Er war eine der Attraktionen auf dem Technologiekongress Windenergie 2019 in Blomberg: Jörg Spitzner faszinierte mit seiner Vision einer Windkraftanlage, die nicht nur Strom erzeugt, sondern auch CO2 aus der Luft fischt.
Im Februar 2019 traf sich in Blomberg eine exquisite Schar an Windkraftexperten zum mittlerweile dritten alljährlichen Austausch – dem Phoenix Contact Technologiekongress Windenergie. Spannende Themen lockten in das Blomberger Auditorium – von Eiserkennung über additive Fertigung, den Einsatz der Proficloud und der revolutionären PLCnext Technology bis zur raffinierten Schwingungsanalyse von WKA zur Vermeidung von Nachtabschaltungen.
Ein Vortrag war allerdings dermaßen visionär, dass der Autor dieser Zeilen sich nach Rücksprache mit den Fachkollegen („spinnt der, oder ist das ernstzunehmen?“) entschloss, das Thema „Blancair“ und den CO2-Staubsauger auf der Windkraftanlage noch einmal im direkten Gespräch vor Ort in Hamburg Finkenwerder nachzuvollziehen.
Preisgekrönter Unruhegeist
Wenn jemand den Titel Daniel Düsentrieb vergeben würde, dann stünde Jörg Spitzner sicher an vorderster Stelle auf der Liste. Und das ganz wortwörtlich, denn mit Antrieben, mit Düsen und Aerodynamik kennt sich der Ingenieur und Vordenker von Spitzner Engineering wahrlich aus. Schließlich war Spitzner lange Jahre beim Flugzeugbauer Airbus in der Forschung und Entwicklung tätig.
Doch irgendwann wurde dem umtriebigen Freigeist das Konzern-Korsett zu eng – er gründete 2007 sein eigenes Ingenieursbüro Spitzner Engineers. Was als dreiköpfiges Team begann, zählt heute stolze 40 Mitarbeiter. Hauptkunde: sein alter Arbeitgeber Airbus, der hier in Hamburg Finkenwerder gleich um die Ecke residiert.
Vom Flügel zum Blatt
Doch auf nur einem Bein kann man nicht gut stehen. Jörg Spitzner und sein Team sind versierte Aerodynamiker. Vom Flügel eines Airbus zu den Rotorblättern eines Windrades ist es nicht weit. Spitzner wagte den Spagat. Und das mit Erfolg: „Seitdem transferieren wir die Technologie des Flugzeugbaus in die Windbranche“, erklärt der 56jährige Ingenieur.
2009 entwickelte Spitzner Engineers das Prinzip der Strömungsbeeinflussung am Rotorblatt: „Wir öffnen die Rotorblattspitze und sorgen durch kleine Bohrungen an der Wurzel des Blattes für die aerodynamische Optimierung. Allein durch die Rotationsenergie entsteht eine Luftströmung, die die Energieausbeute der so modifizierten Windenergieanlage deutlich erhöht.“ Im Zuge des Projekts versahen sie die Rotorblätter zudem mit Winglets und sägezahnähnlicher Hinterkante: „Die Grenzschichtbeeinflussung ist aus dem Flugzeugbau bekannt und funktioniert da bekanntermaßen bestens.“
Bei der nächsten Entwicklung, einem innovativen Enteisungssystem der Rotorblätter, fand Spitzner dann in Phoenix Contact einen fachkundigen Partner. „Idee, Berechnungen und Beauftragung kamen von uns. Aber wir sind keine Elektroningenieure, das haben die Kollegen von Phoenix Contact geleistet.“ Das „Anti- and De-Ice Operating System“ (ADIOS) steht mittlerweile kurz vor der Serienreife, erste Testanlagen mit der elektrisch beheizbaren Beschichtung wurden aufgebaut.
Der CO2-Staubsauger
Der neueste Streich in Sachen Windenergie fußt auf den Erfahrungen aus der Rotorblattoptimierung. „Wenn man die Flügelspitzen öffnet, strömt die zunächst stehende Luft bei Bewegung nach außen, ganz normale Fliehkraft eben (Bild 1 und 2) . Die Kraft dabei ist enorm. Wir haben uns dann damit beschäftigt, was eigentlich passiert, wenn man die Wurzel hin zur Nabe des Windrades öffnen würde (3). Und sind darauf gekommen, dass die jetzt auftretende Zirkulation schon einmal super geeignet wäre, die Luft zu trocknen (4). Kondenswasser ist nämlich vor allem im Offshore-Bereich ein Riesenproblem, man denke allein an die Korrosion.“
Doch Spitzner und seine Kollegen dachten einen wichtigen Schritt weiter: „Wenn die Luftströmung solche Energie erzeugt, dann könnten wir sie doch eigentlich auch filtern (5). Das sorgt für zusätzliche Trocknung in der Anlage. Und – jetzt kommt unser clean energy one-Ansatz – wir könnten CO2 aus der Luft filtern.“
Die CO2-Filtrierung ist nicht neu. Der Ansatz: Trotz aller Klimaschutzmaßnahmen wird weltweit noch viele Jahre viel zu viel CO2 in die Atmosphäre gepustet. Daher wäre eine aktive Entnahme dringend nötig. „Und genau da haben wir angesetzt. Mit der Öffnung der Rotorblattspitzen haben wir soviel Energie zur Verfügung, dass wir Luft ansaugen und filtern können. Das CO2 können wir dabei abscheiden und sammeln (6). Und das bis hin zum eFuel verarbeitbar machen – oder endlagern.“
Das rechnet sich!
Jörg Spitzner ist zwar Visionär, aber kein Fantast: „Natürlich haben auch wir uns zu Anfang gefragt, ob das überhaupt funktionieren kann. Wie muss eine solche nachrüstbare Anlage dimensioniert sein? Passt die überhaupt in eine Windkraftgondel? Wie teuer wird solch ein System, rechnet sich das?“ Heute ist sich Spitzner sicher: „Das rechnet sich. Die Idee ist echt disruptiv. Und mittlerweile auch patentiert.“
Auf die Frage, ob er sich eher als Ingenieur oder als Klimaretter verstehe, muss Spitzner schmunzeln: „Beides passt. Bei uns entstehen vor allem ingenieuse Ideen. Aber wir nehmen auch eine soziale Verantwortung wahr. Wir wollen unser Knowhow auch ethischen Standards unterwerfen. So lehnen wir etwa jeden Auftrag aus der Rüstungsindustrie ab.“
Wer Jörg Spitzner erlebt, der ahnt, dass er und sein Team noch lange nicht am Ende ihrer Innovationskraft angelangt sind. Die eine oder andere Idee wartet sicherlich schon auf ihre Vorstellung – vielleicht auf dem Technologiekongress Windenergie 2020 in Blomberg!