennis Geisler hat es faustdick hinter den Ohren. Beziehungsweise im Raum zwischen den Hörapparaturen. Denn er allein hat im Jahr 2022 elf Patente entwickelt und angemeldet. Allein? „Naja, natürlich ist die Arbeit an Innovationen immer Teamwork“, gibt er sich bescheiden. Doch der Gedankenblitz kommt von dem jungen Ingenieur mit ostwestfälischen Wurzeln. Damit führt der innovative Freigeist die interne Rangliste der Patentanmeldungen an.

Kabel fangen mit der Mausefalle

Ziel seiner innovativen Gedankengänge ist die Push-X-Technologie und ihre Adaption auf die Leiterplatte. Push-X bedeutet, dass Stromleitungen werkzeuglos in Klemmen eingeführt und dort sicher arretiert werden. Im Unterschied zu der schon bekannten Push-In-Anschlusstechnik ist es dabei egal, ob diese Leitungen einen festen Kupferkern haben, ob die verdrillten Drähte per Aderendhülse verstärkt sind oder ob die Leitungen nur aus flexibler Kupferlitze bestehen – wird die Leitung eingeführt, drückt sie gegen einen Auslöser. Dank einer vorgespannten Feder schnappt der dann zu und drückt die Leitung sicher an das kupferne Gegenstück, damit Strom fließen kann. Bedienbar und wieder lösbar ganz ohne Werkzeug.

„Bei Leiterplatten klappt dieses Mausefallenprinzip aber nicht eins zu eins“, beschreibt Dennis Geisler die technologische Herausforderung. „Die hier verwendeten Leitungen sind viel zu dünn und damit empfindlich. Wir sprechen bei Push XPC 1,5 von einem Querschnitt von 1,5 mm2. Die empfindlichen Leitungen würden abbiegen, wenn sie gegen einen Widerstand drücken sollen. Eine sichere Verbindung kann so nicht zustande kommen.“

Das Mausefallenprinzip in der Durchsicht

Ein unlösbares Problem trotz vielversprechender Ansätze in anderen Anwendungen? Anfang 2022 kam der Entwicklungsauftrag, die Push-X-Technologie auch für Leiterplatten anwendbar zu machen. „Von Beginn an war klar, dass dieses Projekt eine hohe Priorität besitzt. Daher wurde das Entwicklerteam auch handverlesen. Das Kernteam setzt sich dabei aus fünf Disziplinen zusammen. Neben dem Marketing, aus dem die Anforderung kommt, sind das die Entwicklung selber, dann das Industrial Engineering für Teile und Werkzeuge, das Labor zum Testen und letztlich ein Projektleiter.“

Im Sprint zum Produkt

Eine übliche Produktentwicklung dauert im Durchschnitt drei bis vier Jahre. Doch dieses Mal sollte ein Sprint hingelegt werden –nur ein Jahr von der Entwicklung bis zur Markteinführung. Für Dennis Geisler genau die richtige Aufgabe: „Für so ein innovatives Produkt brauchst Du Leute, die sich damit identifizieren können und bereit sind, auch Risiken einzugehen. Die pragmatisch sind, aber auch Fehler eingestehen, daraus lernen und nicht versuchen, alle Eventualitäten im Vorhinein zu überdenken und zu eliminieren, bevor sie auftreten, um bloß keine Fehler zu machen.  Man hat mir als jungem Entwickler vertraut, das war natürlich wichtig.“

Ein Blitzstart für Geisler, der mit der Welt der Klemmen ursprünglich gar nichts zu tun haben wollte: „Ich wollte eigentlich Chemie studieren, bin dann aber beim Maschinenbau gelandet. Und dort hat mich die Produktentwicklung gereizt. Letztlich habe ich bei den Leiterplatten mein ideales Feld gefunden. Hier geht man mit diversen Werkstoffen und deren Eigenschaften um, die Mechanik hat viel mehr zu bieten als nur der Umgang mit Stahl und Eisen. Wir kitzeln aus den Sachen wirklich raus, was geht. Das geht im Detail bis unter das Mikroskop. Ein zehntel Millimeter kann über Funktion oder Nicht-Funktion der Verbinder und der Anschlusstechnik entscheiden.“

Ein Hauch von Kupfer

Wenn man Dennis Geisler zuhört, dann spürt man die Begeisterung über die kleinen Tricks und großen Technologiesprünge, die er und sein Team umgesetzt haben. 18 Patente hat er während der Entwicklungsphase auf die innovative Anschlusstechnik angemeldet, allein sieben davon betreffen die vorgestellte Lösung direkt.

„Zur Zeit sind wir soweit, dass wir eine flexible 0,5 mm2-Leitung anschließen können. Dabei wird die Leitung in der Zuführung gepusht, aber mit extrem geringen Kräften. Schnappt die Mausefalle zu, dann folgt eine Drehbewegung, die akustisch die Verriegelung anzeigt. Und wir optimieren weiter. Unser Ziel ist, dass wir selbst 0,25 mm2 dünne, flexible Leitungen anschließen können. Das ist dann nur noch ein Hauch von Kupfer.
Kleiner Ausflug in die Physik: Die Klemmfeder, die wir einsetzen, benötigt eine Druckkraft zur Auslösung von rund 20 Newton. Die kleinen flexiblen Leitungen können aber vielleicht 1 oder 2 Newton wegdrücken, bevor sie bei Druck abknicken. Also müssen wir irgendwie den Faktor 10 an Kraft wegbekommen. Und mit allen Tricks von Hebel und Kraft haben wir das Mausefallenprinzip so optimiert, dass das erstaunlich gut funktioniert.“

Reine Gedankenarbeit führt aber nicht sofort zum Erfolg, wie auch Dennis Geisler betont: „Ich konstruiere größtenteils in 3D-Programmen an Riesenmonitoren. Dann verliere ich aber ganz schnell auch den Bezug zur tatsächlichen Größe. Deswegen ist eine ganz enge Teamarbeit mit den Kollegen aus der Vorserienproduktion für mich so wichtig. Einmal rüber gehen, mit den Praktikern dort beratschlagen – das erdet jede abgehobene Idee wieder, wenn sie nicht im Alltag an der Maschine umsetzbar ist. Zum Glück haben wir diese Vorserienfertigung hier an unserem Standort.“

Von der Hängematte ins 3D-Programm

Wie kommt ein Entwickler auf seine Ideen? Was für ein Umfeld ist nötig, damit neue Gedanken geboren werden, die dann in Technik umgesetzt werden?  Dennis Geisler schmunzelt: „Im privaten Leben gelte ich auch eher als künstlerischer, kreativer Typ. Wenn es um Regeln geht, dann lasse ich mich ungern zu eng einfangen. Wenn etwas zu sehr geregelt wird, dann breche ich da gern aus und versuche andere Ansätze. Und die besten Ideen bekomme ich, wenn der Kopf frei ist, ob in der Hängematte im Garten oder nach einem intensiven Training (tatsächlich spielt Dennis Geisler Volleyball in einem Oberliga-Team). Mal den PC ausmachen und Abstand gewinnen – das lässt neuen Gedanken freien Raum.“

Trotzdem geht auch Geisler zunächst einmal systematisch an eine Neuentwicklung: „Zunächst guckt man natürlich über den Gartenzaun, beobachtet die Vorgehensweisen der Wettbewerber und überlegt sich Verbesserungen. Auch die Arbeit an anderen Patenten ist wertvoll, denn wenn man etwas nicht machen darf, versucht man, drumherum zu konstruieren, ohne den Patentschutz der Wettbewerber zu verletzen. Dadurch entstehen neue Ideen. So werden Technologien fortwährend verbessert.

Schachspiel der Innovationen

Doch das geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Und dann muss man in der Lage sein, sich von allem Bekannten zu lösen und sehr grundsätzlich noch einmal mit der Aufgabenstellung umzugehen. Wir hatten bei unserer Aufgabe nur ganz wenige Teile, vier oder fünf. Die Kombinationsmöglichkeiten, wie wir etwas anordnen, sind also sehr übersichtlich. Allein in dieser Klemme stecken sieben Patente. Die anderen Patente betreffen Lösungsansätze, die wir hier gar nicht wirklich einsetzen, die auf dem Weg entstanden sind. Damit sichern und schützen wir natürlich auch das Gedankenmodell.

Dennis Geisler

Diese Patentarbeit ist ein heikles, zweischneidiges Thema. Natürlich bremst die Taktik der Sperrpatente auch eine Weiterentwicklung unserer Mitbewerber. Wir wollen als Unternehmen ja eine Alleinstellung, um den wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Aber wenn man sich als Entwickler intensiv genug mit diesen Hürden beschäftigt, dann findet man auf einmal auch andere Lösungen. Und das sorgt dann wieder für eine Vielfalt an Technologie, die für alle wertvoll ist.

Natürlich nervt es, wenn man nicht im Besitz der gerade benötigten Patente ist, um die eigene Produktentwicklung voranzutreiben. Aber da alle gleich agieren, ist das auch wieder fair, weil chancengleich.“

Gedankenbremsen

Tüfteln am Detail, gleichzeitig freier Kopf für neue Ideen – was schränkt einen Entwickler wie Geisler ein? „Ich brauche schon mal Abstand von meinem PC. Wenn man immer die gleichen Sachen sieht, wird man irgendwann betriebsblind. Ganz viel von Push-X wurde tatsächlich während Corona entwickelt, also im Home Office. Das erste Mal funktioniert hat das Einstecken der Leitung und der Schließreflex bei mir zu Hause, in Jogginghose vorm PC.“

Aber lässt sich dieses Muster beliebig wiederholen? „Ich bin mir nicht sicher, ob ich in zehn Jahren auch noch so um die Ecke denken kann, wenn ich stur an diesem Thema weiterarbeiten würde, oder ob dann die Kreativität nicht doch von den etablierten Ideen eingefangen wird“, gibt sich Geissler nachdenklich. Sicher ist er aber bei folgender Einschätzung: „In Meetings ist noch keine große Idee geboren worden.  Freiheit und Fehlerakzeptanz sind dagegen entscheidende Faktoren für Kreativität. Wenn Fehler nicht toleriert werden, traut man sich kein Risiko, auch in der Produktentwicklung nicht.“

Ist also ein Tapetenwechsel unabdingbar für erfolgreiche Entwickler? Und führt das dann zwangsläufig zum Job-Hopping und damit weg von Phoenix Contact? Geisler schüttelt den Kopf: „Zunächst einmal gibt es noch ein paar Dinge, die noch zu Ende entwickelt werden wollen. Die Detailarbeit gehört natürlich auch in der Endphase von Produktentwicklungen dazu. Und richtig – danach muss der Kopf irgendwann auch wieder frei werden. Da brauche ich einen neuen Reiz, eine neue Herausforderung. Aber Phoenix Contact hat so viele Bereiche und Aufgabenstellungen – ob ich dann in eine andere Entwicklung gehe oder neue Verantwortung übernehme, das weiß ich noch nicht. Der Bedarf an frischen Ideen wird auch bei uns nicht weniger werden.“

Push-X in der Leiterplatte
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