Luftikus mit Zuckerwatte

Riesenräder sind seit Jahrhunderten die ­Attraktion einer jeden Kirmes. Hoch ragt das Rund mit den Gondeln über jeden Schaustellerplatz und die meisten Häuser. Doch hinter der bunten Fassade sorgt modernste Technik für die nötige ­Sicherheit beim kurzweiligen Ausflug in luftige Höhen.

Ganz allgemein unterscheidet man bei Riesenrädern zwischen stationären und mobilen Anlagen. Die älteste Idee eines Riesenrads stammt laut Wikipedia aus Bulgarien, wo bereits 1620 einige Kinder Sitze an einem hölzernen Rad montierten, das sie aufgestellt hatten. Das Gebilde funktionierte natürlich handgetrieben. Und erfreut tatsächlich noch heute in nahezu unveränderter Bauweise in abgelegenen Regionen der Welt Besucher und Bewunderer.

Muskelkraft und E-Motor

Zur Weltausstellung 1893 in Chicago wurde dann das ­erste moderne Riesenrad vorgestellt. Das nach seinem Erfinder Ferris-­Wheel genannte Konstrukt hatte eine Höhe von beacht­lichen 80,5 Metern. Und es war ein voller Erfolg.

Die Faszination für das Riesenrad war geweckt. Als stationäre Anlagen prägen sie auch heute noch häufig das Bild von Städten, etwa in London oder in Wien auf dem „Prater“, wo das älteste aller aktiven Riesenräder steht. Oder sie faszinieren in Form von mobilen Anlagen auf Jahrmärkten weltweit. In Entwicklungsländern werden Riesenräder häufig per Muskelkraft betrieben, da die Stromversorgung fehlt. Doch üblich ist der Antrieb mittels Elektromotoren, die rechts und links des Einstiegsbereichs angeordnet sind. Mit Reibrädern wird die Kraft auf das Rad übertragen.

Die Faszination für den Besucher liegt nicht nur in der ungewohnten Perspektive aus luftiger Höhe. Sondern immer auch im leichten Grusel, ob denn die Maschine tatsächlich sicher funktioniert und weder stehenbleibt noch die Gondel abstürzt. Alles völlig unmöglich? Unfälle mit Riesenrädern sind keineswegs nur eine Erfindung aus Hollywoods Actionstreifen. 2016 verhaken sich in Nashville/USA zwei Gondeln ineinander, drei Mädchen stürzen in die Tiefe, überleben aber. 2013 stürzt in Argentinien eine Gondel aus 30 Metern Höhe ab, zwei Schwestern sterben. 2019 stürzt in Erlangen ein Mann 25 Meter in die Tiefe und stirbt. Und im November 2021 bleibt ein Riesenrad in Cottbus stehen. Zwei Fahrgäste müssen mit Drehleitern aus 30 Metern Höhe befreit werden.

Vom Schausteller zum Hersteller

Auch wenn Riesenräder eine eigentlich ganz gemütliche Form der Bewegung innehaben, gilt der Sicherheit der Anlage also immer ein genauer Blick. Die Familie Lamberink-Kroon kennt ihre Luftikusse ganz genau. Denn das holländische Unternehmen entstand aus einer Schaustellerfamilie, die jahrzehntelang selber mit mobilen Riesenrädern unterwegs war, bis sie 2014 begann, die Fahrgeschäfte in Eigenregie zu konzipieren und zu bauen.

Kokkie Kroon und Jan Lamberink (Mitte) mit Kollegen von JB Besturingstechniek und Phoenix Contact

Kokkie Kroon und Jan Lamberink sind die Chefs von ­Lamberink Ferris Wheel. Alles begann, als Kokkie Kroons Vater 1976 ein Riesenrad kaufte. Zunächst reiste die Schausteller­familie damit von Kirmes zu Kirmes. Und wer mit solchen Kolossen unterwegs ist, muss sich bei Auf- und Abbau auch intensiv mit der Konstruktion beschäftigen. Schnell interessierte sich Jan Lamberink daher selbst für den Bau der Attraktionen. Seit den 1980er-Jahren beteiligte er sich folgerichtig an deren Konstruktion. Und zwar genau in dem Betrieb, der das erste Riesenrad für die Familie hergestellt hatte. Als sich dieser Betrieb vom Markt zurückzog, entschied die gesamte Familie im Jahr 2014, Riesenräder in Eigenregie zu bauen. Als erfahrene Schausteller wussten und wissen Lamberink und Kroon natürlich genau, was ihre Kunden wünschen.

Mittlerweile sind ihre Riesenräder international bei Schaustellern ein Begriff. Mehr als 20 Riesenräder hat die Familie seit 2014 gebaut und in alle Welt verkauft. Und natürlich auch gewartet, mal vor Ort, mal auf dem heimischen Firmengelände.

Riesenrad – Riesenaufwand

Einfacher Transport, schneller Auf- und Abbau, geringer Personalaufwand für die Errichtung – alles wichtige Anforderungen an die Riesenräder. Aber wie sieht es aus, wenn ein Riesenrad „einfach“ transportiert und „mal schnell“ aufgebaut wird? Das 33 Meter hohe Riesenrad „RL33“ benötigt vier LKW für seinen Transport sowie je zehn Stunden für das Aufstellen und Demontieren. 24 Gondeln fassen je sechs Personen, so dass pro Stunde bis zu 1.150 Fahrgäste den Ausblick genießen können.
Beim „RL46“ geht es für bis zu 1.800 Personen pro Stunde in luftige 46 Meter Höhe. Zwölf LKW sowie je zwei ganze Tage für den Auf- und Abbau sind nötig, um das mobile Monstrum zum Einsatz zu bringen.

Erstaunliche Zahlen, die klar machen, dass der Betrieb eines Riesenrads alles andere als trivial ist. Intelligente Automatisierungstechnik sorgt beim Einsteigen der Fahrgäste in die Gondeln dafür, dass die Belastung des Rads gleichmäßig und die Fahrzeit für die Passagiere gerecht ist. Schließlich möchte jeder Fahrgast für sein Geld die gleiche Anzahl an Runden im Riesenrad verbringen wie alle anderen Gäste. Und auch heil wieder aus dem luftigen Spaßmobil aussteigen.

Der Stahlbau der mobilen Riesenräder geschieht im Auftrag des international tätigen Unternehmens extern. Für den Schaltschrankbau greifen Lamberink und Kroon auf die Expertise der Fachleute von JB Besturingstechniek aus Oosterwolde zurück. Die Montage und die anschließende Inbetriebnahme finden auf dem Betriebsgelände in Overschild statt. Hier werden auch bereits ausgelieferte Fahrgeschäfte zur Wartung aufgebaut und überholt. Neben dem Verkauf können Schausteller auch Riesenräder aus Holland mieten.

Allen gemein ist, dass alles, was elektrisch gesteckt werden muss, extrem robust mit Steckverbindern aus ostwestfälischer Fertigung ausgeführt ist. Und wer an ein Riesenrad bei Nacht denkt, der ahnt, wie viele elektrische Verbindungen nötig sind, um zu einem leuchtenden Wahrzeichen eines Jahrmarkts zu werden.

Sicherheit durch Automatisierung

Für die Sicherheit der Fahrgäste ist es wichtig, dass sich das Riesenrad erst in Bewegung setzt, wenn alle Personen sicher in den verschlossenen Gondeln sitzen. Über eine webbasierte Visualisierung kann der Bediener die Beladung des Riesenrads überwachen. Die Steuerungsaufgaben übernimmt ein ­Axio­line-Controller von Phoenix Contact.

Der Start des Riesenrads sowie der Not-Halt dürfen aus Sicherheitsgründen nicht durch die Standardsteuerung ausgeführt werden. Lamberink hat sich für den Einsatz der SafetyBridge ­Technology von Phoenix Contact entschieden. Sichere Eingangs- und Ausgangsmodule erfassen die Signale oder geben sie aus. Außerdem führen sie ständig Diagnosen durch und überwachen das Modul etwa auf Kurzschlüsse.

Ein Logikmodul in der SafetyBridge-Installation generiert und kontrolliert das sicherheitsgerichtete Übertragungsprotokoll. Das Protokoll erkennt Fehler in der Kommunikation der einzelnen Module. Tritt beispielsweise in einem Eingangsmodul ein Übertragungsfehler auf, wechselt das System in einen sicheren Zustand – das Riesenrad stoppt. Dem Bediener werden dann automatisiert Hinweise zur Störungsbeseitigung gegeben. Und findet der Bediener den Fehler nicht direkt, dann gibt es ein über den abgesicherten Zugang in die Automatisierungslösung eingebundenes Mobilfunkmodem. Damit kann der Anwender vor Ort im Fehlerfall aus der Ferne unterstützt werden. Wichtig, denn nicht immer ist der Bediener mit jedem technischen Detail des luftigen Vergnügens vertraut.

So gesichert sollte auch in Zukunft kein Höhenretter zum Einsatz kommen und keine Drehleiter für schwindelerregende Aktionen sorgen – schließlich wartet am Boden bestimmt noch die Zuckerwatte auf die Besucher.

reuzenrad.nl

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