Die CO2-Fänger

Ist die Welt noch zu retten? Nach wie vor steigen die CO2-Emissionen weltweit. Wie wäre es, wenn wir das klimaschädliche Kohlendioxid nicht nur vermeiden, sondern wieder aus der Atmosphäre zurückholen? Verrückte Idee? Ein Schweizer Unternehmen zeigt, wie es geht.

Treffpunkt Müllverbrennungsanlage. Oder Kehrichtverwertung, wie es in der Schweizer Amtssprache heißt. Es ist kalt, ein ­böiger Wind pfeift durch Rohrleitungen, um Schornsteine herum und durch die Gitterrohrstufen, die uns aufs Dach der imposanten Industrieanlage gebracht haben. Wir sind in Hinwil, im Zürcher Oberland. In der Ferne kann man das Schweizer Bergpanorama erahnen, denn auch im Land der Eidgenossen ist der Herbst weit fortgeschritten. Unter unseren ­Füßen wird Müll verbrannt, doch auf dem Dach der Kehrichtverwertung ist die Luft frisch und klar.

Wir atmen „Abfall“

Womit wir schon beim gasförmigen Objekt unserer Begierde wären. Luft. Wir benutzen nicht nur die Erde, um auf und in ihr Millionen Tonnen Müll zu deponieren. Nicht nur die Ozeane, die die Hinterlassenschaften unserer Zivilisationen aufnehmen müssen. Seit Beginn der industriellen Revolution nutzen wir auch den Gaskörper unseres Planeten, um die flüchtigen Reste unseres Rohstoffhungers aufzunehmen. Pro Jahr belasten wir die Atmosphäre mit mehr als 34 Milliarden Tonnen Kohlen­dioxid, Tendenz ungebrochen steigend.

Die Atmosphäre unserer Erde hat sich über Jahrmillionen gebildet. Einzeller und in großem Stil grüne Pflanzen haben dank der evolutionären Erfindung der Photosynthese Kohlendioxid aus der Luft gefischt und in Verbindung mit der Energie des Sonnenlichts zu komplexeren Kohlenstoffverbindungen und damit zu Biomasse umgewandelt. Abfallprodukt war und ist dabei Sauerstoff. Zersetzen sich die Pflanzen wieder, wird theoretisch genau die Menge an Kohlendioxid wieder frei, die sie vorher gebunden haben. Zu unserem Glück verrotten aber nicht alle Pflanzen. Häufig bildet sich Humus, der übereinander geschichtet allmählich sauerstoffundurchlässiger wird. So verlangsamt sich die Zersetzung, das Kohlendioxid bleibt, gespeichert in Biomasse, gebunden. Und wird damit der Atmosphäre entzogen. Den Sauerstoffüberschuss, der damit erzielt wird, können wir selber unter anderem für unsere Atmung ganz gut gebrauchen.

Das Prinzip hat hervorragend funktioniert, bis der Mensch auf die Idee kam, die gespeicherte Biomasse in großem Stil als Energieträger zu nutzen. Torf, Kohle, Erdöl und Erdgas sind allesamt Überreste des pflanzlichen Überschusses, der sich seit Jahrmillionen angereichert hat. Mit der Nutzung dieser Stoffe setzen wir das gebundene Kohlen­dioxid wieder frei. Die Folgen sind ­mittlerweile längst bekannt: Treibhausgaseffekte und eine Klima­veränderung, die wenigstens für alle Sauerstoffatmer dieses Planeten katastrophale Folgen haben wird.

Lösungsansätze

Einsparung
Naheliegend wäre es jetzt, den CO2-Ausstoß drastisch zu senken. Immerhin bedroht dieser Ausstoß unser ­aller Dasein in seiner jetzigen Form. Doch der CO2-Ausstoß wird sich weltweit in den nächsten Jahren noch steigern, bis auf deutlich über 40 Milliarden Tonnen.

Das Problem ist die menschliche Psyche. Zwar sind wir bestens darauf vorbereitet, plötzlich auftretende Krisen zu meistern, Katastrophen zu managen und Unfälle zu überstehen. Doch der Klimawandel verläuft zunächst einmal schleichend. Die Auswirkungen betreffen vor allem die globalen Regionen kaum, die für den Großteil der Emissionen verantwortlich sind. Die Entscheider ziehen häufig also den kurzfristigen Profit einem langfristigen Überleben künftiger Generationen oder entfernter Regionen vor.
Zwar steuert die Wirtschaft mittlerweile in vielen Segmenten um, doch die Geschwindigkeit, mit der dies geschieht, wird kaum ausreichen, um entscheidende Kipppunkte, an denen sich das Klimageschehen ­drastisch verändert, noch vermeiden zu können.

Entnahme
Aber was wäre, wenn man nicht nur auf die ­Einsparung von fossilen Energieträgern setzt? Was wäre, wenn man das CO2 aktiv zurück aus der Atmosphäre „holt“? Und es nutzt, um klimaneutral wirtschaften zu können? Oder es so lagert, dass es dem stofflichen Kreislauf entzogen würde? Genau diese Idee hatten Christoph Gebald und Jan Wurzbacher. Die beiden aus Deutschland stammenden Maschinenbauer trafen sich zu Beginn ihres Studiums an der ETH Zürich im Jahr 2003. Auf das Resultat dieser Begegnung und der sich anschließenden gemeinsamen Arbeit blicken wir in Hinwil.

Die Technologie

Im Vordergrund wartet Gemüse auf die CO2-Beatmung

Die Herangehensweise der beiden Maschinenbauer dürfte jeden Technologiefreund entzücken. Denn sie setzen auf Innovation, um der ­Atmosphäre das menschengemachte überschüssige CO2 zu entziehen. Bei unserem Besuch auf dem Dach der Kehrichtverwertung werden wir begleitet von Mitarbeitern des PR-Teams von ­Climeworks, dem von Gebald und Wurz­bacher 2009 als ETH-Ausgründung gegründeten ehemaligen ­Start-up. Mittlerweile ist aus dem spannenden Start-up längst eine spannende Company mit internationalem Flair geworden. „Das Interesse an unserer Anlage ist enorm, wir sind mittlerweile mindestens zweimal pro Woche hier und führen Besucher bis auf das Dach.“ Damit dürfte diese Müllverbrennung die wohl meist besuchte Anlage ihrer Art weltweit sein.

Die Climeworks-Kollegen zeigen auf eines der hausgroßen Gebilde, die auf dem Dach ihren Platz gefunden haben. Modular aufgebaut bestehen die einzelnen Elemente aus großen Ventilatoren, die Luft ansaugen und durch ein Filtersystem drücken. „Die Technologie wird Direct Air Capture genannt. Wir saugen Luft an, schicken sie durch ein Filtermaterial und entziehen ihr so Kohlendioxid. Das ähnelt einem Schwamm, der die CO2-Moleküle aufnimmt. Die Luft, die der Anlage entweicht, ist deutlich CO2-ärmer als zuvor.“

Ist das Filtermaterial gesättigt, schließt sich der jeweilige Ansaugstutzen automatisch. Bei Temperaturen bis zu 100 Grad und unter Vakuum wird das Kohlendioxid vom Filtermaterial getrennt, der ­Filter ist wieder einsatzbereit. Das Kohlendioxid wird aufgefangen, gekühlt und komprimiert. Wie die Trennung funktioniert und wie das Filter­material sich genau zusammensetzt, ist den Blicken neugieriger Konkurrenz oder Medienvertretern entzogen, denn es findet im Inneren der großen Container statt, die Teile der Climeworks-­Anlage sind. Daher bleibt auch uns der Blick auf das Innenleben samt seiner Steuerungselemente verwehrt. Rund 1.500 Tonnen CO2 werden hier in ­Hinwil jährlich gewonnen.

Standortvorteil Hitze

„Der Standort der Anlage dient nicht etwa der Säuberung der durch die Müllverbrennung erzeugten ­Abluft“, werden wir auf Nachfrage aufgeklärt. „Wir benötigen vielmehr die thermische Energie, die hier entsteht, um das CO2 vom Filter zu lösen.“ Damit hat Climeworks einen Schwachpunkt der Direct Air Capture-Technologie gekonnt ausgeschaltet: Für die Trennung von CO2 und Filtermaterial ist der hohe Energieeinsatz ansonsten ein echter und sehr teurer Malus. Rund 80 Prozent des gesamten Energiebedarfs schluckt allein die Abtrennung des Kohlendioxids.

Weltweit gibt es mehrere Unternehmen, die ähnliche Anlagen errichtet haben. Doch die Anlage in Hinwil ist die bisher einzige, die CO2 kommerziell aus der Atmosphäre fischt und – jetzt kommt der zweite Teil in Sachen Klima-Optimierung – auch verwertbar macht. „Hier in Hinwil nutzen wir das gewonnene CO2 in zweifacher Hinsicht.“ Zum einen verwendet ein örtlicher Gemüsebauer das Gas als Dünger für seine Pflanzen. In Sichtweite befindet sich ein Gewächshauskomplex: „Mit dem CO2-Überschuss wird das Wachstum von Tomaten, Gurken oder Auberginen verbessert, denn für die Pflanzen ist Kohlen­dioxid eine Basis ihrer Photosynthese und wirkt wie ein Dünger.“

Verflüssigtes CO2 wird gespeichert

Und ein hiesiger Getränkehersteller nutzt das CO2 zur Herstellung seines mit Kohlensäure versetzten Mineralwassers. Die Wasserveredler holen das gewonnene Gas ab und verwenden es in ihrer Produktion. Auch die Befüllung ganz anderer Tanks ist denkbar, denn Kohlendioxid ist Grundbestandteil synthetischer Kraftstoffe. Wird die Energie für die Raffinierung aus regenerativen Quellen gewonnen, wären solche Kraftstoffe sogar annähernd CO2-neutral. Daher wenig verwunderlich: Bereits seit 2013 ist Audi ein Partner von Climeworks.

CO2-Senke in Island

Während im schweizerischen Hinwil das abgeschiedene CO2 wieder verwendet und damit auch wieder in die Luft entlassen wird, ist auf Island eine Anlage von Climeworks an den Start gegangen, die dem Atmosphärenschmutz dauerhaft seine Gasförmigkeit rauben und es unter die Erde bringen will. „Orca“ heißt die neueste und aufsehenerregende Anlage der Schweizer Filtervorreiter.

Hier wird das gefilterte CO2 in Wasser gebunden und danach bis zu 600 Meter tief in den Untergrund gepresst. In den dortigen mineralhaltigen Gesteinsschichten lagert es sich an – es versteinert quasi. „Mit der Orca-Anlage können wir zeigen, dass wir unsere Technologie beliebig skalieren können“, erklären die Experten von Climeworks. „Wir können in Island mehr als das Vierfache an CO2 filtern wie hier in ­Hinwil.“ Aber warum ausgerechnet Island? „Dort treffen wir auf optimale Faktoren. Mittels eines nahe liegenden Geothermiekraftwerks bekommen wir die nötige Energie für unsere Technik komplett regenerativ. Und auch das Verpressen des Kohlendioxids ist hier einfacher, da die Situation des Untergrunds bekannt ist. Außerdem ist es der globalen Atmosphäre komplett egal, wo man das gasförmige Kohlendioxid entnimmt.“

Jan Wurzbacher und Christoph Gebald vor „Orca“

Partner bei der planmäßigen Beerdigung des Kohlendioxids ist die isländische Firma Carbfix, die die Technologie zur Endlagerung des CO2 entwickelt hat. Zwar sind die Mengen, die der Atmo­sphäre entnommen werden, noch winzig, vergleicht man sie mit dem jährlichen weltweiten Ausstoß. Doch je weiter das Direct Air Capture ausgerollt wird, desto entscheidender wird der Beitrag sein, den die Technologie leisten kann.

Kühne Visionen

Die Pläne der 150 Mitarbeiter zählenden ­Firma sind sehr ambitioniert: „Unsere Vision ist es, eine Milliarde Menschen dazu zu inspirieren, CO2 aus der Luft zu entfernen“, so Co-Firmengründer Christoph Gebald in einem Interview. 15 Anlagen hat Climeworks mittlerweile weltweit errichtet, Tendenz stark steigend.
Will man allerdings das jährlich zu viel ausgestoßene CO2 (etwa zehn Gigatonnen) ausschließlich über Anlagen wie die in Hinwil wieder einfangen, dann bräuchte es rund elf Millionen der eidgenössischen CO2-Fischer. Um das Reduzieren des Kohlen­dioxid­ausstoßes kommen wir global also trotzdem nicht herum.

climeworks.com

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