In den letzten Jahrzehnten sind China und Indien zu globalen Playern aufgestiegen. Phoenix Contact ist seit Mitte der 90er-Jahre in diesen Ländern aktiv. Und getreu dem Motto „think global – act local“ mit dem Aufbau eigener Fertigungen erfolgreich. Doch ganz ohne Tücken ging es nicht …
„Ich hatte auf der Karte Huhn identifiziert. Hühnerbein. Aber was ich bekommen habe, waren Füße. Und zwar nur die Füße. Und in der Suppe dazu schwammen Dinger, die aussahen wie Fahrradventile. Das waren Teile des Hühnerdarms.“ Beim Schildern dieser kulinarischen Höhepunkte ziehen sich nicht nur bei Ewald Rose die Geschmacksnerven zusammen.
Nach dem Tod Maos 1976 führte Deng Xiaoping das Reich der Mitte allmählich zu wirtschaftlicher Blüte durch eine vorsichtige Annäherung an den westlichen Kapitalismus. Sonderwirtschaftszonen entstanden, Staatsbetriebe wurden privatisiert und ausländische Investitionen möglich. Auch Phoenix Contact unter der Führung von Gerd Eisert wagte erste Schritte auf dem fernöstlichen Parkett.
Viel mehr als nur eine verlängerte Werkbank
Gerd Eisert war der jüngste der drei Eisert-Söhne. Während seine beiden Brüder sich der Technik widmeten, lag sein Talent in der Betriebswirtschaft. Ihm war schnell klar, dass ein weiteres Wachstum von Phoenix Contact nur möglich war, wenn man auch international agierte. Unter seiner Führung wurde das Auslandsgeschäft massiv ausgebaut. Und neben den traditionellen Märkten Europas und Amerikas sah er auch in China und Indien große Chancen. Mitte der 90er-Jahre begann Phoenix Contact mit den ersten Gehversuchen auf den noch fremden Märkten.
Von Beginn an war klar, dass die neuen Unternehmungen in China und Indien keine verlängerten Werkbänke sein sollten, sondern sich zu echten Partnern entwickeln, die mit großer Eigenverantwortung und einer eigenen Fertigung ihre jeweiligen Märkte bedienen sollten. Mit einem kleinen lokalen Team und ein wenig logistischer und auch ganz handfester Anschubhilfe der Unternehmensmutter aus Blomberg ging es also los.
Von Lippe nach Nanjing
Ewald Rose war ein Mann der ersten Stunde. Aber wie kam ein bodenständiger Maschineneinrichter aus dem lippischen Schlangen in die Sonderwirtschaftszone nach Nanjing? „Unser damaliger Vorarbeiter kam in die Schicht und fragte, wer denn dazu Lust hätte. Allerdings hatten wir gerade einmal eine Nacht, um drüber zu schlafen. Und ich war nach einer kurzen Beratung mit meiner Frau spontan genug.“ Also ging es für Ewald Rose zunächst einmal zum damaligen Werksarzt, um die notwendigen Impfungen zu erhalten.
Ein Vorbereitungskurs in Sachen technisches Englisch sowie ein wenig Einführung in die Sitten und Gebräuche der fernen Länder folgten. Und schon fand sich der Spezialist aus der Schraubenfertigung zusammen mit vier weiteren Kollegen am Frankfurter Flughafen wieder, von dem es zunächst nach Peking und dann nach Nanjing weiterging.
Die Aufgabe vor Ort: Der Aufbau einer zunächst bescheidenen Eigenfertigung für Kunststoffgehäuse und Metallteile in Fanshan, einem Vorort von Nanjing. Die Maschinen waren zuvor von Ewald Rose und den Kollegen vorbereitet worden. Empfindliche Teile wurden ausgebaut und ins persönliche Gepäck gesteckt, der Rest mit Sprühwachs konserviert. Je sechs Drehautomaten gingen zunächst in Container und dann per Schiff gen China und Indien.
International Broken English
Die erste größere Hürde kam schneller als gedacht: „Wir hatten alle einen Pilotenkoffer bekommen. Nach der Landung ging es zum Zoll in Peking. Ich hatte in meinem Köfferchen Schrittschaltwerke. Die wollten wir nicht verschiffen wie den Rest, weil die sehr empfindlich gegen Rost waren. Daher hatte ich die vorher ausgebaut und mit ins Handgepäck genommen. Beim Durchleuchten fielen die natürlich auf. Viel Metall, Schrauben, reichlich Drähte – ob das wohl eine Bombe war? Und jetzt übersetzen Sie mal ‚Schrittschaltwerk für ein Stangenlademagazin‘ auf Englisch. Und zwar so, dass das auch ein Chinese versteht. Irgendwie bin ich dann aber trotzdem durch den Zoll gekommen.“
Sprache war anfangs ein echtes Problem. „Zunächst hatten wir chinesische Mitarbeiter eingestellt, die gar kein Englisch konnten. Dazu hatte ich einen Dolmetscher. Dem hab ich meine Anliegen auf Englisch erklärt und er hat dann versucht, ins Chinesische zu übersetzen. Und das immer wieder hin und her. Aber dabei kam nichts heraus. Also wurden Leute gesucht, die Englisch sprechen konnten. Dann klappte das …“
Nicht immer lag das Sprachenproblem aber auf chinesischer Seite, so Rose mit breitem Grinsen: „Wir waren zum Beispiel beim Abladen eines schweren Spritzgussautomaten. Ich gebe das Kommando ‚ab, ab, ab‘, damit das Teil runtergelassen wird. Und die ziehen das Ding immer höher, eben ‚up, up, up‘.“
Improvisation mit Fahrradkette
Der Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen Großmacht begann damals erst. Noch waren viele Dinge im Reich der Mitte ein wenig anders als vorgeplant: „In Fanshan bei Nanjing standen wirklich Bretterhütten, in denen wir die ersten Maschinen aufbauten. Um die tonnenschweren Geräte überhaupt in die Gebäude zu bekommen, wurden kurzerhand die Wände wieder aufgemacht. Und dann wurden unsere Maschinen mit viel Gezerre und teils abenteuerlicher Improvisation dort hineinbugsiert. Wenn wir das hier in Deutschland gemacht hätten, wären wir sofort verhaftet worden.“
Bei solchen „Kleinigkeiten“ blieb es aber nicht, wie Ewald Rose schmunzelnd berichtet. „Wir hatten in Blomberg für die Reise die Spindelstöcke mit Ketten zurückgezogen. Jetzt waren auf dem Transport aber die Ketten gerissen. Für die hatten wir keinen Ersatz dabei. Da bin ich dann im Dorf rumgerannt. In unseren Arbeitsanzügen, die uns für die damalige Bevölkerung wohl fast zu Außerirdischen machten. Und wie ich mich umdrehe, sehe ich, dass fast das ganze Dorf hinter uns stand und uns immer nachlief. In einem Fahrradgeschäft habe ich dann alle Ketten, die sie da hatten, aufgekauft. Und mit diesen Fahrradketten habe ich das Problem mit unseren Spindelstöcken tatsächlich lösen können.“
Potzblitz und Kurzschluss
Die mechanischen Hürden waren aber nicht die einzigen: „Eines Tags ist dem Elektriker beim Anschließen der Maschinen ein Schraubenschlüssel aus der Hand und genau auf die Pole gefallen. Es gab einen Knall und einen Blitz, und alles war dunkel. Das ganze Dorf war dunkel. Da bin ich mit einer Taschenlampe hinter die Maschine und habe den Elektriker gefunden, der da zitternd und bibbernd, aber lebendig saß. Ich hatte damit gerechnet, dass ich nur noch ein Häufchen Asche finden würde.“
Viermal war Ewald Rose jeweils für mehrere Wochen in China, und viermal reiste er seinen Maschinen nach Indien nach. Die Aufgaben reichten vom Aufbau über die Inbetriebnahme bis zur Schulung der ersten Mitarbeitenden. Heute sind die Werke in China und Indien längst Hightechstandorte und zählen zu den Perlen unter den Produktionsstätten von Phoenix Contact. Und Hühnerfüße oder Geflügeldärme stehen in den Kantinen nicht mehr auf dem Speiseplan.