Über Stock und Stein

Wilder geht’s kaum – Rallye Cross ist eine archaische Variante des Motorsports. Gewaltige Motoren, leichte Vehikel, querstehendes Fahren und Dreck und Staub in Massen. Genau hier fühlt sich ein österreichisches Hightech-Unternehmen wohl, das auf E-Mobilität setzt. Verrücktes Austria?

Philipp Thonet in Aktion

Philipp Thonet wirkt gar nicht wie ein ledergegerbter Petrolhead oder wettergegerbter Rallyepilot. Der sympathische Chief Technical ­Officer könnte problemlos auch in jedem Start-up werkeln. Damit passt er hervorragend zu STARD. Das nämlich ist der jüngste Ableger der Stohl Group und ein Schrittmacher, wenn es um Elektroantriebe nicht nur in Rallyefahrzeugen geht.

Harte Kämpfe mit den E-Boliden

Die Geschichte des Familienbetriebs Stohl begann Ende der 1960er-Jahre, als Rudi Stohl, damals noch in der Ausbildung zum Kfz-Mechaniker, mit dem Rennsport in Berührung kam. Ein ehemaliger Militärflugplatz in der Nähe Wiens, reichlich verbranntes Gummi, kreischende Motoren – aus dem handwerklichen Lehrling wurde einer der erfolgreichsten Renn­fahrer Österreichs, der mit Größen wie Walter Röhrl oder Michele Mouton um die Kurven pfeilte. Übrigens mit eigenen Autos und nicht in einem der finanzstarken Werksteams.

Wer weiß, wie teuer Rennsport ist, der ahnt, mit welchen Schwierigkeiten der junge Rudi Stohl Zeit seiner aktiven Karriere zu kämpfen hatte. Stohl war immer auch sein eigener Mechaniker, wich daher auch auf Rennserien aus, in denen sowohl fahrerisches als auch Schrauber-Können nötig waren. Argentinien, Himalaya, China, Afrika – der mehrfache Motorsportler des Jahres und Vizeweltmeister der Gruppe A 1986 war stets der David im Kampf gegen die Goliaths in Form der Werksteams.

Die Leidenschaft des Vaters übertrug sich auf Sohn Manfred, der 1990 als Werkmeister ebenfalls in den Rennsport einstieg. Die Stohl Group ist heute in der Rennszene ein fester Begriff, und Manfred Stohl aktiver Rennfahrer der Weltspitze: Rallye Gruppe N Weltmeister 2000, in der Rallye-Weltmeisterschaft (WRC) 2006 mit vier Podiumsplätzen. Doch Stohl ist nicht nur am Steuer eine international bekannte Größe, sondern hat auch unternehmerische Qualitäten bewiesen. 2001 gründete er das Unternehmen Stohl Racing. Haupttätigkeitsfeld sind nicht nur die eigenen Einsätze, sondern vor allem auch die Entwicklung und der Aufbau von Kunden-Motorsportfahrzeugen sowie deren Betreuung.

Mit Alternativen rasend schnell

Schon früh wurde Stohl auf alternative Antriebstechnologien aufmerksam. Einer der Hauptsponsoren war der Österreichische Mineralöl Verband (OMV), der Stohl auf die Idee brachte, den Treibstoff Erdgas auch in einer Rennserie einzusetzen. Der innovative Rennstall realisierte schon 2006 einen Renner, der mit hochverdichtetem Erdgas (CNG) monovalent angefeuert wurde. Damit war der Grundstein für eine ganz neue Form der Experimentierfreude gelegt. 2014 erblickte dann ein ­echter E-Flitzer das Licht der Öffentlichkeit. Und zwar nicht nur als gehegtes und gepflegtes, auf Hochglanz poliertes Einzelstück, sondern als echtes Competition Car, als rasende Steinschleuder und Dreckschmeißer.

2015 mündete diese Energieleistung in die Gründung von STARD durch Manfred Stohl und den heutigen Geschäftsführer Michael Sakowicz. STARD steht für Stohl Advanced ­Research and Development. Während Stohl Racing sich auf die Rennsporteinsätze vom Firmeninhaber und dem Aufbau und Einsatz diverser Kundenfahrzeuge konzentriert, ist STARD die Ideenschmiede der Österreicher. Philipp Thonet ist seit 2014 dabei, startete zunächst als Ingenieur und Projektleiter und ist mittlerweile als CTO verantwortlich für die technologische Seite des Rennsport-Innovators.

Komplettanbieter

Die Österreicher sind nicht nur aktiv, wenn es um die inhouse entwickelten Hochleistungsbatteriesysteme geht, bei denen STARD sich durchaus mit Industriegrößen wie ­Williams Advanced Engineering misst. Die Experten designen auch Aufhängungen und Chassis, testen Aerodynamik im Windkanal und forschen im Batterie- und Fahrdynamikregelungssektor bis zu Verbundfaserstoffen. Dabei arbeiten die Österreicher eng mit führenden Technologiepartnern zusammen. STARD soll sich emanzipieren vom reinen Motorsport.

„Der Elektroantrieb stand schon Jahre im Raum, bis wir ihn 2015 erstmals für ein Rallyefahrzeug entwickeln konnten. Heute ist der E-Antrieb bei uns das Thema Nummer 1. Dafür sind wir mittlerweile bekannt und werden sowohl von Werksteams als auch Privatfahrern nachgefragt. Wir haben einen Prüfstand für Elektromotoren aufgebaut und besitzen eigene Prüfstände für die Batterien, in denen wir die Einzelzellen testen. Wir konstruieren und designen Hochvoltbatterien von Zellebene auf, in unterschiedlichen Größen und Spannungsklassen“, führt der 34-jährige Ingenieur aus.

Fast zwangsläufig kamen hier die Kontakte zu ­Phoenix ­Contact zustande, denn wenn es ums Schnellladen geht, führt das Unternehmen aus Ostwestfalen die Branche an wie Stohl einst die Rallye Monte Carlo. „Wir haben nach einem passenden Fahrzeug-Inlet CCS Typ 2 gesucht, also für das Schnell­laden. Die Zusammenarbeit mit Phoenix Contact, die bei uns ja immer auch ein Stück Entwicklungsarbeit für unsere speziellen Anforderungen ist, klappt hervorragend, sowohl mit dem österreichischen Team als auch der Zentrale in Schieder. Wir entwickeln gemeinsam schon Projekte, die deutlich über die bloße Verwendung von Inlets hinaus gehen.“

Kleines Team mit viel Power

Dabei ist die Anzahl der hochqualifizierten Mitarbeiter übersichtlich: „In der Entwicklung sind wir 15 Mitarbeiter stark. Unser Rennteam umfasst bei WM-Einsätzen bis zu 30 Mitarbeiter.“ Auf Nachfrage bestätigt Thonet: „Die Autos werden hier am Standort komplett konstruiert, aufgebaut und von hier aus auch eingesetzt.“ Die Crew muss wahrlich handver­lesen sein, denn die Qualität und Vielfältigkeit der Aufgaben ist enorm, die Anforderungen an ein Rallye-Cross-Fahrzeug sind extrem. „Noch ein Stockwerk tiefer befindet sich unser Laborbereich mit Prüfständen und der Batterieabteilung. Wir sind ein sehr kompaktes Team, haben sehr kurze Entscheidungswege, das ist unsere Stärke, so gewinnen wir Schlagkraft und können mit den neuesten Technologien in der extrem dyna­mischen EV-Branche Schritt halten.“

Mit einem Lächeln fügt Philipp Thonet hinzu: „Es gibt noch so viel Neues, was wir entdecken und entwickeln können. Die Spielwiese ist für einen Ingenieur nahezu endlos.“ Das eint die österreichischen Racer und die innovativen Ostwestfalen. Auch in Zukunft.

STARD
E-Motorsport auf zwei Rädern
Grundlagen des schnellen Ladens

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